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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


schrecklich und grausam, daß man sich von Rechts wegen hätte fürchten sollen.

Madame Jeffé ließ sich erst in den letzten Tagen vor unserer Abreise sehen und machte, wie bemerkt, keinen vorteilhaften Eindruck. Sie hat dann allerhand Räubergeschichten über uns verbreitet, die von der französischen Presse mit Wohlgefallen nacherzählt wurden. Unter Anderem sollten wir ihr Silberzeug und ihre Tischwäsche eingepackt und mitgenommen haben. Auch habe ihr Graf Bismarck eine werthvolle Pendule entführen wollen. Die erste Behauptung war eine einfache Abgeschmacktheit, da das Haus kein Silberzeug enthielt; es müßte sich denn in einer vermauerter Ecke des Kellers befunden haben, die auf ausdrücklichen Befehl des Chefs ungeöffnet blieb. Die Geschichte von der Pendule aber verlief in ganz anderer Weise, als Madame sie unter die Leute gebracht hat. Die Uhr war die mit dem kleinen bronzenen Dämon im Salon. Die Jeffé bot dieses an sich ziemlich werthlose Möbel dem Kanzler in der Voraussetzung, das Teufelchen daran werde ihm als Zeuge wichtiger Vorgänge von Werth sein, zu einem exorbitanten Preise an. Ich glaube, sie verlangte fünftausend Franken dafür. Sie erreichte aber ihre Absicht, damit ein gutes Geschäft zu machen, nicht, da das Anerbieten der habgierigen und für die rücksichtsvolle Behandlung ihres Hauses undankbaren Frau abgelehnt wurde. „Ich erinnere mich,“ erzählte der Minister später in Berlin, „daß ich dabei die Bemerkung machte, das koboldartige Bildchen an der Uhr, welches eine Grimasse schnitt, könnte ihr als Familienportrait ein liebes Besitzthum sein, und dessen wollte ich sie nicht berauben.“





Milo vom fünfzehnten Regiment.

Es war im Jahre 1864, als nach langem und eintönigem Friedens- und Garnisons-Leben die Kriegstrompete erschallte, um die schleswig-holsteinischen Landeskinder vom dänischen Drucke zu befreien. In langen Reihen zogen die Regimenter aus den alten Heerstraßen nach Norden; mit Sang und Klang ging’s zum frischen fröhlichen Krieg hinaus. Der wohlbeleibte Commandeur des ersten Bataillons des damaligen fünfzehnten Infanterieregimentes in Minden hatte das Zeichen zum Rendezvous geben lassen. Die einzelnen Compagnien sammelten sich truppweise um ihren Führer, warfen das feldkriegmarschmäßige Gepäck bei Seite und gruppirten sich rechts und links zur Seite des Chausseegrabens. Die jugendlich kräftigen Gestalten, lauter Söhne der „rothen Erde“, fühlten trotz ihres frischen Muthes das Bedürfniß nach ein wenig Ruhe. Galt es ja doch augenblicklich auch nur, die blanken Waffen gegen den so beliebten Pumpernickel und westfälischen Schinken zu führen, welcher nebst obligatem „Schluck“ dem Brodbeutel behaglich entnommen wurde.

„Was ist Dir, Milo?“ schallte es aus dem Munde einiger Cameraden dem sonst so heiteren Flügelmanne entgegen. „Schmeckt’s nit, was Dir das Gretche noch beim Abschied eingepackt? Trink’, Bruder, und sei lustig! Es geht ja in den Krieg.“ Der Angeredete reckte seine riesige Körpergestalt bei den letzten Worten hoch auf, erfaßte krampfhaft die dargebotene Feldflasche und leerte sie bis zur Nagelprobe. „So, das that wohl,“ rief er kopfnickend, „aber essen, nein, essen kann ich nit.“ Fast in demselben Augenblicke entstand eine allgemeine Aufregung unter den frühstückenden Soldaten. Ein Hund kam querfeldein auf drei Beinen dahergehinkt. Die Zunge hing dem Thiere aus dem mit Schaum bedeckten Maule, und erschöpft vom Laufe blieb er zu Milo’s Füßen liegen. „Nimm Dich in Acht, Milo! Der Hund ist toll,“ rief es von allen Seiten; „rührt ihn nicht an!“ Erschreckt wichen fast Alle vor dem erschöpft auf dem Boden liegenden Thiere zurück, nur Milo allein fühlte keine Scheu. Er reichte dem willkommenen Gaste das verschmähte Frühstück, welches das Thier brockenweise mit heißhungeriger Gier verschlang. Die in der Nähe befindlichen Officiere waren gleichfalls auf den Hund aufmerksam geworden.

