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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Rand hin geworfen, sodaß sich hier ein niedriger Damm gebildet hatte, der nun das Eindringen des Regenwassers hinderte. Einige große Steine waren bloßgelegt.

„Da haben wir zu unserer größeren Bequemlichkeit auch eine Bank,“ scherzte er, um sie zu ermuthigen. „Was fehlt uns noch?“ Sie fühlte sich zum Umsinken ermattet und nahm gern neben ihm Platz.

Blitz auf Blitz züngelte durch das schwarze Gewölk; der Donner rollte fast unaufhörlich; der Regen prasselte nieder; die Wellen brandeten wuchtig unter ihnen. Irmgard deckte die Hände über die Augen. „Es ist, als ob die Welt untergehen sollte,“ sagte sie nach einer Weile. „Und wer weiß – am Ende geht sie auch unter.“

Er lachte, aber er fühlte sich doch nicht ganz wohl dabei. Die Angst des lieben Mädchens schien ihm ganz gerechtfertigt, und er wußte sich verantwortlich für dessen Wohl und Wehe. „Wenn es wirklich so schlimm kommen sollte,“ antwortete er, „so wäre es mir wenigstens ein Trost, daß wir beisammen sind.“

„Mir auch,“ sagte sie leise.

Die zwei Worte klangen ihm wie eine süße Melodie durch den Gewittersturm. Er entgegnete darauf nichts, rückte aber auf dem Steine ein wenig seitwärts, bis sein Arm ihre Schulter berührte. Sie merkte es und lehnte sich an ihn.

„Es ist recht schauerlich,“ begann sie nach einer Pause wieder. „Wenn auch die Welt nicht untergeht, es könnte doch sein, daß wir Beide …“

„Was fürchten Sie?“

„Eigentlich nichts – aber doch! Daß uns hier ein Blitz trifft oder daß der Boden weicht und wir in die See hinabstürzen, oder sonst ein Unfall –“

„Hoffen wir, daß nichts der Art geschieht!“

„Aber bereiten wir uns doch auf das Schlimmste vor!“ Sie faltete die Hände und blickte eine Weile vor sich hin. Dann sagte sie leise und zögernd: „Es muß schön sein, in solchem Moment ein ganz reines Gewissen zu haben.“

„Daran fehlt es Ihnen doch gewiß nicht.“

„Wer weiß?“

„Was könnten Sie, Irmgard –?“

„Nicht wahr, Sie sind in den letzten Tagen mit mir recht unzufrieden gewesen? Deshalb gingen Sie fort…“

„Wie dürfte ich …“

„Nein, nein! Sagen Sie’s nur gerade heraus! Und Sie haben auch Grund dazu gehabt. Ich war nicht aufrichtig gegen Sie – ich hatte etwas, das ich Ihnen nicht meinte sagen zu können. Sie glauben nicht, wie mich das gequält hat. Und jetzt …“

„Wenn’s ein Geheimniß ist, so will ich es achten; seien Sie deshalb ganz ruhig!“

„Aber ich fühle, daß es vor Ihnen kein Geheimniß sein darf. Lassen Sie mich Ihnen Alles beichten!“

Sie wendete ihm dabei das Gesicht zu und sah ihn mit ihren unschuldigen blauen Augen so voll Innigkeit und Vertrauen an, daß ihm ganz wundersam zu Muthe ward. Jetzt oder nie! tönte es aus seinem Herzen herauf.

„Wohl! ich will Ihre Beichte anhören,“ sagte er, indem er ihre beiden Hände faßte und ihr freundlich zunickte; „aber dann erst, wenn ich weiß, daß ich ganze Macht über Ihr Herz habe – daß ich binden und lösen kann, wie ein Priester, dem sich die Seele öffnet.“

Nun wurde ihr recht beklommen zu Muthe. Sie senkte ängstlich den Blick und zog die Arme straff, als könnte sie ihn so ferner halten. „Eine Stunde wie diese,“ fuhr er fort, „kehrt nicht so leicht wieder, wo wir ganz abgeschlossen von der Welt nur mit einander sind, als wären wir Zwei die einzigen lebenden Wesen. Irmgard – was kümmert uns der Sturm der Elemente, wenn in uns Friede ist? Lassen Sie uns mitten im Aufruhre der Natur einen Bund für’s Leben schließen, der uns den Frieden giebt! Ich fühl’s, daß wir einander bestimmt sind – es wäre ein Frevel, wenn wir die Stimme des Herzens nicht hören wollten, die doch so laut spricht. Irmgard – ich liebe Sie. Und wenn Sie mir die Wahrheit sagen wollen …“

Sie ließ ihn nicht aussprechen, machte ihre Hände los, legte sie auf seine Schultern und barg das glühende Gesicht an seiner Brust. „Ist es denn wirklich…“ fragte sie mit bebenden Lippen. „Ist das – Liebe –? Ach! nun könnte ich glücklich sterben.“

„Nicht sterben – leben!“ rief er, indem er sie stürmisch an sich zog und ihren Mund mit Küssen bedeckte. „Du sollst gar nicht mehr an den Tod denken, nur an das Leben. Mag’s lang oder kurz währen, es wird unser sein in Liebe. Sage mir: Du liebst mich!“

„Ja – ja! in alle Ewigkeit!“

„Ach! wie glückliche Menschen wir sind!“

„Wie glückliche Menschen!“ wiederholte sie und schmiegte sich zärtlich an ihn.

