Seite:Die Gartenlaube (1878) 112.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


nicht hier! kommen Sie!“ Sie führte ihn auf den Vorberg hinaus. „Der Strand ist wieder frei, wir können unten entlang gehen bis zur Schlucht.“

„Ich wollte, es hätte nicht so bald ausgestürmt,“ bemerkte er, verstimmt durch ihr zaghaftes Ausweichen.

Sobald nur die steinige Ecke überwunden war, an der die Wellen noch immer kräftig brandeten, hatten sie einen leicht gangbaren Weg bis zu dem Ufereinschnitt, der zum Gasthause neben der Oberförsterei hinausführte. Als sie neben einander schweigend – sie hatten Beide nicht den Muth, von persönlichen Dingen zu reden – durch die Schlucht gingen, glaubte er ein leises Schluchzen zu vernehmen. „Du weinst, Liebste?“ fragte er.

Sie antwortete nicht.

„Aber was ist Dir? Wer uns so sähe, könnte schwerlich in uns zwei Menschen errathen, die in der jüngsten Stunde ihres Glückes gewiß geworden.“

Sie schluchzte heftiger. „Ihres Glückes –! Ach, daß ich vergaß …! Das Herz ist mir so bekümmert, und ich weiß gar nicht, wie ich’s tragen soll.“

„Was, Liebste?“

„Daß wir einander nicht angehören können.“

„Irmgard –!“

„Nein, nein –! Es ist so; glauben Sie mir!“

„Das wäre ein unseliger Glaube, Irmgard. Weshalb in aller Welt –“

„Ich habe meiner Mutter ein feierliches Versprechen gegeben, nie … nie mich von ihr zu trennen.“

„Aber sie wird nun auch meine Mutter sein; wir trennen uns nicht von ihr.“

„Nein – nicht so. Werner’s wegen –“

„Um diese Heirath zu hindern, Irmgard?“

„Ja, ja – deshalb. Und es ist nun alles aus.“

Er begriff den ganzen Zusammenhang der Geschichte, er wußte jetzt, weshalb er berufen war, den Bauplan eines Hauses der Barmherzigkeit vorzulegen. „Das darf nicht sein,“ rief er. „Wie konnte ein solches Versprechen ernst gemeint und ernst genommen sein? Deine Mutter ist herzensgut –“

„Ja! Aber ich habe ihr zu wehe gethan, Wie könnte ich je von ihr fordern –“

„Nicht Du, aber ich.“

„Nein, auch Du nicht.“ Sie erschrak über das vertrauliche Du, das ihr unwillkürlich entschlüpft war. „Warten Sie ab! Ich habe … Vielleicht fügt sich’s glücklich –“

„Worauf sollen wir warten, Irmgard? Nein, hier kann nur ganze Offenheit zum Ziele führen. Ich fordere die Hand des Mädchens, das ich liebe und das mich liebt.“

Sie faßte seinen Arm. „Das darf nicht geschehen.“

„Das wird geschehen,“ antwortete er mit männlicher Entschiedenheit. „Verleugne mich, wenn Du kannst!“ Er umfaßte sie schnell und drückte einen Kuß auf ihre Stirn.

Noch einige Stufen aufwärts, und das Gasthaus war in Sicht. Alle Fenster waren weit geöffnet. Vom Saal her tönte ihnen Tanzmusik entgegen. Die leichte Jugend hatte sich durch das Unwetter in ihrer Lustbarkeit nicht stören lassen und schnell war ein Ball improvisirt worden.

„Wir wollen nach Hause gehen,“ sagte Irmgard, den Schritt hemmend. „Jetzt in diese Gesellschaft –“

„Aber warum nicht froh sein mit den Fröhlichen?“ entgegnete er. Sein Muth belebte den ihren. Sie folgte ihm –: er hatte Macht über sie. Ihr Eintreten brachte einige Unruhe in die Gesellschaft. Frau von der Wehr war wirklich schon wegen des langen Ausbleibens ihrer Tochter besorgt gewesen. Nun drängte Alt und Jung hinzu, um zu fragen, wie’s ihnen ergangen sei. Harder berichtete das Vorgefallene kurz.

Der Tanz war unterbrochen worden, und die Gesellschaft sammelte sich allmählich auf dem breiten Balcon. Man arrangirte allerhand Spielchen und vergnügte sich auf’s Beste, bis nach dem schönsten Sonnenuntergang und einem gemeinsamen Abendessen auf einem entsetzlich verstimmten Waldhorn zur Abfahrt geblasen wurde. Die Insassen des zerbrochenen Wagens fanden hier und dort glücklich ein Unterkommen. Irmgard hielt sich zu ihrer Mutter. So kam es, daß Harder neben ihr keinen Platz fand. Er suchte nun auch nicht einen andern, verschwand im Gebüsch, ließ die Fuhrwerke abfahren und ging zu Fuß nach Rauschen zurück. –

Am andern Morgen, so früh es ihm irgend schicklich scheinen wollte, stieg Robert Harder zu dem Häuschen hinauf, in dem die Damen wohnten. Irmgard mußte ihn wohl bemerkt haben; sie floh wie ein gescheuchtes Reh aus dem Garten in einen Versteck im Hause. Harder ließ Frau von der Wehr hinausbitten; er habe ihr eine wichtige Mittheilung zu machen, bei der sie ganz ungestört sein müßten.

