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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Seite einer strengen und mißbilligenden Kritik unterworfen. Arme Thiere langsam zu Tode zu martern ist leichter, als etwas zu lernen, zu Vivisectionen sollte aber nur berechtigt sein, wer schon Alles kennt und weiß, was über das zu untersuchende Verhältniß in den Büchern steht.

Es muß übrigens schon in den ersten Decennien unseres Jahrhunderts viel Mißbrauch mit Vivisectionen getrieben worden sein; Arthur Schopenhauer, der bekanntlich ein großer Verehrer der Thierwelt war, giebt dem Unmuthe über jenes Treiben in seiner gewohnten drastischen Weise Ausdruck, indem er sagt: „In’s Volk muß die Ansicht dringen, daß es nicht Jedem freisteht, die abenteuerlichen Grillen seiner Unwissenheit durch die gräßlichste Qual einer Anzahl Thiere auf die Probe zu stellen, wie heutzutage geschieht, wo sich jeder Medicaster befugt hält, in seiner Marterkammer die grausamste Thierquälerei zu treiben, um Probleme zu entscheiden, deren Lösung längst in Büchern steht, in welche seine Nase zu stecken er zu faul und unwissend ist.“

Vivisectionen sind übrigens schon seit Jahrhunderten gemacht worden. Ohne sie wäre der Blutkreislauf ein unentdecktes Geheimniß geblieben; ohne sie wäre die Nervenphysiologie ein unbekanntes Gebiet und die Segnungen der Elektricitätsheilmethoden kämen der leidenden Menschheit nicht zu Gute; ohne die Vergiftungsversuche an Thieren müßten wir einen großen Theil des modernen Heilschatzes entbehren; ohne die experimentellen Fütterungsversuche würde die gesammte Lehre von den tödtlichen parasitären Krankheiten und von deren Verhütung ein unbekanntes Gebiet geblieben sein. Jedes Gesetz, welches die Vivisectionen verböte, ja auch ein solches, das den Physiologen von Fach nur in der Vivisectionsthätigkeit einschränkte, würde der wissenschaftlichen Forschung und indirect dadurch dem Wohle der Menschheit zu entschiedenem Nachtheile gereichen und die ganze Richtung der neueren medicinischen Forschungen lahm legen. Es müssen daher die zu schaffenden Bestimmungen dem zur Vivisection Berechtigten vollkommen in jeder Richtung freie Hand lassen und seinem Tacte die Wahl der nöthigen Mittel überlassen. Dem willkürlichen Viviseciren von Seiten Unberechtigter aber müssen entschieden Schranken gesetzt werden, und hier beginnt die Thätigkeit der Thierschutzvereine.

Die deutschen Thierschutzvereine sollten zusammentreten und um ein Gesetz von ungefähr folgender Fassung bei dem deutschen Reichstage petitioniren:

„Vivisectionsexperimente dürfen nur solche Personen ausüben, welche entweder als Professoren, Docenten oder Assistenten Mitglieder des Lehrkörpers einer Hochschule sind, oder welchen von einer medicinischen Facultät die ausdrückliche Erlaubniß zur Ausübung von Vivisectionen ertheilt worden ist. Die Zustimmung eines einzigen, selbst zur Vivisection berechtigten Lehrers darf nicht zur Ausführung der betreffenden Experimente berechtigen.“

Ein solches Gesetz würde das einzige Mittel sein, um den überhand nehmenden übertriebenen Vivisectionen vorzubeugen, besonders dem Theile derselben, welcher nicht zu streng wissenschaftlichen Zwecken ausgeführt wird, sondern nur zum Vergnügen und als Kitzel einer gewissen Wissenschaftelei dient.

Diejenigen Forscher, welche zum Behufe ihrer Studien experimentelle Eingriffe in das Leben der Thiere nicht vermeiden können, werden durch die Controle der öffentlichen Meinung gezwungen werden, sich eine ernsthafte Selbstprüfung aufzuerlegen, und ihre Schüler vor jeder Ueberschreitung des Nothwendigen warnen. Weiter müssen es sich die Physiologen zur Pflicht machen, in der Wahl der Versuchsthiere gewisse Grenzen inne zu halten und solche nur in den nothwendigsten Fällen zu überschreiten. Denn daß ein Hund ein höher entwickeltes Gemüthsleben besitzt, als ein Kaninchen, und letzteres wiederum in der Reihenfolge der geistigen Entwickelung der Thiere höher steht, als ein Frosch oder ein Salamander, darf sich der Berücksichtigung bei der Auswahl des Versuchsthieres nie entziehen. Zu solchen Bestimmungen aber müssen die Herren Physiologen selbst zusammentreten, wenn sie nicht den Titel der Seelenrohheit auf sich laden wollen, und müssen bestimmen, daß Hunde nur in Fällen zu vivisectorischen Experimenten benutzt werden dürfen – und diese Fälle müssen einzeln bestimmt werden – in welchen geistig niedriger entwickelte Geschöpfe durchaus nicht zur Erreichung des gesuchten Resultates ausreichen. Solche Fälle aber werden bei ehrlicher und gewissenhafter Selbstprüfung und scharfer Vorerwägung des Versuchs gewiß zu den Seltenheiten gehören. Zur Ahndung von Rohheiten gegen Thiere braucht es überhaupt keines besonderen Gesetzes, denn das deutsche Strafgesetz belegt Jeden (§ 360 pos. 13), „der in Aergerniß erregender Weise Thiere boshaft quält oder roh mißhandelt,“ mit Geldstrafe und Gefängniß.

