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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


bei seinem Anblick aufgesprungen, hatte seinen Krug erfaßt und schickte sich mit etwas unsicherem Schritt an, dem unvermuthet erschienenen Bekannten seinen Gruß zu bringen. Konnte es noch eine stärkere Demüthigung geben, als die bereits erlittene war, so lag sie darin, daß der zweideutige Bursche der Einzige war, der ihn in der Freiheit und der Heimath willkommen hieß. Fazi kam übrigens damit nicht so leicht zu Stande. Da er ohnehin im Begriffe war seine Wanderung fortzusetzen, wollte er vorher von der Kellnerin Abschied nehmen, die seinen Worten nicht ohne Gefallen lauschte. Er schien ihr dringend eine Frage an’s Herz zu legen und eine bestimmte Antwort oder ein Versprechen zu verlangen, worauf das Mädchen endlich lachend in die gebotene Hand einschlug.

„Grüß Dich Gott!“ rief er, als er endlich losgekommen war. „Treffen wir da wieder zusammen?“

Wildl wandte sich und schien die Begrüßung nicht beachten zu wollen. „Geh’ Deiner Wege!“ rief er, „ich habe nichts mit Dir zu schaffen.“

„Oho,“ erwiderte der Andere. „Giebst Du’s noch immer so hoch? Ich meine, Du solltest wohl vom hohen Roß heruntersteigen, aber meinetwegen thu’ Du wie Du willst! Mir kann’s recht sein. Ich halt’ Dir doch mein Wort und sage keinem Menschen, wo wir mit einander übernachtet haben. Behüt’ Dich Gott, neuer Himmelmooser! Laß’ fein die Kalkgrube richten hinterm Haus, damit es Dir nicht auch geht, wie dem Alten, dem Du so gleich siehst! Das lange Sitzen hat Dich ein bissel mitgenommen, daß Du schier gerade so aussiehst.“

„Wirst Du mich in Ruh’ lassen, Du Lump?“ zürnte Wildl. Der Andere aber fuhr ihn unterbrechend fort: „Auch die Stimm’ ja ganz die nämliche – wirst Dich auch schon auswachsen auf den nämlichen Pfennigfuchser und Leutschinder. Thut nichts. Deßwegen sind wir doch auf einer Schulbank gesessen, Du vorn und ich immer hinten dran, und ich bin doch der Gescheidtere ’worden, denn ich sehe, wohin Du es gebracht hast mit all’ Deiner Gescheidtheit.“

Er brach in lautes Gelächter aus und beugte sich spöttisch vor, indem er mit beiden Händen auf die Kniee klatschte.

„Der Alte,“ rief er, „der auf so spaßige Weis’ den Weg in die Kalkgrube gefunden hat, hat meine Schnadahüpfeln auch nicht leiden können, und ich habe doch Recht damit.“

„Der g’scheidteste Vogel
Muß der Gugetzer sein.
Die andern bau’n d’ Nester
Und er setzt sich ’nein –“

sang er, indem er nach der Thürklinke tappte um das Zimmer zu verlassen. Wildl hatte ein Gefühl, als ob er unter einer Traufe stünde, von der er bald mit brühheißem, bald mit eiskaltem Wasser übergossen würde; ohne klar zu wissen, was er that, und um doch etwas zu haben, woran er seinen Grimm auslassen konnte, sprang er empor. Blitzschnell hatte er Fazi an der Gurgel gefaßt und drückte ihn an die Wand, daß der Bursche kirschroth im Gesicht wurde. In demselben Augenblick aber fühlte er sich schon zurückgeschleudert. Der Wirth, der ebenfalls unter den Berathenden gewesen, ein Mann von riesenartiger Größe und Stärke, riß ihn los und drückte ihn unwiderstehlich auf seinen Platz nieder.

„Das giebt’s nicht in meinem Haus,“ rief er. „Da wird nichts gerauft. Willst noch Einen durchthun? Du hast wohl noch nicht genug auf dem Gewissen?“

Wildl taumelte beinahe – er fühlte, daß etwas geschehen mußte, um den widrigen Eindruck dieses Auftrittes zu zerstören; er sprang auf und trat zu den Bauern, an den Tisch, unter welchen sich auch der Vorsteher befand.

„Nichts für ungut! Ich kann nichts dafür, daß mich die Hitz’ übergangen hat,“ sagte er beinahe stammelnd. „Aber der Lump soll mich nicht tratzen. Ich will nichts, als dem Vorsteher das Schreiben da übergeben. Ich sehe wohl,“ fuhr er fort, „daß Niemand eine besondere Freude hat, daß ich wieder da bin. Das wird aber anders werden, wenn Ihr das Schreiben gelesen habt.“

Er kam nicht dazu, mehr zu sagen; denn der Vorsteher wies Anrede und Schreiben mit so entschiedener Geberde zurück, daß eine Erwiderung dagegen nicht wohl möglich war.

„Ich kann mir schon denken, was in dem Schreiben steht,“ sagte er. „Komm’ nachher nur in mein Haus! Jetzt hab' ich ’was Wichtigeres zu thun.“

Ohne ihn weiter zu beachten, kehrte er sich ab und wandte sich mit den Uebrigen wieder dem Tische zu. – Wildl stürzte seinen Krug aus, warf eine Münze auf den Tisch und rannte glühenden Angesichts hinaus in den winterlichen Tag.

