Seite:Die Gartenlaube (1878) 050.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

denken, und liebte er auch Eine bis zum Wahnsinn, ich würde sie mir doch nicht glücklich vorstellen, denn dieses Liebesfieber, diese völlige Befriedigung im Anschauen seiner Person kann Keine wieder haben. Zweimal giebt es nichts.“ Sie erklärte offen in einem Briefe vom Jahre 1808, daß man „so erniedrigend sich auch in der größten Leidenschaft nicht vom Schmerze auseinander zerren und herumschleppen lassen dürfe“; und doch, als sie vier Jahre später zum ersten Male wieder Urquijo’s Briefe an sie las, empfand sie noch immer „den festen Zauber des Verliebtseins“ und „daß Alles, was von ihm kommt, ihr ewig, einzig wichtig bleiben wird und ist.“ Ein paar Tage darauf sah sie ihn gealtert, halb verkommen, noch einmal wieder in ihrer Wohnung. Sie fragte ihn, ob er wirklich, als er sich von ihr getrennt, des Glaubens gewesen, daß sie ihn getäuscht hätte. „Gott bewahre!“ rief er. Und da erst, als er sich in solcher Art förmlich lustig über ihre früheren Qualen machte, sah sie in den Abgrund der Verachtung, in den nun diese Liebe sank. „Und dieser Mensch, dieses Geschöpf,“ rang es sich ihr ab, „hat den größten Zauber über mich geübt. Als er aus dem Zimmer war, fiel ich laut schreiend, das Herz gegen die Rippen gesprengt, hin und frug Gott, ob man ein Herz veräußern könnte, er wüßte ja, daß man ohne Herz nicht weiter leben kann!“

Ein Jahr zuvor, im Mai 1811, kurz vor seinem frühen Tode, hatte Rahel auch Finckenstein noch einmal bei sich gesehen und in einem ähnlichen Aufschrei der Liebe zu ihm noch ein letztes, wildes, verzweiflungsvolles Lebewohl nachgerufen. „Dein Mörder, dacht’ ich, und blieb sitzen. Thränen kamen mir in den Hals und zu den Augen, da ich ihn ganz ruhig, ganz beruhigt über mich, sitzen sah. Wie eine ihm zugestandene Creatur fühlte ich mich, er hat mich verzehren dürfen. Er, mich! Gott soll es ihm verzeihen, er soll es sich verzeihen – dies Gelübde halt’ ich gewiß; rächen will ich mich auch nie! Ich kann es ihm nicht verzeihen! Wenn ich nicht ein ganz neues Herz kriege, mit diesem nie!“

In einem solchen sechszehnjährigen Liebessturme war ihre Seele heimgesucht worden. Dann war es Varnhagen’s treue, verehrungsvolle Liebe, die sie seit Jahren trostreich und stärkend auf sich wirken gefühlt, welche sie 1813 in den Hafen der Ehe führte – eine geistig gegenseitig beglückende Ehe, der ihre letzte Liebe gehörte. In heiterer Ruhe nach dem Sturme schrieb sie 1818 ihrem Bruder: „Nicht unsere erste, wie das Sprüchwort heißt, sondern unsere letzte Liebe ist die wahre: die nämlich, welche alle Kräfte dazu nimmt.“

Schmidt-Weißenfels.



Die Blumenzucht in der Urwelt.
Von Carus Sterne.

Wozu die Pracht der Blumen? So hat seit Plotin, dem Platoniker, schon Mancher gefragt.

„Ei, Verehrtester, um die Herrlichkeit des Schöpfers zu verkünden und des Menschen Herz zu erfreuen!“ hat dann meist und beinahe vorwurfsvoll einer jener guten, alten Leute erwidert, die freiwillig oder von Amtswegen auf alle unsere Fragen und Zweifel Bescheid zu geben wissen.

„Aber die schönsten Blumen,“ wirft der unverbesserliche Rationalist ein, „blühen in Urwäldern und unzugänglichen Alpenstrichen, wo nur selten der Fuß eines Menschen hingelangt. Und überdem – soll denn der Mensch sich freuen? Sonst sagt Ihr, der Mensch soll den irdischen und vergänglichen Freuden entsagen, sich kasteien, enthalten und fasten, aber nicht sich freuen. Weil der Wein des Menschen Herz erfreut, hat ihn Muhamed seinen Gläubigen verboten. Verfuhren da nicht jene Aebte und Aebtissinnen des Mittelalters, welche die Nachtigallen aus den Klostergärten exorcirten, consequenter, indem sie in ihnen Teufel witterten, welche nur kämen, den Mönchen und Nonnen Frühlingsgefühle in’s Herz zu singen, die sie nicht haben sollten? Möchte es nicht mit Rosen und Myrten am Ende dieselbe verzwickte Geschichte sein? Sind Blumen nicht die irdischsten und vergänglichsten aller Freuden?“

