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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

leichten Blumenstaubes davonführt und den Narben der weiblichen Pflanzen zuträgt, welche, um ihn sicher zu fangen, oft wie eine Feder vielseitig zerfasert sind, wie wir sehr schön an den Blüthen unserer Getreidearten sehen können. Es ist leicht einzusehen, daß, um die Samenerzeugung dieser ältesten, durch den Wind befruchteten Samenpflanzen, zu denen unsere Nadelhölzer und manche andere Waldbäume, sowie die Gräser, Seggen, Wegebreitarten und andere gehören, zu sichern, eine ungeheure Menge Blumenstaub erzeugt und verschwendet werden muß, wie wir daran erkennen, daß durch einen Platzregen mitunter eine große Masse desselben als sogenannter „Schwefelregen“ niedergeschlagen wird. Es kann also auf diesem Wege die Fortpflanzung der Art nur mit einer ungeheuren Stoffvergeudung und mit großen Opfern an Kraft erkauft werden. Alle diese Pflanzen nun, welche der bei keiner Schönheit verweilende Wind befruchtet, haben unscheinbare Blüthen, denn die Natur putzt sich nicht umsonst und für den Wind.

Bei denjenigen farbenprangenden Blüthen, welche die deutsche Sprache in feinfühliger Weise als „Blumen“ unterscheidet, sehen wir die Staubfäden mit der Fruchtanlage meist in demselben Hochzeitshause vereinigt und man hatte lange stillschweigend angenommen, daß bei ihnen die Fruchtbildung einfach dadurch veranlaßt werde, daß die Staubfäden ihren Staub auf die in ihrer Mitte befindlichen Narbe ausschütten. Einige aufmerksame und liebevolle Blumenbeobachter des vorigen Jahrhunderts, die deutschen Naturforscher Kölreuter und Sprengel, bemerkten indessen zu ihrem nicht geringen Erstaunen, daß die Sache in der Mehrzahl der Fälle keineswegs so einfach verläuft, und daß namentlich alle die Blumen, welche sich durch lebhafte Farben, schöne Zeichnungen, durch starken Duft, Größe und durch absonderliche Formen auszeichnen, also namentlich die Blumen, denen wir unsere besondere Theilnahme zuwenden, geradezu eine Selbstbestäubung auf verschiedene Weise vereiteln und vielmehr durch Darbietung von Honig und Blumenstaubnahrung Insecten aller Art anzulocken suchen, um durch ihre Vermittelung mit fremdem Blumenstaube versehen zu werden. Sprengel wurde nicht müde, die oft sehr sinnreichen Veranlassungen zu beobachten und zu beschreiben, durch welche diese Blumennarben vor der Berührung mit eigenem Staube geschützt, und für die Zuführung des fremden vorgerichtet sind. An den bekannten Glockenblumen (Campanula) unserer Felder und Gärten hatte Sprengel beobachtet, daß die Staubfäden regelmäßig verstäuben und vertrocknen, ehe die Narbe derselben Blume so weit entwickelt ist, um ihren Staub aufnehmen zu können, und daß die Blumen durch ihre hängende Stellung den Honig, der sich im Grunde der Glocke absondert, vor der Auswaschung durch Regen schützen, um ihn ja und unverkürzt zur Anlockung von Insecten bereit zu halten, welche bei ihrer Gewohnheit, von einer Blume zu einer anderen derselben Art zu fliegen, den Blumenstaub später entwickelter Blumen mitbringen. In ähnlicher Weise deutete Sprengel 1787 den Nutzen gewisser Härchen in den aufrechtstehenden Blüthen des Wiesenstorchschnabels, sofern sie ebenfalls den Honig vor dem Ausgewaschenwerden durch Regen schützen, und erkannte immer deutlicher, daß den Blumen doch außerordentlich viel daran gelegen sein müsse, Insecten anzulocken und durch sie mit fremdem Blumenstaube versehen zu werden. Im darauf folgenden Jahre erkannte er, daß der schöngelbe Ring im Teller des himmelblauen Vergißmeinnicht unserer Wiesen zu nichts anderem da sein möchte, als um den Insecten als Wegweiser zur Honiggrube zu dienen, und fand so die Erklärung der Blumenzeichnungen und der sogenannten Saftmale, welche (wovon man sich besonders leicht an Lilien, Orchideen, Nelken etc. überzeugen kann) stets sicher zur Honiggrube geleiten.