In diese Rubrik fällt dann die Bestrafung derjenigen Vivisectoren ganz von selbst, welche die von den Fachgenossen gesteckten Grenzen überschreiten, über das nothwendige Maß hinausgehen und als Lieblingsopfer sich gerade dasjenige Thier heraussuchen, welches als das gemüthvollste und empfindlichste unter allen Thieren sich auszeichnet, das stets bereit ist, dem „Herrn der Schöpfung“ ein Freund und treuer Gefährte zu sein.

St.




Der Bannerträger der französischen Republik.


Im Anfange der 1860er Jahre konnte man in dem Pariser Café Procope einen jungen Mann öfter des Nachmittags mit seinen Bekannten in einer auffälligen Lebhaftigkeit politisch debattiren hören. Er hatte die Manieren eines Tribunen und behandelte voll Eifer die interessantesten Fragen der Tagesereignisse; war es nicht im Café Procope, so geschah es in einer der kleinen Rauchstuben des lateinischen Viertels, wo es an genialen Bohemiens von Paris nicht mangelte und der Löwe du quartier bereits grollend gegen die zu lange Herrschaft des Kaisers Napoleon des Kleinen Umgang hielt.

Dieser Tribun auf so bescheidenem Schauplatz hieß Leon Gambetta, war aus Cahors, wo er am 30. October 1838 geboren worden, und gehört seit 1859 zu den eingeschriebenen Advocaten von Paris. Sein scharf geschnittenes Gesicht, sein Wuchs, seine Stimme, sein Accent, seine Haltung und Geberde verriethen die italienische Abstammung nicht minder wie der Klang seines Namens.

Er war fast klein von Körper, aber untersetzt; in seiner Schulterbreite mahnte er an einen Ringer oder Athleten aus den Pyrenäen. Sein Haar war weich, glänzend, üppig und schwarz wie seine Augen, seine Gesichtsfarbe dunkelbleich und etwas bronzefarben. Der Ausdruck von großer Beweglichkeit in diesem jugendlichen und doch so energievollen, in edlen Linien ausgemeißelten Antlitz konnte so mächtig sein, daß man betroffen wurde, trotzdem eines seiner großen Augen immer starr und kalten Glanzes bleiben zu sehen, indeß das andere Feuer sprühte. Jenes unheimliche Auge war von Glas und ihm als Jüngling nach einer schmerzhaften Operation eingesetzt worden, die in Folge einer Verwundung nöthig gewesen. Von einem unbrauchbar gewordenen Stoßdegen, den er untersucht, war ihm ein Stahlsplitter in’s Auge geflogen. Doch in den Momenten der Ruhe und des Schweigens verbarg die Stärke der Lider dieses Gebrechen vollständig. Auch konnte er stundenlang unter den Freunden sitzen, ohne ein Wort zu sprechen. Einmal jedoch zum Reden angeregt, gerieth er schnell in’s Feuer und fesselte dann nicht nur durch Leidenschaftlichkeit, sondern auch durch originelle Ausdrücke und Bilder, sowie durch die feine Schärfe eines Spottes, der selbst die Freunde nicht schonte.

Die Praxis des jungen Advocaten war freilich noch so spärlich, daß man wohl sagen konnte, er lebe als armer Teufel in Paris und vermöchte nur so einfachen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, wie er deren aus Gewohnheit und Neigung huldigte. Ein paar Vertheidigungen in der Provinz, ein paar unbedeutende in Paris – das war seither noch zu wenig gewesen, um sich mit seinem unleugbaren Rednertalent und seinem juristischen Wissen in größeren Kreisen bekannt zu machen. Bei der Wahlbewegung von 1863 hatte er sich allerdings schon in den Pariser Versammlungen der republikanischen Oppositionspartei hervorzuthun gewußt, doch nach dieser Agitation wurde im öffentlichen Leben wieder Alles still; er hatte keine Gelegenheit zu großen Reden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_015.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)