„Aber, behüte alter Freund, was mengt Ihr da zusammen? Die Blumenliebhaberei ist die unschuldigste aller Freuden dieser Erde: mit Recht lieben alle gute Menschen die Blumen, und die Frauen, ihrer Herzensgüte entsprechend, ganz besonders.“

„Wohl gesprochen, Pfarrer, ich hoffe auch, man wird lange suchen müssen, ehe man unter ihnen ein so schönheitsvergessenes Kind fände, daß es seine holden Schwestern aus der Pflanzenwelt nicht hegen und pflegen, geschweige denn sie gar verachten sollte. Die Frauen sind geborene Blumengärtnerinnen und ich denke mir, wenn Adam auf die Jagd gegangen ist, wird Eva einstweilen die Blumen im Paradiese begossen und gepflegt haben.“

So oder ähnlich möchte vor Zeiten ein Gespräch zwischen einem Gläubigen und einem Zweifler über die Blumen verlaufen sein. Heute ist uns die Ahnung aufgegangen, daß die Blumen nicht umsonst und nicht für Andere schön sind, sondern um ihres eigenen Vortheils und Besten willen, und daß die geborenen Blumenpflegerinnen, von denen wir eben hörten, seit früher Urzeit Vorgängerinnen gehabt haben, daß die Blumengärtnerei viel älter als die Gemüsezucht, ja beinahe so alt sein mag, wie die Viehzucht, welche den Darwin auf so besondere Gedanken gebracht hat. Die Untersuchung der „abgelegten Kleider der Natur“, das heißt der Erdschichten, zeigt uns in unwidersprechlicher Weise, daß es Zeiten gegeben hat, in denen unser Planet noch gar nicht mit Pflanzen geschmückt war, daß darauf solche folgten, in denen blumenlose Pflanzen, sogenannte Kryptogamen, das heißt verborgenblühende Gewächse, ihn mit einfarbigen ununterbrochen grünen Wiesen und Wäldern bekleideten.

Eine solche blumenlose Zeit war noch diejenige, in welcher sich die Steinkohlen ablagerten, und der Dichter, der uns sagt, daß die aus dem Steinkohlentheer gewonnenen Anilinfarben die auferweckten Farben der Blumen des Steinkohlenwaldes seien, hat sich eine kleine poetische Licenz erlaubt. Auf diese Urpflanzen, denen eigentliche Blumen ganz fehlten, folgten solche mit kleinen, unscheinbaren, meist graugrünen Blüthen, wie sie heute noch die meisten unserer Waldbäume, die Nesseln, Gräser etc. zeigen. Ehe wir aber weiter zusehen, wie die emsigsten aller Züchter aus diesen unscheinbaren Blüthen die stolzen Zierden der Tropenwälder und der Alpen erzogen haben, müssen wir uns eine kleine, sonderbare Frage vorlegen, nämlich die Frage, was denn so eigentlich eine Blume vorstellt?

Karl Linné, der große Reformator der Botanik, hat in einer hübschen, 1729 erschienenen Jugendarbeit, die den poetischen Titel führt: „Ueber die Hochzeit der Pflanzen“, zuerst eine richtige Deutung der Blume gegeben, indem er sie für das geschmückte Hochzeitshaus der Pflanze erklärte. Zwar waren schon vor ihm Ideen über Geschlechtsverschiedenheiten der Pflanzen ausgesprochen worden, aber erst von da ab brachen sich richtigere Vorstellungen über die Fortpflanzung der Gewächse, Frucht- und Samenbildung Bahn. Es zeigte sich, daß die wesentlichen Theile der Blüthe nicht diejenigen sind, welche durch bunte Farben und aromatische Düfte unsere Sinne erfreuen, sondern vielmehr einerseits jener rundliche Hohlkörper, welcher die Mitte der meisten Blüthen einnimmt und später zur Frucht auswächst, und andererseits die denselben meist in der Mehrzahl umgebenden Fädchen, welche an ihrer knopfförmig verdickten Spitze den allbekanten, meist gelben Blumenstaub aussondern, der, wenn wir unsere Nasen in gewisse Blumenkelche stecken, dieselben gelb färbt. Schon die Alten wußten, daß es, um die Pflanzen fruchttragend zu machen, darauf ankömmt, diesen Staub auf die mit dem Namen „Narbe“ bezeichnete, oft äußerst zierlich gebildete Eingangsöffnung des erwähnten Fruchtknotens zu bringen. Seit undenklichen Zeiten holen die Bewohner der Länder, in denen die Dattelpalme das hauptsächlichste Culturgewächs ist, Büschel der stauberzeugenden Blüthen, die hier und in ähnlichen Ausnahmfällen öfters nur auf besonderen männlichen Bäumen entstehen, und hängen sie in die Wipfel der weiblichen Bäume, um sich eine reichliche Fruchternte zu sichern.

Was in diesem Falle die Hand des Menschen bewirkt, errichtet in der Natur namentlich für diejenigen Pflanzen, bei denen die Geschlechter wie bei der Dattelpalme auf zwei Individuen vertheilt sind, meistens der Wind, indem er ganze Wolken jenes

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_050.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)