Sie kam in’s Zelt, und dort sagte er ihr, daß er Irmgard liebe und unter welchen Umständen er ihr gestern seine Liebe gestanden habe. Frau von der Wehr schien kaum überrascht zu sein. Einen Augenblick war’s, als ob aus diesem ernsten, bleichen Gesicht die Freude aufblitzen wollte, aber gleich wieder glitt ein finsterer Schatten darüber hin, und das Lächeln, das um den Mund stehen blieb, war so bitter, daß dem jungen Freier schnell die Hoffnung schwand, ohne Widerspruch zum gewünschten Ziele zu gelangen.

„Ich habe wohl geahnt,“ sagte sie, „daß es dahin kommen werde,“ und nach einigem Bedenken: „Was hat Irmgard Ihnen geantwortet?“

„Daß sie mich liebe, wie ich sie,“ versicherte er mit leidenschaftlicher Wärme und doch den Blick senkend.

„Und nur das?“ fragte sie.

Er überwand seinen Unmuth. „Nein. Auch das noch, daß sie mir nicht angehören könne, weil sie Ihnen das Wort gegeben, ledig zu bleiben.“

In die Stirn der schönen Frau furchte sich zwischen den Augenbrauen eine tiefe Falte; der Mund zuckte, als ob er sprechen wollte und nicht könnte. „Sie hat die Wahrheit gesprochen,“ sagte sie nach kurzem Nachdenken. „Irmgard hat sich – freiwillig – gebunden.“

„Und Sie wollten –?“

„Ich will nichts. Es ist eine unwandelbare Thatsache.“

„Das unüberlegte Versprechen eines Kindes –“

„Nicht das. Aber weshalb es gegeben wurde –!“

„Ich weiß Alles. Irmgard hatte von Ihnen ein Opfer gefordert; sie glaubte sich verpflichtet, dagegen ein Opfer zu bringen. Aber sie begriff dessen Größe gar nicht –“

„Mag sein. So wenig wie mein Leid.“

„Und doch soll sie so schwer büßen, als hätte sie’s Ihnen bewußt zugefügt? Nein, das kann Ihr Wille nimmer sein.“

Frau von der Wehr athmete gepreßt. „Mein Wille – nein, aber mein Wille entscheidet nicht. Ich habe Irmgard zu nichts verpflichtet, habe mich nur meines Kindes Wunsch gefügt. Ihr Versprechen … bindet sie, nicht mich. Kann sie sich selbst davon lösen – wohl! Ich werde sie nie daran erinnern.“

Er nahm ihre Hand und küßte sie. „Seien Sie gütig!“ bat er. „Keinen Augenblick habe ich gezweifelt, daß Sie Ihr Kind frei sprechen würden. Wie ich Sie kenne und verehre, werden Sie es nicht über das Herz bringen, zu sagen: ‚Weil ich nicht glücklich bin, sollst auch Du es nicht sein.‘ Aber das ist nicht genug, lange nicht genug. Was Sie thun, müssen Sie ganz thun – sonst ist’s gar nicht gethan. Irmgard fühlt sich Ihnen schwer verschuldet. Sie müssen die Schuld von ihr nehmen, wie man dem geliebten Menschen eine Thräne des Kummers vom Auge fortküßt. Sie dürfen sich nicht zwischen ihr Gewissen und ihre Liebe stellen und ihr zurufen: ‚Wähle! Ich will Deine Wahl gelten lassen, aber wähle!‘ Sie hat schon gewählt, sie glaubt entsagen zu müssen. Aber nie mehr wird sie ihres Lebens froh werden. Es handelt sich um das Glück Ihres einzigen Kindes – bedenken Sie das, und machen Sie ihr die Wahl leicht!“

Die unglückliche Frau sah finster vor sich hin. „Ich soll sie bitten, ihr Wort zu brechen –“ murmelte sie, „ich sie bitten, glücklich zu sein und das Leid zu vergessen, das sie mir zugefügt! Soll froh und zufrieden scheinen, damit sie’s vergessen kann!?“ Sie stand auf. „Fordern Sie nicht Unmenschliches von mir! Noch einmal. Irmgard ist frei – sie kann über ihre Hand verfügen, über ihr Vermögen … Ich zwinge sie nicht, sich Wort zu halten. Sie sind mir lieb und werth – schon seinetwegen –! Keinem gebe ich mein Kind so gern wie Ihnen …“ Aus ihren Augen tropften große Thränen. „Aber mehr – kann ich nicht – darf ich nicht – will ich nicht …“

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_112.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2018)