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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

auch; sie wußte schon, daß Finckenstein dem Willen seiner Familie sich fügen und sie trotz seiner Schwüre verlassen werde, daß ihr Verhältniß mit ihm ein „abgetragenes“ sei. „Wenn Du mich in Verzweiflung siehst, hast Du Mitleid mit mir; sage nichts.“ Sie gab ihn frei, sie gab ihm sein Wort zurück und er nahm es mit der Beschämung eines als schwächlich erkannten Charakters. In ihrem edlen Stolze und in der hohen Meinung, die sie von sich hegte, entsagte sie ihm, weil sie kein gemachtes, falsches Glück wollte. Noch bis Anfang 1800 ertrug sie sein unnützes Klagen, daß er sie verlieren solle; dann gab sie ihn für immer auf.

Doch sie begrub diese Liebe nicht zu den Todten; ihre davon erfüllte Natur entlud sich in Schmerz und Ungestüm und begehrte einen anderen, ihrer würdigen Gegenstand zu umfassen. „Liebe thut wohl,“ schrieb sie sich in ihr Tagebuch. „Man merkt es gleich, wenn sie Einem entzogen wird. Wir leben gleichsam in einer allgemeinen Kälte, wir wissen es oft nicht, wer in unserer Nähe uns vor der kalten Luft schützt, bis er sich entfernt und uns ihr aussetzt, wie in einem wirklich kalten Zimmer, wenn einer, der neben uns saß, den Platz verläßt.“ In der gewonnenen Erkenntniß ihres Herzensreichthums, mit dem sie zu lieben vermochte, klagte sie den Schmerz darüber aus, sich mit all dieser Liebesfülle doch nicht das Glück ihres Lebens verschaffen zu können.

„Lieben muß ich,“ gestand sie sich, „und es ist ja echt menschlich, daß nach dem Zusammenbruche einer Hoffnung des Herzens dasselbe um so sehnsüchtiger nach einer anderen verlangt, die öde Leere, nun so fühlbar, wieder auszufüllen.“ Nach dem Bruche mit Finckenstein erkrankte Rahel schwer, und unternahm, als sie wieder genesen, eine Erholungsreise nach Paris. Es war Anfangs des Jahres 1801. In den gesellschaftlichen Cirkeln, die sich ihr dort eröffneten, lernte sie einen jungen Hamburger kennen, einen Kaufmann Bokelmann, aus angesehener Familie seiner Vaterstadt. Die Verehrung, welche er ihr entgegentrug, bildete für Rahel den Trost, den sie suchte; die Liebe, welche Finckenstein getäuscht, rankte sich an diesem hübschen, jungen und gebildeten Manne schnell wieder zu neuer Hoffnung empor. Die Leidenschaft, wie sie zuerst emporgelodert, stolz und mächtig ihre Flammen geworfen, die war wohl dahin; doch unter der Asche lag noch die Gluth. In solch ruhiger Innigkeit ging ihre Liebe zu Bokelmann auf und beglückte sie, weil er sie erwiderte. Aus einer „Gruft von Glück“ erhob sie sich, um nochmals auf das Glück des Lebens zu vertrauen. Sie wünschte, sie hoffte auf seinen Besitz und, wie immer, machte sie aus ihren Empfindungen und Gedanken kein Hehl. Bokelmann war nach Spanien gereist, und Rahel, noch immer in Paris, drückte ihm in solcher Offenherzigkeit ihre Sehnsucht nach ihm aus: „Wundern Sie sich nicht; ich kann dem Strome in mir nicht widerstehen. Was ich auffasse, umfasse ich in dem ganzen Umfange, der für mich da ist, und in meiner ganzen Tiefe, gleich, sehr geschwind.“ Bei alledem aber auch gegen ihn der weibliche Stolz, den sie dem Grafen Finckenstein bezeigte; auch an Bokelmann schreibt sie: „Ich fordere Nichts von Ihnen, nichts, auch im tiefsten Innern nichts – als daß Sie glücklich sein sollen, frei, frei nach allen Seiten hin.“

Aber das gehoffte Wiedersehen mit dem neuen Freunde, der in Cadix blieb, fand nicht statt, Rahel ahnte, daß auch diesmal nur eine Täuschung ihrer Liebe ihr beschieden war; sie wollte wenigstens Bokelmann’s Freundschaft behalten. „Werd’ ich Ihnen in jedem lebendigen Spiel im Leben immer gegenwärtig sein, oder muß ich meinen Freund verlieren?“ – Dennoch erklärte sie, „sogar des lieblichsten Genusses Glück zu entsagen“, ihn nicht wieder sehen zu wollen. „Nur verändern Sie sich nicht, verstehen Sie mich immer, daß ich Ihnen Alles sagen darf; haben Sie keine Vorurtheile, bleiben Sie in jedem Sinne des Wortes frei. Dies ist mein Wunsch, meine Angst, mein Schmerz für dieses Leben; das Gegentheil – mein Stolz, mein Glück.“ Nur nichts weis machen, bat sie ihn, nur nicht lügen!

