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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


„Irmgard!“ Er schien sich erst jetzt zu besinnen, daß zu ihrem Bunde noch ein Dritter gehörte. „Sie wird überrascht sein. Sie hat eine merkliche Scheu vor mir.“

„Vielleicht ahnt sie längst –“

„Ah, aber das wäre doch kein Grund –“

Elise schwieg. Sie war nachdenklich geworden. Sie gingen Arm in Arm im Zimmer auf und ab. Was hatten sie nicht Alles einander zu sagen! Eine Stunde verging; sie glaubten wenige Minuten allein gewesen zu sein.

Endlich beunruhigte sich Elise doch wegen Irmgard’s Ausbleiben. „Vielleicht wartet sie auf uns drüben,“ gab sie zu bedenken.

Sie war nicht dort. Nun traten sie auf die Terrasse hinaus. Ueber dem großen Stein war Niemand zu bemerken. Sie könne sich dahinter gestellt haben, meinte Werner, um noch eine andere Aufnahme zu versuchen. Sie gingen bis dahin, fanden aber die Stelle leer.

Ursel wurde befragt. Sie hatte gar nicht zum Fenster hinausgesehen, sondern sich nur mit ihrem Spinnrocken beschäftigt. Aber ihr Enkel behauptete, das Fräulein sei schon vor einer langen Weile in’s Haus eingetreten. Er hatte sie neugierig beobachtet, so lange sie zeichnete. Dann war auch er seinen Geschäften nachgegangen.

Elise beschlich eine Ahnung, die sie beunruhigte. „Ich muß hinab nach der Stadt,“ sagte sie. „Sicher ist Irmgard schon voraus, und es ist mir ängstlich, sie allein zu lassen.“

„Wir hätten zusammen so froh das Verlobungsfest feiern können,“ klagte Werner. „Es giebt heute einen Sonnenuntergang, wie wir ihn noch nie erlebt haben.“

„Man muß nicht zu viel auf einmal fordern,“ begütigte sie, sich zum Rückwege rüstend. „Ging uns doch nur eben die Sonne auf.“

„Ja, wenn Du’s so verstehst …“

Sie verabschiedeten sich von Ursel. „Ich denke, die gehen anders, als sie gekommen sind,“ knurrte die Alte. Sie revidirte das Eßzimmer. „Die liebe Gottesgabe ganz unberührt! Nun hat’s keinen Zweifel.“

(Fortsetzung folgt.)



Erinnerungen aus dem Kriege mit Frankreich.
Von Moritz Busch.
6. Tischreden und Theegespräche in Ferrières. – Allerlei Besuch. – Fort nach Versailles.
Nachdruck verboten.

Ich lasse im Folgenden wieder großenteils mein Tagebuch reden. Mittwoch d. 21. Sept. bei Tische mißbilligte der Minister, als von der Besteckung des alten Fritz vor den Linden mit schwarz-roth-gelben Fahnen die Rede war, daß man die Aufrührung des Streites über die Farben zugelassen. „Für mich ist die Sache abgemacht, seit die norddeutsche Fahne einmal angenommen ist,“ sagte er. „Sonst ist mir das Farbenspiel ganz einerlei. Meinethalben grün und gelb und Tanzvergnügen, oder auch die Fahne von Mecklenburg-Strelitz. Nur will der preußische Troupier nichts von schwarz-roth-gelb wissen“ – was ihm, wenn man sich an die Berliner Märztage und an das Erkennungszeichen der Gegner im Mainfeldzuge von Anno 1866 erinnert, von Billigdenkenden nicht übel genommen werden wird. Der Chef sprach hiernach davon, daß der Friede noch fern sei, und fügte hinzu: „Wenn sie nach Orleans gehen, so folgen wir ihnen nach, und wenn sie noch weiter gehen, auch bis an’s Meer.“ Er las darauf die eingelaufenen Telegramme vor, darunter die Liste der in Paris befindlichen Truppen. „Es sollen zusammen 180,000 Mann sein, es sind aber kaum 60,000 Mann wirkliche Soldaten dabei. Die Mobil- und Nationalgarden mit ihren Tabatieren sind nicht zu rechnen.“ Die Rede kam dann nach anderen ernsten Gegenständen auf das Essen, wobei man unter Anderem hörte, daß Humboldt, der ideale Mensch unserer Demokratie, „ein ungeheurer Esser“ gewesen, der bei Hofe „ganze Berge von Hummersalat und anderen schwerverdaulichen Delicatessen auf seinen Teller zusammengehäuft und dann in seinen Magen versenkt“ habe. Wir hatten zuletzt Hasenbraten, und der Chef äußerte dabei: „So ein französischer Hase ist doch eigentlich gar nichts gegen einen pommerschen, hat keinen Wildgeschmack. Wie anders unser Schmandhase, der sich von Haidekraut und Thymian seinen Wohlgeschmack holt!“ – ein Thema, welches er dann weiter variirte.