Er stürmte dem Hause des Vorstehers zu, wo dieser auch bald darauf sich einfand und ihm merklich milderen Sinnes und Benehmens Zutritt in die Stube gewährte, in der er seine Geschäfte zu erledigen pflegte. Er achtete nicht auf die Winke seiner Bäuerin, welche in der Küchenthür stand und ihn aufmerksam machen wollte, doch mit dem gefährlichen Menschen nicht allein zu bleiben, während hinter ihr ein paar Kinder standen und sich an Schürze und Rock der Mutter anklammerten, in dem beruhigenden Gefühl, dadurch vor aller Gefahr geschützt zu sein.

Gleichgültig empfing und öffnete der Vorsteher das Schreiben, gleichgültig steckte er es in das Blei der kleinen, runden Fensterscheiben. Wildl sah ihm verwundert zu.

„Jetzt werdet Ihr wissen,“ sagte er, „daß ich frei bin.“

„Ja, ja!“ entgegnete dieser gelassen. „Es ist, wie ich mir gedacht habe. Frei bist Du, aber nur von der Instanz entlassen – oder wie das Ding heißt; das ist halt so eine eigene Sach’. D’rum steht da in dem Schreiben, daß Du unter Polizeiaufsicht stehst und jeden Tag um zwölf Uhr Mittags und Abends bei Gebetläuten Dich bei mir vorstellen mußt.“

Wildl, der sich auf eine entladende Handbewegung des Vorstehers auf der an den Wänden sich hinziehenden Bank niedergelassen hatte, wollte sich erheben, sank aber unwillkürlich auf den Sitz zurück.

„Was?“ stammelte er. „Nachher hätt’ ich nichts gewonnen, als daß mein Gefängniß größer ist?“

„Ja, ja, es ist halt nichts Ander’s,“ erwiderte der Vorsteher. „Das ist auch nichts Neues, und Du wirst Dich schon dreinfinden; es haben sich schon viele Andere dreinfinden müssen.“

Die Gemüthsstimmungen der Freude und Erhebung, des Grams und Grimms hatten in Wildl’s Herz seit diesem Morgen so oft gewechselt, daß er eines Augenblicks der Sammlung bedurfte, um sich klar zu machen, was ihm abermals Neues in den Weg getreten war. Der Vorsteher gewahrte es und fuhr wiederholend fort:

„Es ist einmal nicht anders, sag’ ich Dir. So geht’s, wenn man in solche Geschichten hineinkommt. Ich hab’ das als Vorsteher schon öfters erfahren. Und wie hast Du’s jetzt im Sinn?“

„Wie anders,“ fragte Wildl entgegen, „als daß ich mich auf das Himmelmoos setze und forthause. Es gehört ja mein.“

„Das ist keine Frage – das Gut gehört Dein und all das Geld dazu, das bei Deinem Vater gefunden worden ist; Du wirst es wohl wissen: droben im Wandkästl über eine Stiege. Es können wohl ein paar Tausend Gulden sein. Sie liegen beim Pfarrer verwahrt. Du kannst sie alle Stunden erheben. Aber ich fürchte, mit dem Forthausen wird es halt doch nicht gehen.“

„Warum nicht? Wer könnte mir was anhaben?“

„Nun; wie’s halt geht,“ entgegnete der Vorsteher. „Anhaben kann Dir freilich Niemand was, aber es hängt Dir halt doch an. Hast es ja vorhin im Wirthshaus deutlich genug sehen können. Wenn das Gericht Dich nicht gerade verurtheilt, aber auch nicht freispricht, so ist in der ganzen Gemeinde kein Mensch, der nicht glaubt, daß Du es doch gethan hast, wenn man Dir’s auch nicht beweisen kann. Ich mein’ drum, Du solltest den G’scheidteren spielen, Dich um die Erlaubniß bewerben, auszuwandern und in die neue Welt gehen – in der Heimath wirst Dich doch nicht halten können.“

„Das möcht’ ich sehen,“ rief Wildl erregt. „Ich will den Leuten beweisen, daß sie unrecht thun, mich so auf den bloßen Schein hin zu verurtheilen. Ich will den Hof zusammenhalten, daß Jeder seine Freude daran haben und sehen soll, daß der Segen darauf liegt – und der Segen würde wohl nicht darauf liegen, wenn ich auf solche Art Bauer im Himmelmoos geworden wäre.“

„Kannst es ja probiren,“ begann der Vorsteher wieder. „Du wirst keine Dienstboten kriegen, wirst herunterkommen und zuletzt den Hof um ein Spottgeld losschlagen müssen, während Du jetzt ein schönes Gebot haben könntest. Ich selbst weiß gleich einen Bauer, der gerne zahlt, was er werth ist.“

Die begleitende Geberde dieser Worte ließ keinen Zweifel, daß er selber der Bauer war; er wollte eben die Summe nennen, aber Wildl ließ ihn nicht dazu kommen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_468.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)