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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


kann in seinem ganzen Umfange nur der beurtheilen, der selbst diesen Hyänen des Capitals in die Hände fiel.

Nun vergehen einige Tage, die das betreffende Opferlamm auf die Folter spannen. Am dritten etwa geht ein Brief ein, in welchem sich der betreffende Gauner, der sich in seinem ersten Briefe beispielsweise René, Mank, Stein oder Fliedner nannte, unter seinem wahren Namen vielleicht als einer der vier Herren von A– entpuppt, dieser heruntergekommenen Sprossen einer altehrwürdigen preußischen Adelsfamilie, deren Vorfahren sich bereits in den Kreuzzügen ausgezeichnet und deren jetzt lebende Namensverwandte in den letzten glorreichen Kriegen frischen Lorbeer um den deutschen Adler gewunden haben.

Herr von A– theilt nun dem Helden unserer kleinen Tragödie mit, daß ein gewisser Herr K., –straße Nr. x, bereit sei, das Geld vorzuschießen, und läßt in einem Postscriptum seines Briefes nebenbei einfließen, daß es dringend erwünscht sei, persönlich und zwar in Uniform zu erscheinen. Dieses Manöver wird von fast allen der Herren Gauner mit besonderer Gewandtheit executirt. Dem bereits moralisch Zugrundegerichteten bleibt kein anderer Ausweg, wenn er überhaupt in den Besitz des Geldes kommen will, als sich, wie gewünscht, persönlich zu dem verabredeten Rendez-vous zu begeben. Meistens findet dieses in der Wohnung des „Geldmannes“ statt. Von dem „Schlepper“ im Salon des großen Mannes empfangen, wird der Officier nach einem kurzen, aber erschöpfenden Examen über seine intimsten Privatverhältnisse – über welche der Gauner natürlich bereits längst orientirt ist – durch den wie von ungefähr aus dem Nebenzimmer eintretenden Herrn K., der von seinem Versteck aus die gepflogene Unterhaltung Wort für Wort mit angehört hat, auf das Förmlichste begrüßt.

Nach einigen trivialen Redensarten geht Herr K. mittelst einer geschickten Wendung auf die Hauptsache über. Wechsel und Ehrenschein liegen auf dem Tische ausgebreitet. Der Wechsel wird beispielsweise, da der reiche Mann wegen augenblicklich eingetretener Verhältnisse nicht ganz eintausend Mark aufbringen kann, über siebenhundert Mark auf drei Monate nach dato acceptirt. Der Officier erhält nach Abzug der landesüblichen mäßigen Vierteljahreszinsen von zweihundert Mark fünfhundert Mark baar ausgezahlt und dankt seinem Schöpfer mit einem Stoßgebet, sobald er, aus dieser Höllenkammer befreit, wieder in Gottes freier Natur ist. Unten angekommen, notificirt ihm der Herr v. A– , der ihm auf dem Fuße gefolgt ist, daß er für seine Bemühungen noch fünfzehn bis zwanzig Mark bekomme. Auch diese reißt sich der Officier, wenn er thöricht genug ist, noch von der Seele und behält schließlich von den in drei Monaten zurückzuzahlenden siebenhundert Mark nur vierhundertfünfundachtzig Mark übrig. – Die drei Monate verstreichen. Etwa drei Tage vor dem Verfalltage des Wechsels erhält der Officier meist von unbekannter Hand einen Brief, in welchem ihm mitgetheilt wird, daß er binnen drei Tagen bei Gefahr der Protestirung des Wechsels siebenhundert Mark zu zahlen habe. Der Wechsel befindet sich also bereits in dritter Hand, wenn auch nur als Schreckmittel, natürlich im Besitz eines Mitgauners.

Der Officier kann nicht zahlen. Der Wechselinhaber läßt sich nach langem Hin- und Herreden endlich erweichen, gegen Zahlung der reglementsmäßigen Zinsen von neuen zweihundert Mark auf fernere drei Monate den Wechsel zu prolongiren. Auch die Zinsen vermag der Arme nicht zu zahlen. Es wird also ein neuer Wechsel, und zwar unter Anrechnung der Zinsen über neunhundert Mark ausgestellt. Nach ferneren drei Monaten sind im Falle der Insolvenz des Ausstellers aus den fünfhundert factisch gezahlten elfhundert und nach Jahresfrist fünfzehnhundert zu zahlende Mark geworden. Dabei ruht der Ehrenschein wie eine stets bereite Schlinge, dem Opfer den Hals zuzuschnüren, im feuerfesten Geldschrank des Wucherers.

Lawinenartig wächst die Summe an, bis nach wenigen Jahren jede Aussicht auf Rettung schwindet und der völlig in die Enge Getriebene den Dienst quittirt. So sind schon unendlich viele Officiere einer verhältnißmäßig geringen Summe, die sie aus den Händen solcher Ehrenmänner empfingen, schließlich elend zum Opfer gefallen.