So saßen sie eine Weile Arm in Arm und vergaßen, daß ihnen Gefahr drohte, und sahen und hörten von dem Unwetter draußen nichts. Da plötzlich zuckte ein Blitz dicht vor ihnen nieder, daß der grelle Lichtschein sie blendete, und in demselben Augenblicke folgte ein Donnerschlag, der den Berg erschütterte. Von der Höhe herab stürzte ein entwurzelter Baum, schlug auf den Vorsprung am Eingange der Höhle auf und polterte in die Tiefe. Irmgard riß sich ganz entsetzt los und starrte hinauf.

„Das war eine Mahnung vom Himmel –“ sagte sie zitternd.

„Ach Gott! ich vergaß …“

„Das Gewitter zieht vorüber,“ suchte er sie zu beruhigen. „Höre nur: der Donner rollt schon hinter uns – ein solcher Schlag wird Dich nicht mehr erschrecken, Liebste. Ueber der See wird’s hell – in einer halben Stunde haben wir wieder das schönste Wetter.“

Sie achtete nicht darauf, hielt ihr Tuch vor die Augen und weinte schluchzend. Er wollte sie an sich ziehen, aber sie wehrte jetzt ab. „Nein, Sie können mich nicht lieb haben,“ sagte sie. „O, mein Gott! Sie wissen nicht …“

„Was weiß ich nicht? Was brauche ich zu wissen –? Liebst Du mich nicht? Weiß ich nicht Alles in dem Einen?“

„Und doch – doch! Ach – das war’s ja, was ich beichten wollte. Ich habe Menschenglück zerstört, und nun straft sich’s an mir, daß auch ich nicht glücklich werden kann – nie, nie!“

Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Wessen Glück kannst Du zerstört haben?“ fragte er. „Einbildungen, Irmgard!“

„Meiner Mutter Glück!“ rief sie. „Ich weiß nun, was Liebe ist – und sie liebte.“

„Sie liebte?“

„Den Maler Max Werner.“

„Meinen Oheim? So war sie’s wirklich?“

„Sie hatten einander vor einem Jahre das Wort gegeben, wie wir einander heute – und ich stellte mich zwischen sie und litt nicht, daß sie bei einander blieben. Nun stellen sie sich zwischen uns – und wir müssen scheiden wie sie.“

Sie nahm seine Hand, drückte sie auf ihr Herz und stand rasch auf, sich zum Gehen wendend. Er verstand nun, was ihre Mutter bekümmert, sie selbst so schwer beunruhigt hatte. Eine Secunde lang wurde es ihm dunkel vor den Augen. Dann aber gewann er wieder allen Lebensmuth zurück. „Blicke hinaus, Irmgard!“ sagte er mit weicher und doch sicherer Stimme. „Eben noch war die ganze Natur in Aufruhr und Empörung. Es schien als wollte der Himmel mit seinen dunkeln Wolkenmassen alles Lebendige auf der Erde ersticken, der Sturm die Wälder brechen, die Meerfluth das Land fortspülen … und nun ist das blaue Himmelsgewölbe wieder so hoch und weit, wie es von Anbeginn war; die schäumenden Wellen glätten sich, Regen und Sonnenschein wechseln. Sollen wir darüber klagen? Das Leben hat Tag und Nacht; manchmal ist auch sein Tag dunkel und seine Nacht sternenhell.“

Sie hatte die Fingerspitzen an die Unterlippe gelegt und schob sie gegen die kleinen Zähne hin und her, den Mund halb öffnend. Nun nickte sie nachdenklich, wandte sich aber nicht zu ihm zurück. „Gehen wir!“ sagte sie nach einer Weile, „man wird besorgt um uns sein.“

„Irmgard –!“ bat er. Er wollte sie umfassen, aber sie trat schnell einen Schritt vor. „Wir dürfen nicht –“ wehrte sie erröthend ab. „Sie wissen das Schlimmste noch nicht. Aber vielleicht – vielleicht … Es bleibt noch eine Hoffnung. Kommen Sie! Auch das sollen Sie erfahren.“

„Wenn Du mich liebst, Irmgard –“

Sie kämpfte mit sich. „Ich hab’s ja gesagt – und es ist gewißlich wahr. Aber ich darf nicht – ich habe … Nein,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_111.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)