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verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Ernestine Wegner.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Staatsanwalt und Polizisten, mit schlauem Lächeln im Couplet diejenigen Spitzen unterbrachte, denen der vorsichtige Leitartikel des Morgens kein Obdach gewähren durfte. Wer denkt noch an den Conflict? Die ernsthaften Kampfgenossen, soweit sie noch im Felde geblieben, haben compromittirt; der Posse, weniger gewandt, den veränderten Verhältnissen und Stimmungen Rechnung zu tragen, blieb nur übrig, sich zu compromittiren, und das hat sie ehrlich gethan.

Komische Politik und politische Komik werden jetzt in anderen, meist auch öffentlichen, Localen zur Schau gestellt. Wir sind endlich ein Volk geworden und suchen als solches nicht blos politisch, nein, mit viel größerer Hast und Gewaltsamkeit auch social, neu uns zu gestalten, und diese Bestrebungen beanspruchen mit Recht und Nothwendigkeit die Mitwirkung und Mitleidenschaft auch der Bühne. Das „Volksstück“, das „Lebensbild“ auf vertieftem Untergrunde und in erweitertem Rahmen suchen die Posse von ihrem Platze zu verdrängen, ohne ihn bis jetzt behaupten zu können. Und so gähnt zwischen Ueberreifem und Unreifem eine tiefe Kluft, welche nur die volle Persönlichkeit des Darstellers auszufüllen vermag. Altes zu stützen und Neues zu heben, das Unfertige zu ergänzen, das Gegensätzliche zu versöhnen ist aber Niemand berufener, als Ernestine Wegner, deren Herrschaft als Soubrette in wahrer und echter Künstlerschaft begründet ist.

In der Komödienstraße zu Köln am Rhein ist sie geboren am 7. März 1854 – nicht bei allen Soubretten darf man das Jahr sagen – und ihre Wiege stand dicht am Theater. Die Eltern waren Schauspieler, führten in bescheidenen Verhältnissen ein stilles bürgerliches Leben und wußten die übersprudelnde Natur des kleinen Wildfangs auf jenes richtige Maß einzuschränken, das noch heute die ausgelassensten Schöpfungen der jungen Künstlerin so wohlthuend beherrscht. Der freie deutsche Rhein trug sie sehr bald zu den noch freieren Bergen der Schweiz, in Bern seufzte die jugendliche Republikanerin unter dem Despotismus der Schule, und in Zürich confirmirte sie ein Nachkomme Pestalozzi’s. Die Kleine war zu allerliebst, um nicht in weißgewaschenem Kleidchen mit goldenen Flügeln ein engelhafter Genius zu sein, und so hatte sie schon sehr frühe in der Schwebe zwischen Himmel und Erde ihre theatralische Flugbahn begonnen, auch zuweilen als simpler Menschensprößling auf der Bühne gesprochen und gesungen; das Lampenfieber hat nicht einmal zu ihren Kinderkrankheiten gehört. Der speculative Herr „College“ hatte sich nicht verrechnet, als er in seinem Benefiz zu Baden bei Zürich den vierzehnjährigen Backfisch, hinter welchem soeben die Pforten der Schule sich geschlossen, als Therese Krones den ersten ernsthaften theatralischen Versuch wagen ließ. Es war ein Wagniß, und es glückte über alles Erwarten. Gewiß hat die kühne Anfängerin nur sich selbst, vielleicht hat sie auch gar nicht gespielt, aber sie stammte in so directer Linie aus dem Geschlechte jener lachenden Muse Raimund’s, daß die Familienähnlichkeit hinreißend war.

Mit gleicher jugendlicher Unbefangenheit setzte sie sich sofort im „ersten Fache“ fest und bemächtigte sich aller dazu gehörender Rollen, bis ihr richtiger Instinct sie nach Berlin führte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1878, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_163.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2019)