Dazu war Bokelmann zu ehrenhaften Charakters; aber er verhehlte ihr doch nicht, daß sie auf eine Ehe mit ihm nicht rechnen möge, oder doch auf längere Zeit nicht. So entsagte Rahel nach einer zweijährigen Bekanntschaft mit diesem Manne wieder einer Hoffnung, und blieb auch noch ein Rest derselben in ihrem Herzen, ihr Verstand hatte bereits die Lage wieder beherrscht, das bezeugt ihr letzter Brief an Bokelmann. „Ich erschrecke nicht, daß Sie mir sagen, Sie werden so lange wegbleiben; ich dachte es mir nie anders und halte unsere Trennung überall einmal als eine Trennung. Ich weiß nicht, was gut wäre, da die Dinge einmal sind. – Jetzt ist es auch mir lieb, Sie nicht wiedergesehen zu haben, und ich betrog willig bei Ihrer Abreise mein schmerzensreiches Herz. (Es läßt sich doch betrügen.) Jetzt ist Alles wieder ohne Wunden und ohne Thränen; schon lange. Ich bin auch etwas grausam geworden; Ihr Schmerz scheint mir kein rechter. Und dann scheinen Sie mir so glücklich gegen mich. Und, wenn Sie wollen, kommen Sie wieder. Es wird Ihnen und mir noch viel Leben indessen zukommen; seien wir immer vergnügt, vielleicht wär’s hübscher nur häßlicher. Davon bin ich ganz durchdrungen; so muß ich jetzt denken.“

Bokelmann wurde in Cadix dänischer Consul, kam dann 1806 nach seiner deutschen Heimath zurück und erhielt das dänische Generalconsulat in Hamburg. Erst im Jahre 1820 verheirathete er sich mit einer Amsterdamer Banquiertochter.

Inzwischen, kaum daß sie ihrer Hoffnung auf Bokelmann entsagt, wurde Rahel dennoch von einer neuen Liebesleidenschaft ergriffen, so gewaltig, so ihr ganzes Wesen erfüllend und verzehrend, daß man in der That hier vor einem psychologischen Räthsel steht. Aber es löst sich, wenn man die Rahel’sche Natur in einer so hochwogenden Bewegung sich vorstellt, daß ihr die Sammlung noch nicht möglich geworden. Ihr aufgerufenes Bedürfniß nach Liebe, zweimal getäuscht, erhob sich nun ein letztes Mal mit der Gewaltsamkeit, ja Großartigkeit der Verzweiflung. Ein fieberhafter Liebeswahnsinn kam über sie, dem sie immer wieder, noch nach Jahren, beim Anblick und beim Gedanken an den Geliebten verfiel, wie sehr ihre Vernunft und selbst ihr weiblicher Stolz sich auch dagegen wehren mußte. Bis zur Aufdringlichkeit und Wegwerfung ihrer Würde vermochte diese Leidenschaft sie hinzureißen. Es wäre besser gewesen, man hätte diese Briefe nicht abgedruckt. Rahel hatte zuerst geliebt mit geistiger Ueberlegenheit; dann, um sich mit einem ebenbürtigen Geist in Harmonie zu setzen. Jetzt liebte sie einen geistig ihr Untergeordneten, um sich von ihm quälen und willenlos förmlich mißhandeln zu lassen. Begreife, wer es begreifen kann, aber eine Verirrung weiblicher Liebesbedürftigkeit war und blieb es jedenfalls, daß eine Rahel von einem Phantom des Glückes mit diesem Menschen träumte.

Der Geliebte, der einen so wunderbaren Zauber auf sie übte, war Don Raphael d’Urquijo, ein junger, heißblütiger Spanier, der als Legationssecretär 1802 nach Berlin kam und in den Rahel’schen Salon eingeführt wurde. Er war schön, und seine Schönheit vor Allem war es, die Rahel’s Herz und Sinne in Fesseln schlug. „Ich liebte ihn bis zur Tollheit,“ gestand sie sich nach Jahren selber; „denn er, sein Anblick, war mir das Jetzt und das Künftige.“ Und so spricht es auch aus ihren Briefen an ihn; es sind Hymnen weiblichster Liebe, Bloßlegungen eines verstörten, sehnsuchtsvollen, von Leidenschaft überwältigten Herzens, wie die deutsche Literatur kaum noch ähnliche besitzt und die in dem Geheimsten eines weiblicher Gemüthes zu lesen verstatten. „Süßer Liebling!“ schreibt sie ihm. „Nein, Du weißt doch nicht, wie Du mir gefällst, wie ich Dich liebe! Die tiefste Seele ist mir bei Deinem Anblick erregt, und immer neu, immer eben so heftig. Dies macht mein Glück. Du sprichst zu meinem Herzen. Deine Gestalt, Deine Miene rührt es, und es irrte sich nicht; es erkannte einen Engel, den meine ganze Seele liebt. Ein ewiges süßes Schmeicheln, einen ununterbrochenen Zauber gewährt Dein bloßer Anblick meinen Sinnen. Du gefällst mir immer, Du! O, lieblicher Freund, kenntest Du auch dieses Glück. Die Hälfte besitzest Du, Geliebter; Du liebst mich ja, und vertraust mir nun. Nun wirst Du meine Seele erst sehen: meine reine innige Liebe!“

Urquijo liebte sie indessen sicherlich nur in flüchtiger Neigung und folterte sie mit seiner Eifersucht, weil sie diese für den Beweis seiner Liebe hielt. So beugte er das stolze Weib, daß es sich sclavisch allen seinen Launen unterwarf. Nichts erschütterte die fatalistische Zuversicht in ihr; nicht, daß Urquijo sie beleidigte durch Mißachtung; nicht, daß er mit leichten Damen Verbindungen hatte und neu anknüpfte; nicht, daß er schließlich aus seiner diplomatischen Laufbahn geworfen wurde und ihr aus dem Wege zu gehen suchte. „Ich kann keine Frau beneiden, mit der er in Verbindung wäre,“ schrieb sie noch 1806 in ihr Tagebuch; „ich kann mir ihn auch gegen eine Andere nicht liebend

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_049.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)