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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

tonsurirter Bischöfe mit zerbrochenen Hirtenstäben, knüppelschwingender Socialdemokraten, Gründer und Fürsten, flüchtig über die Trümmer gefallener Banken und befleckter Wappenschilder; – das die Symbolisirung unserer Culturkämpfe um die Freiheit des Geistes in Kirche und Wissenschaft, unserer Bestrebungen um Förderung des Volkswohls.

An dem andern Seitenrande des Gemäldes endlich steigen in langer Reihe die Märtyrer geographischer Forschung hernieder. Wir erkennen vor Allem die Heroen der Afrikareisenden: Rohlfs, Schweinfurth, Nachtigal, Falkenstein, der unsern darwinischen Erzvater Gorilla sorgsam in liebender Umarmung pflegt, Cameron und endlich Stanley an der Küste von Loango mit seiner verhungerten treuen Schaar schwarzer plattnasiger Wollköpfe.

Auf dieser letzten Gruppe meist verkümmerter Gestalten weilt das Auge mit erhöhetem Interesse, weil sie Gedanken wachruft von höheren idealen Anstrengungen im Dienste der Wissenschaft und der Civilisation, weil sie Hoffnungen weckt auf reellere Culturkämpfe im Dienste der Humanität, der Befreiung und Sittigung von Millionen in Thierheit und Sclaventhum verkommener Menschen. Ist doch die afrikanische Entdeckungsfrage unsere eigentliche orientalische Frage, die Mündung und Schiffbarkeit des Congo wichtiger als die Sulinamündung und Schiffbarkeit der unteren Donau, der afrikanische Fetisch- und Schlangencultus lehrreicher als der fanatische Zank der Schriftgelehrten und Gottesmänner, der Verkehr mit den Menschenfressern an den Katarakten des Congo ersprießlicher als der mit den Zollbeamten an der Grenze moskowitischer Länder. Kurz, die Entdeckungsfrage Afrikas ist eine brennende Frage des Tages, und ihrer Lösung weihen Staatsregierungen, wissenschaftliche Vereine, einzelne Männer von glühender Begeisterung reiche Mittel, heldenkühnste Ausdauer.

Dreiundzwanzig Jahrhunderte, wie zu Zeiten Herodot’s, liegt das Sinnbild des Räthsels, die Sphinx, unter dem Wüstensand Aegyptens an der Europa zugekehrten Schwelle des afrikanischen Erdtheils. Wie zu Herodot’s Zeiten hieß es Jahrhunderte lang: „Aus Afrika kommt immer etwas Neues“. Aber wie viel Neues sich auch gehäuft, wie manche vereinzelte geographische Räthselfragen auch gelöst worden, noch bis vor wenigen Jahren konnte man mit dem Dichter klagen:

„Jahre lang schöpfen wir schon in das Sieb und brüten den Stein aus,
     Aber das Sieb wird nicht voll, aber der Stein wird nicht warm.“

Unseren Tagen, und nicht zum geringen Theil deutschen Männern, war es vorbehalten, das Sieb zu füllen, den Stein zu erwärmen.

Eine Karte von Afrika, welche die entdeckten Ländergebiete nach den Nationalitäten, die sie entdeckt und erforscht haben, verschiedenfarbig darstellt, zeigt augenfällig, daß die Größe der von Deutschen entdeckten Gebiete dem Umfange derjenigen, die von Franzosen und Engländern entdeckt wurden, nicht nachsteht. Sie zeigt ferner, daß, während die französischen und englischen Entdeckungsgebiete sich an der Basis der Küsten erstrecken, die deutschen Entdeckungen, unabhängig von politischen und commerciellen Zwecken, sich zu allermeist in dem tiefsten Innern des Continents ausbreiten.

Schon seit der Stiftung der Londoner „African Association“, 1788, und namentlich seit den letzten Jahrzehnten, hatten deutsche Männer in Afrika ein zahlreiches, theures Contingent zu den Opfern der Entdeckungen geliefert. Die Todtenliste der Reisenden in Afrika nennt in besten Ehren die Deutschen Hornemann, Röntjen, Kummer, Burckhardt, Hemprich, Liman, Overweg, Reitz, Schönlein, Vogel, Knoblecher, von Reimans, Vierthaler, Roscher, von Barnim, Harnier, Bilharz, von Beurmann, von der Decken, Linck, Steudner, Schubert, Munzinger, Graf Zichy, Frank, Mohr, Barth, von Bary, Landien und viele, viele andere.

Noch größer ist die Zahl der Deutschen, welche in den verschiedensten Theilen Afrikas als Pioniere der Wissenschaft ihre besten Kräfte opferten. Wir erinnern nur an die neuesten Namen: Schweinfurth, Nachtigal, Rohlfs, Güßfeld, Hildebrand. Die von ersteren durchforschten Gebiete füllen in ihrem Zusammenhange von Westen nach Osten die größte Längenerstreckung des Erdtheiles, fast siebenzig Längengrade. „Quer durch Afrika,“ – „Im Herzen von Afrika,“ sind die stolzen Titel von Rohlfs’ und Schweinfurth’s Reisewerken. Sie klingen und schallen wie schmetternde Fanfaren und verkünden die geographischen Siegeszüge deutscher Entdeckungsreisenden, deutscher erdkundiger Forscher im Innern des geheimnißvollen Erdtheils.