Nach halb elf Uhr Abends ließ er herunterfragen, ob noch Jemand beim Thee. Man meldete ihm: „Doctor Busch.“ Er kam, trank ein paar Tassen Thee und aß auch ausnahmsweise etwas kalte Küche. Später nahm er sich eine Flasche voll kalten Thee mit, den er als Nachttrunk zu lieben scheint, da ich ihn früher und später mehrmals des Morgens auf seinem Tische sah. Er blieb bis nach Mitternacht, und wir waren die erste Zeit allein. Er fragte, woher ich gebürtig. Ich erwiderte, aus Dresden. Welche Stadt mir besonders lieb wäre, wohl meine Geburtsstadt? Ich verneinte das und sagte, nächst Berlin wäre Leipzig die Stadt, in der mir am wohlsten wäre. Er erwiderte lächelnd: „So, das hätte ich nicht gedacht. Dresden ist doch eine schöne Stadt.“ Ich gab ihm Gründe an, weshalb es mir trotzdem nicht gefiele. Er schwieg dazu. Ich fragte, ob wegen des Kanonen- und Gewehrfeuers, welches man aus den Pariser Straßen her gehört haben wollte, telegraphirt werden solle. „Ja,“ sagte er, „thun Sie das!“ - „Ueber die Besprechung mit Favre aber wohl nicht?“ - „Doch,“ und dann fuhr er fort: „Haute Maison bei - wie heißt es doch gleich? - Montry erste, dann in Ferrières denselben Abend zweite, dann andern Mittag dritte Besprechung, aber sowohl wegen Waffenstillstand als wegen Frieden ohne jeden Erfolg. Auch von Seiten anderer französischer Parteien sind Unterhandlungen mit uns eingeleitet worden,“ worüber er dann einige Andeutungen gab.

Der Chef lobt den auf dem Tische stehenden Rothwein aus dem Schloßkeller, von dem er dann ein Glas trinkt, und schilt darauf wieder auf das ungebührliche Benehmen Rothschild’s: der alte Baron hätte mehr Lebensart besessen. Ich spreche von dem Fasanengewimmel im Park. Ob man da nicht eine Jagd anstellen werde? „Hm, es ist zwar verboten, im Parke zu schießen. Was will man aber machen, wenn ich hinausgehe und ein paar hole? Arretiren is nich; denn da haben sie Niemand, der den Frieden besorgt.“ Er kommt später auf Jagd überhaupt zu reden und sagt unter Anderem: „Wenn ich jetzt mit dem König in Letzlingen jage, so ist’s der alte Wald unsrer Familie. Burgstall ist uns vor dreihundert Jahren abgedrückt worden - rein der Jagd wegen. Es gab dort wohl noch einmal so viel Wald wie jetzt. Es war zu der Zeit nicht viel werth, mit Ausnahme der Jagd; heutzutage ist es Millionen werth.“ - „Rechtsverletzungen, Einsperrung bei salzigen Speisen ohne Getränk, als der Besitzer nicht wollte. Die Entschädigung war unbedeutend, nicht der vierte Theil des Werthes, und jetzt ist’s fast ganz zu Wasser geworden“ etc.

Ein anderer Gegenstand brachte ihn auf Schützengeschicklichkeit, und er erzählte, wie er als junger Mann ein so gutes Pistol gehabt, daß er damit Papierbogen auf hundert Schritt getroffen und den Enten auf dem Teiche die Köpfe abgeschossen habe. Wieder ein anderes, von ihm oft behandeltes Thema ließ ihn bemerken: "Wenn ich tüchtig arbeiten soll, so muß ich gut gefuttert werden. Ich kann keinen ordentlichen Frieden schließen, wenn man mir nicht ordentlich zu essen und zu trinken giebt - das gehört zu meinem Gewerbe."

Die Unterhaltung lenkt, ich weiß nicht mehr wie, auf die alten Sprachen ab. „Als ich Primaner war,“ sagte er, „da konnte ich recht gut lateinisch schreiben und sprechen; jetzt würde es mir schwer fallen, und das Griechische habe ich ganz vergessen. Ich begreife überhaupt nicht, wie man das so eifrig betreiben kann. Es ist wohl blos, weil die Gelehrten nicht viel mehr wissen und doch etwas wissen wollen.“ Ich erlaubte mir an die disciplina mentis zu erinnern und bemerkte, die zwanzig oder dreißig Bedeutungen der Partikel ἀν wären doch auch etwas sehr Schönes für den, der sie an den Fingern herzählen könne. Chef: Ja, aber das ist im Russischen, wenn man an die disciplina mentis beim Griechischen denkt, doch noch viel schöner. Man könnte statt des Griechischen gleich das Russische einführen, das hätte auch einen unmittelbaren praktischen Nutzen. Da giebt’s eine Menge Partikeln, die bei der Unvollkommenheit der Conjugation

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_026.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2017)