Sprengel entdeckte ferner eine Menge der merkwürdigsten Specialeinrichtungen verschiedener Blumen, die alle, wenn auch in ungleichster Gestalt, darauf abzielen, die besuchenden Insecten theils mit den Blumenstaubträgern, theils mit der Narbe in Berührung zu bringen, z. B. diejenige des Garten- und Feldsalbey, deren Staubfäden einem beweglichen Pumpenschwengel gleichen, dessen Griff die eindringenden Insecten nothwendig bewegen müssen, um dadurch sofort eine Douche von Blumenstaub auf sich herabzupumpen, den sie dann den Nachbarblüthen zutragen. Eine ähnliche Einrichtung fand er bei vielen mit sogenannter Schmetterlingsblüthe versehenen Gewächsen, zu denen Bohnen, Wicken, Klee, Ginster etc. gehören. Wenn nämlich Insecten auf diese Blumen fliegen und sich auf dem natürlichen Landungsplatze derselben, den „Flügeln“, niederlassen, so drücken sie das bisher in dem „Schiffchen“ eingeschlossene Staubfädenbündel mitsammt der Narbe heraus und gegen ihren Unterkörper, wobei einzelne Blüthen ihren Staub explosionsartig entleeren. Sprengel veröffentlichte im Jahre 1793 sein Werk über „Das neuentdeckte Geheimniß der Natur im Baue und in der Befruchtung der Blumen“, in welchem er seine Ansicht dahin äußerte, daß der Blumenschöpfer die Blumen darum so reich mit allerlei Anziehungsmitteln ausgestattet habe, damit sie den Insecten eine „anziehende Erscheinung“ sein sollten, sofern sie nämlich deren Mithülfe bedürften, um Samen zu erzeugen.

Die Annahme, daß die Blumen nicht für den Menschen, sondern für die Insecten mit lebhaften Farben, Zeichnungen, Düften ausgestattet seien, war der erste Schritt zu einer Deutung des Blumenräthsels. Aber dieser auf sorgfältigste Studien gebauten Theorie fehlte der Schlußstein, nämlich die Antwort auf die Frage, warum sich die Blumen nicht allgemein, wie es einzelne von ihnen thun, des selbstproducirten Blumenstaubes bedienen, um die jungen Samenanlagen zu befruchten? Diese offenbare Lücke in der Schlußfolge verurtheilte das Sprengel’sche Werk, obwohl es einen wahren Schatz der köstlichsten Beobachtungen enthält, zu einer mehr als sechszigjährigen Unfruchtbarkeit. Nun sprach zwar bald darnach der englische Naturforscher Andrew Knight das erlösende Wort, indem er zeigte, daß die durch Fremdbestäubung oder Kreuzung der Blumen hervorgehende Nachkommenschaft kräftiger ist, als die durch Selbstbestäubung entstandene, allein dem so abgerundeten Gedankensproß fehlte vorerst die richtige Luft, um gedeihen und Frucht tragen zu können.

Dieses günstige Klima für das Fruchttragen der Sprengel’schen Arbeiten brachte erst die Weltanschauung des großen britischen Naturforschers, nach welcher im weiten Naturhaushalte alle Mittel gelten, um sich im allgemeinen Kampfe um’s Dasein zu behaupten, und am meisten die, welche eine vortheilhafte Abänderung mit sich bringen. Es erhob sich alsbald die Frage: kann die Schönheit gewisser Blumen denselben auch einen besondern Vortheil im Existenzkampfe eintragen? Sogar im Menschenleben bezweifelt Niemand, daß die Schönheit nützlich sei. Man pflegt von einem wohlgebildeten Menschenkinde zu sagen, ihm sei damit ein großes Geschenk mit auf seinen Lebensweg gegeben worden. Freilich hat die Sache auch ihre Kehr- und Schattenseite. Schöne Menschen werden durch Verhätschelung, Aufmerksamkeiten, allseitiges Entgegenkommen, Huldigungen etc. sehr häufig moralisch verdorben, und der Vortheil der Schönheit wird durch ihre Nachtheile häufig aufgehoben. Bei den Blumen sind diese Nachtheile nicht zu fürchten. Je auffallender schön eine Blume ist, desto sicherer zieht sie ihre Insecten an, desto bestimmter wird ihre kräftigere Nachkommenschaft in insectenarmen Jahren diejenige der weniger schönen Collegin mit gleichen Lebensansprüchen aus dem Felde schlagen können. Die Blume ist also weder für den Menschen, noch für die Insecten, sondern nur um ihrer selbst willen schön. So lautet diese Lösung eines der größten Naturräthsel.

Darwin wendete seine Aufmerksamkeit bald nach der Veröffentlichung seiner Theorie (1859) den Wechselbeziehungen zwischen Blumen und Insecten zu, und nachdem er eine bestimmte Blumenfamilie (die Orchideen) zum Gegenstande seines Specialstudiums gemacht, wies er in seinem Buche über dieselben (1862) im Einzelnen nach, wie diese durch das Bizarre ihrer Formen ausgezeichneten Blumen immer so gebaut sind, daß die Insecten, welche ihrem Honig nachgehen, sich den Blumenstaub, der zwei Kölbchen bildet, stets wie ein Geweih auf den Kopf befestigen müssen, um ihn der nächsten Blume zuzutragen. Die Lücken der Einzelbeobachtung, welche Sprengel und Darwin auf diesem ungeheuren Arbeitsfelde gelassen, sind seitdem durch deutsche, italienische, schwedische und englische Forscher, von denen wir Hildebrandt, Hermann Mueller, Delpino, Axell und Lubbock nennen wollen, in reichsten Maße ausgefüllt worden, wobei die wunderbarsten gegenseitigen Anpassungen entdeckt wurden, sodaß man jetzt zu schließen berechtigt ist, daß Blumen und honig- oder blumenstaubsuchende Insecten Organismen sind, die sich gegenseitig angepaßt haben und darum bis in’s Einzelne ergänzen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_051.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)