Vergessen wir aber darum die Verdienste der fast gleichzeitigen Afrikareisenden anderer Nationalitäten nicht! Die Gesammtbemühungen aller Forscher haben der Wissenschaft reiche Früchte zugeführt. Die Jahrtausende alte Nilquellenfrage wurde erledigt, die wechselnde Vorstellung von dem Labyrinth der innerafrikanischen Seeregion berichtigt; das unnahbare mit dem Blute der Reisenden Vogel und Beurmann getränkte Wadai ward der Forschung eine gastliche Stätte; zahlreiche Räthsel wurden gelöst vom Ursprung und Lauf der Flüsse; Wasserscheiden, Bodenbildung, Pflanzen-, Thier- und Menschenwelt wurden erforscht, und der Engländer Cameron hat vom März 1873 bis October 1875 Afrika vom indischen bis zum atlantischen Ocean, von Bogamoyo westwärts bis Embomma, durchkreuzt.

Inzwischen war auch der Reisende Stanley 1870 nach Afrika gegangen, um den verschollenen Livingstone aufzusuchen, und er hat ihn im October 1871 in Udjidji am Tanganyikasee gefunden. Nach seiner glücklichen Heimkehr und nach Livingstone’s Tod im Mai 1873 ging Stanley im Sommer 1874 zum zweiten Male nach Afrika, um die Entdeckungen Livingstone’s zu vervollständigen.

Seine Aufgabe war in der That keine kleine; es galt die Entdeckungen Speke’s und Grant’s in Betreff der Nilquellen zu vollenden: es galt den Victoria- und Tanganyikasee zu umschiffen, durch neue Forschungen im letzteren die Entdeckungen Speke’s und Burton’s zu vollenden und diejenigen Livingstone’s zum Abschlusse zu bringen. Eine der Hauptaufgaben war, zu erforschen, ob der Lualabastrom, den auch Livingstone für einen Arm des Nil gehalten hat, nicht der obere Lauf des Congo sei, wie der Scharfsinn des gothaischen Geographen Behm mit Zuversicht behauptet hatte.

Im November 1874 brach Stanley, vortrefflich ausgerüstet, mit einem vorzüglichen englischen zerlegbaren Boote, „Lady Alice“, und einer Escorte von dreihundert angeworbenen Eingeborenen, von Bogamoyo, gegenüber der Insel Zanzibar, auf. Er wandte sich zunächst nach dem central-afrikanischen Seegebiete des Tanganyika-, des Victoria-Nyanza- und Albert-Nyanzasees. Nach wichtigen Aufschlüssen über die Quellflüsse des Nil kehrte er zum Tanganyika nach Udjidji zurück und begann am 11. Juni 1875 auf der „Lady Alice“ die erste vollständige Aufnahme des Sees, die achthundert geographische Meilen beträgt.

Bei seiner Rückkehr nach Udjidji fand er Pockenkrankheit, Ausreißerei und Meuterei unter der Mannschaft. Er beeilte die Weiterreise. Aber zwei Ziele lockten ihn unaufhaltsam: entweder

1) westwärts zu gehen, nach Nyangwe am Lualaba und denselben weiter zu verfolgen, was weder Cameron noch Livingstone gelungen war, – oder

2) nordöstlich wiederum in das schon erwähnte Seegebiet zurückzukehren.

Stanley entschied sich für das erste Ziel, für die Erforschung des Lualaba. Am 29. August 1876 wurde Udjidji verlassen, der Tanganyika gekreuzt, nach Nyangwe vorgedrungen.

Nyangwe liegt fast in der Mitte des geheimnißvollen Erdtheils, ist unter dem vierten Grade südlicher Breite, etwa zweihundertundzwei geographische Meilen von der Ostküste und ungefähr zweihundertunddreißig geographische Meilen von der Westküste entfernt. Die östliche Hälfte des Erdtheils war zeither von Forschern besucht und im Allgemeinen ziemlich bekannt, die westliche Hälfte dagegen ein grauenvolles Geheimniß, eine fabelhafte Region von Zwergen, Menschenfressern, Gorilla’s. Dämonische Hindernisse hatten hier von allen Seiten das Eindringen gehemmt, aber gerade diese Schrecken lockten unseren Reisenden mit unwiderstehlichem Reize.

„Mein Geschick,“ sagt Stanley, „trieb mich vorwärts. Ich hörte den Geschichten zu, wie alle Karawanen vernichtet worden seien, welche es versucht hatten, den großen Fluß abwärts zu fahren. Ich hörte, daß ich umgebracht und gefressen werden würde, daß meine Mannschaft desertiren, und daß ich Schwierigkeiten unüberwindlicher Art finden würde. Aber alle Warnungen schreckten mich nicht.“ – Alle Vorkehrungen wurden getroffen, die Mannschaft der Expedition verstärkt, hundertvierzig Leute mit Gewehren, siebenzig mit Lanzen versehen, und „Vorwärts!“ war die Parole.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_114.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)