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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

ein sehr wichtiger Apparat zu functioniren, die regelmäßige Expedition der bestellten Exemplare.

Jeder auswärtige Abonnent ist – wenigstens in Oesterreich – in ein Verzeichniß mit genauer Angabe der Adresse eingetragen. Aber dieses Buch liegt dem Expeditionspersonale nicht vor. Es wäre auch viel zu zeitraubend, erst einen dicken Band zur Hand nehmen zu müssen, um nachzusehen, welcher Abonnent ein Exemplar zu empfangen hat. Das Buch ist allerdings vorhanden, nur ist es für die Zwecke der Expedition anders eingerichtet. Es ist in solides Holz gebunden, das heißt, es wird im Expeditionslocale durch eine entsprechende Anzahl von Holzkästen ersetzt. Jeder dieser Kästen repräsentirt einen Band des Abonnentenverzeichnisses, und jedes der zahlreichen Längsfächer entspricht etwa der Seite des Buches, und die einzelnen Zeilen sind durch kleine Querfächer ausgedrückt, in welche die Längsfächer abgetheilt sind. Im großen Verzeichnisse bedeutet jede Zeile, im Holzkasten ein kleines Querfach einen Abonnenten. Dieses kleine Querfach enthält nämlich die gedruckten Adressen des Abonnenten, und zwar so viele Adressen, wie er Tage abonnirt hat. Wenn einer für einen Monat abonnirt hat, so werden für ihn dreißig Adressen angefertigt und in ein besonderes Querfach deponirt. Für einen dreimonatlichen Abonnenten werden neunzig Adressen gedruckt. Die Expedition geschieht nun in der Weise, daß der Expeditionsbeamte aus jedem solchen Querfache eine Adresse herausnimmt. Die entsprechende Marke ist schon früher aufgeklebt worden. Alles, was noch zu geschehen hat, ist, diese Adresse auf die Schleife zu kleben, und das Blatt ist nun zur Expedition bereit. Da aber ein stark verbreitetes Blatt in einem Orte mehrere Abonnenten hat, so werden zur Bequemlichkeit der Postverwaltung diese einzelnen mit Schleife und Adresse versehenen Exemplare zu einem großen Paket gebunden, welches in großen Buchstaben den Namen des Blattes und den gemeinsamen Bestimmungsort aufgeklebt bekommt.

Die Zeitungsunternehmung geht in ihrem Streben, der Postverwaltung die Mühe des Cartirens zu ersparen, noch weiter und bildet aus diesen großen Paketen einen Riesenballen, und zwar für alle jene Orte, welche an derselben Route liegen. So erhält beispielsweise das von Wien expedirte Prager Paket nicht nur die Exemplare für alle Prager Abonnenten, sondern auch für die ganze Umgebung Prags, welche die Zeitung durch die Prager Postverwaltung zugestellt bekommt. Die fertigen Pakete und Ballen werden nun auf die außen harrenden Wagen geladen und zur Post oder, was meistens der Fall ist, direct zu den Bahnhöfen befördert.

In Deutschland bestellt und bezahlt der Abonnent die täglich erscheinenden Zeitungen nicht bei der Administration derselben, sondern bei dem nächsten Postamte, welches dann das aufgegebene Exemplar durch das Postzeitungsbureau des Verlagsortes der Zeitung beschafft. Dieses Hauptbureau expedirt nun regelmäßig jeden Tag an das Postamt, bei dem die Bestellungen durch die Abonnenten gemacht worden, und dieses allein kennt den Namen des Bestellers, während das Hauptbureau, das vielleicht dreißig- bis vierzigtausend Exemplare einer Zeitung vom Verleger bezieht und nach allen Himmelsgegenden hin an die deutschen Postämter versendet, als Abonnenten nur diese kennt.

Wo die Colportage keiner Einschränkung unterworfen ist, da besorgen in der Stadt selber und ihrer Umgebung größtentheils die Zeitungsjungen das Geschäft der Verbreitung. Sie holen entweder direct von der Unternehmung oder vom Hauptspediteur so viele Exemplare, wie sie abzusetzen hoffen, und verkaufen sie mit mehr oder weniger Geschrei auf der Straße, verbreiten sie in den einzelnen Häusern, öffentlichen Localen etc. Aber auf dem europäischen Continente ist die Zeitungscolportage größeren oder geringeren Einschränkungen unterworfen. In Deutschland herrscht principiell allerdings die vollste Freiheit der Verbreitung, aber die Gewerbeordnung, auf welche § 4 des deutschen Reichspreßgesetzes verweist, stellt ausdrücklich die Volljährigkeit als Bedingung auf für das Recht, einen Legitimationsschein zur Colportage zu erlangen.