Wie vorsichtig aber auch die Herren vom Wucherfache zu Werke gehen, wie geschickt sie auch in die geheimsten Familienverhältnisse einzudringen und sich über dieselben zu orientiren verstehen, so kommt es doch auch vor, daß ihnen das so schlau umgarnte Opfer entschlüpft. – Wie ein Donnerschlag trifft die Betreffenden die Annonce des Militär-Wochenblattes, daß einer ihrer „Pflegebefohlenen“ behufs Auswanderung den Abschied genommen. Dann giebt es ein Laufen, Rennen, Jagen, ein Schreiben und Telegraphiren von einer Gaunerbörse zur andern, um vor allen Dingen den Aufenthalt des Echappirten zu ermitteln. Ist der Betreffende noch nicht transatlantisch geworden und haben die Spürnasen der Gauner seinen Aufenthalt entdeckt, so werden sämmtliche Winkelconsulenten des Reiches aufgeboten, um durch raffinirte Verclausulirungen und Einschüchterungsversuche dem durch ihre Machinationen bereits vollkommen Ruinirten noch das letzte Hemd vom Leibe zu reißen.

In Verbindung mit den im Vorstehenden Gekennzeichneten steht eine zweite Kategorie von Wucherern, dem Officiere beinahe noch gefährlicher, als die eben Geschilderten: die der gewerbsmäßigen Hazardspieler. Sie haben außer in Berlin ihren Hauptsammelplatz in Hamburg. Aehnlich wie die Agenten der „Geldmänner“ sind sie an allen fashionablen, viel besuchten Orten, vor Allem aber stets auf den Rennplätzen, zu finden. Dort begrüßen sie in der chevalereskesten Art auf dem Sattelplatze, besonders in der Nähe des Totalisators, wo sie ihre Opfer wittern, die ihnen von früher her bekannten Officiere, knüpfen neue Bekanntschaften an, bitten um die Erlaubniß, Diesem oder Jenem ihre Aufwartung machen zu dürfen, und verabreden schließlich für einen oder mehrere Abende ein Rendesvous zu einem kleinen Spiel. In den Salons der besseren Hôtels, für welche die Bauernfänger immense Miethe bezahlen müssen, wird das Jeu ausgeführt. Aus einer kunstvoll zusammengelegten Reisedecke entpuppt sich der Ueberzug eines Roulettetisches, aus einem zierlichen, unschuldig aussehenden Musterkästchen entsteigt ein raffinirt gearbeitetes Roulette. Batterien von Sectflaschen, das Haupthülfsmittel der professionirten Bankhalter, umrahmen den bereits besetzten Tisch. „Messieurs, faites votre jeu! Rien ne va plus.“ Das Spiel beginnt. Aus mäßigen Ziffern werden Summen, und binnen Kurzem ist das Baargeld der Spieler vor dem Bankhalter aufgethürmt. Abgesehen von den überaus günstigen Chancen des Croupiers, weiß er durch einen geschickten Druck an eine kunstvoll gearbeitete mechanische Vorrichtung des Roulettes jeden besonders hohen Satz in seine Hände zu bringen. Denn wie uns aus eigener Anschauung bekannt und von authentischer Seite bestätigt wird, führen die meisten dieser gewerbsmäßigen Spieler falsche Roulettes, falsche Karten, falsche Würfel und verstehen bei Benutzung echter durch kühne Manipulationen besser als die geübtesten Taschenspieler, das Glück an ihre Seite zu fesseln – das Geld ist verloren. In liebenswürdiger Weise sind die Herren Bankhalter bereit, Vorschuß zu geben, der wie das Uebrige in kürzester Zeit dahin ist. Der Vorschuß ist zu bedeutender Höhe gestiegen. Die Grenze der von den Gaunern vorher genau taxirten Zahlungsfähigkeit jedes Einzelnen ist überschritten und der erste Croupier, ein Herr F… oder R…, Ersterer aus Hamburg, Letzterer aus Berlin, legt ein Veto gegen ein weiteres unbaares Spiel ein.

Jetzt beginnt die eigentliche Gewerbsthätigkeit der Wucherer, das völlige Abschlachten der bereits Halbtodten. Die Portefeuilles der Bankhalter speien ein Meer von Wechselblanquets aus. Summen von beispielsweise tausend Mark werden auf drei bis vier Wechsel vertheilt und auf drei Monate acceptirt. Es ist dies ein wohlüberlegtes Manöver, weil so die Officierwechsel am leichtesten und bequemsten unterzubringen sind. Nach wenigen Tagen befinden sich sämmtliche Wechsel in den Händen der oben geschilderten Wucherer, denen das Eintreiben derselben überlassen wird. So spielen sich die Gaunerclassen gegenseitig in die Hände.

Gleichfalls im Sold der Halsabschneider stehen die Gauner des Pferdehandels, ferner zahlreiche Geschöpfe der Halb- oder Dreiviertels-Welt, Jaguaritas, die es verstehen, ihre Opfer zu zerreißen und sie dem Wucher in die Polypenarme zu treiben. Und der Zweck aller dieser Creaturen? Geld zu verdienen, zusammenzuraffen und zusammenzuschachern – auf Kosten der Armee, der sie eine junge Kraft nach der anderen rauben. Allwöchentlich und öfter bringen die Zeitungen Nachrichten über

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 724. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_724.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)