Der Hauptmann, der soeben mit dem Compagniearzt herantrat, rief: „Nun Doctor, was meinen Sie – scheint Ihnen das Thier gefährlich?“ - „Wir wollen sehen – Wasser herbei!“ Schnell hatten einige der Soldaten dem Befehle Folge geleistet und die bereits entleerten Feldflaschen in einer in der Nähe befindlichen Lache mit Wasser gefüllt. Man reichte dies dem halb verschmachteten Hunde im Deckel eines Kochgeschirres, und mit sichtlichem Behagen leckte derselbe die kühlende Labung hinunter. „Das ist ein sicheres Anzeichen, Herr Hauptmann, der Hund ist nicht wasserscheu, mithin auch ungefährlich.“ Mittlerweile hatte Milo schon den blutenden Hinterfuß seines Schützlings erfaßt und mit Geschick einen langen Holzsplitter aus demselben entfernt. Die Wunde wurde ausgewaschen, das Verbandszeug herausgeholt und ein schnell zurecht geschnittener Streifen Leinewand um den kranken Fuß gebunden. Das Thier leckte mit sichtbarer Dankbarkeit seinen Wohlthäter die Hände und richtete die klugen Augen auf die Umstehenden, gleichsam, als wollte es sagen: das werde ich Euch niemals vergessen, Ihr Lieben. Von diesem Moment ab wich der Hund nicht mehr von der Seite seines Wohlthäters. „Und er gehört der Compagnie,“ rief es in der Runde, „und soll so heißen wie unser Flügelmann: ‚Milo‘.“ Der Hauptmann nickte Beifall, meinte aber zweifelnd: wenn er nur bleibt. Und er blieb. – Woher der braun- und weißgefleckte Hühnerhund gekommen, ob er sich auf der Jagd oder sonst wo verlaufen, das kümmerte von jetzt ab Niemand mehr. Auf dem rechten Flügel, dicht an der Seite seines gleichnamigen Wohlthäters, hielt Milo gleichen Schritt mit der Compagnie. Und so blieb es während des ganzen grausig kalten Feldzuges.

Die Officiere und Mannschaften der Compagnie wetteiferten mit einander in der Pflege des treuen Hundes und theilten nicht selten den letzten Bissen Brod mit ihm. Als aber das fünfzehnte Regiment in seine Garnison Minden zurückkehrte, da war auch Milo noch an der Spitze der ersten Compagnie zu finden. Schwer wurde dem Flügelmann der Abschied von dem treuen Genossen, als er, zur Reserve entlassen, in seine Heimath abging und sehen mußte, wie Milo sich entschied bei seiner Compagnie zu verbleiben. Der rechte Flügel war und blieb der Platz, welchen der treue Compagiehund bei allen größeren Exercitien behauptete. Fand ihn der Hauptmann bei solcher Gelegenheit nicht an seinem Platze, dann war sicher dessen erste Frage: „Wo ist Milo?“

Die schönsten Feiertage für den Hund waren diejenigen, an welchen sich die Compagnie auf Wache befand. An solchen Tagen pflegte Milo den Leib sorglos auf den Lagern der postenstehenden Soldaten, er wußte genau, daß diese ihn nicht überraschen konnten. In den Nachmittagsstunden jedoch suchte er seine Leute auf. Trat dann die Wache in’s Gewehr, so faßte Milo neben dem wachhabenden Unterofficier Posto und verfolgte mit den Augen die passirenden Officiere in vollkommen militärischer Weise, sodaß jene nicht selten zur Heiterkeit gestimmt wurden. Zum großen Herbstmanöver, welches im nächsten Jahre stattfand, sollte Milo in der Garnison zurückbleiben. Aus diesem Grunde hatte man ihn in eine im ersten Stock gelegene Kammer eingesperrt. Die Klagetöne, welche der Hund hierüber erhob, verstummten erst gegen Morgen. Man glaubte, er sei eingeschlafen, doch er war ausgeflogen. Die zerbrochene Fensterscheibe zeigte, welchen Weg das treue Thier genommen, nun seiner lieben Compagnie nachzueilen.

„Milo ist da,“ klang es andern Tags von Mund zu Mund in der sechs Meilen weit von Minden entfernt marschirenden Compagnie. „Milo ist aus der Festung ausgerückt.“

„Aber er muß hinter der Front bleiben,“ lautete der Befehl des Hauptmanns, „wir sind hier nicht im Felde.“

Dies geschah freilich nicht immer. Der Spürsinn des Jagdhundes machte hier seine Rechte geltend; wenn es durch Kraut- und Rübenfelder ging, dann blieb er eben nicht hinter der Front. Zum großen Gaudium Aller trug er sogar eines Tages einen angeschossenen Hasen herbei und legte denselben pflichtschuldigst zu den Füßen des Feldwebels nieder. Mann befand sich gerade im Bivouac. Das Wild wurde unter Jubel am provisorischen Spieße gebraten, und der Hauptmann theilte lachend mit den Officieren der Compagnie die im Deckel eines Kochgeschirres dargereichten Keulen. Das beendete Manöver

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_068.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)