In der Regel besorgen die bekannten Austräger die Vermittelung zwischen der Lesekundschaft und der Unternehmung zur beiderseitigen Zufriedenheit, und die Fälle, daß der Austräger die Pränumerationsgelder unterschlägt, sind nicht sehr zahlreich. Denn das Austragen ist durchaus kein schlechtes Geschäft. In Wien (wohl auch in anderen Großstädten) giebt es Austräger, die tausend und mehr Abonnenten versorgen. Das macht beim Morgen- und Abendblatte zweitausend halbe Kreuzer oder täglich zehn Gulden, monatlich dreihundert Gulden oder sechshundert Mark. Allerdings sind dies die Großausträger, die ihrerseits wieder ihre Unterausträger haben, gewöhnlich die Familienmitglieder des Austrägers; Frau, Kinder, Magd, Alles muß dazu helfen. Das Geschäft ist ein ziemlich anstrengendes. Es heißt früh auf den Beinen sein, wenn der letzte Abonnent in dem entlegensten Theile der Vorstadt noch zur Frühstücksstunde sein Exemplar erhalten soll. Aber sie helfen sich gegenseitig aus. Der eine Austräger oder die eine Austrägerin – denn das schwache Geschlecht ist in der Majorität – übergiebt die Zustellung einer Anzahl von Blättern dem Collegen oder der Collegin und übernimmt im Tausche andere Blätter, die besser im eigenen Zustellungsrayon gelegen sind.

Wenn Alles in der Ordnung geht, dann kann der Austräger zwischen neun und zehn Uhr mit dem Zustellen der Morgenblätter zu Ende sein. Er kann dann der Ruhe pflegen bis gegen zwei oder drei Uhr Nachmittags. Um diese Zeit beginnt er mit den Abendblättern dieselbe Tour und ist zwischen sechs und sieben Uhr Abends zu Ende. In den ersten Frühstunden aber ist er schon wieder vor der Druckerei oder vor dem Ausgabelocal, um, von Expedition zu Expedition eilend, die druckfeuchten Blätter zu sammeln, das tägliche Bedürfniß für den noch schlafenden Abonnenten und dessen tägliche Ueberraschung.




Ein Stündchen bei den Paradiesvögeln.


Nebelgrau liegt der Februarmorgen über Berlin. Ein eisiger Hauch fährt durch die Luft daher; in allen Tonarten bläst es von den laublosen Wipfeln im Thiergarten herab; fast unheimlich rauscht es in den hohen Kiefern – ist das der Herold des Frühlings? So weit das Auge reicht, ist nichts zu vernehmen von dem vorwitzigen Vordrängen auch nur eines Knöspchens; zwar ohne Schnee, aber nur desto trauriger ist die winterliche Oede der Natur. Es ist keine Frage, daß ein aufmerksamer Blick manch Kräutlein, manch Stengelchen – sogar mit kümmerlichen Blüthen – am Boden entdecken würde, aber das sind nur die kleinen Proletarier des Pflanzenreiches, die sich an keine Zeit binden, die nicht Kraft und Saft aufsparen und aufspeichern können, bis sich der günstigste Augenblick zur fröhlichen Fahrt in die Blüthe bietet. Wenn ihre besser situirten Schwestern sich strecken und entfalten, dann bleiben sie ja unbeachtet; darum nehmen sie das Leben, wie’s kommt, und benützen jeden Sonnenblick, um sich für die Nichtbeachtung ihres unscheinbaren Daseins zu entschädigen. Auch dem gefiederten Völkchen ist’s noch gar nicht frühlingslustig. Schweigend huschen die kleinen Stammgäste unserer Wälder und Haine durch’s Gebüsch, selten den Schnabel zu einem Pfiff oder Lockruf öffnend, und nur die Spatzen erfüllen die Luft mit ihrem unmelodischen Geschrei, so tief sie sich auch in ihr eigenes Federkleid zurückgezogen haben.

Schnell führt uns die Pferdebahn vorüber; wir sind die einzigen Gäste des melancholisch dareinschauenden Wagenführers – „Conducteur“ würde Excellenz Stephan nicht gestatten – und halten an jener Brücke, über die sonst Tausende demselben Ziele zustreben wie wir heute, an der Brücke zum „Zoologischen Garten“. Auch hier ist noch Alles winterlich öde. Das Thor ist weit geöffnet; an diesem trübfeuchten Februarmorgen ist die Portierstelle ein Ruheposten. Der schwarzgraue Neptun hält es für überflüssig, für uns allein seinen Miniatur-Wasserfall auszugießen, und um die wenigen Gänse und Schwäne, die unter ihm auf dem halbzugefrorenen Teiche sich lustig jagen, kümmert er sich keinen Pfifferling. Auf den tief durchweichten Wegen schreiten wir schnell an dem Gitter des Teiches hin, nur eine graugefiederte Gans giebt uns das Geleit, im tiefsten Basse ihr winterliches Mißvergnügen über die traurige Lage in der Fremde ausdrückend.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_137.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)