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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Aus Robert Blum’s Leben.
1. Kindheit.

In den folgenden Blättern soll damit begonnen werden, die interessantesten Abschnitte aus dem Leben Robert Blum’s dem großen Leserkreis der „Gartenlaube“ vorzuführen, um so einen guten Theil des deutschen Volkes, ja der deutschen Leserwelt in allen Erdtheilen, aufmerksam zu machen auf die in Kürze erscheinende, zusammenhängende und, soweit es möglich ist, erschöpfende Geschichte dieses reichen Lebens.

Einer langen Einleitung bedarf das Unternehmen, einzelne Bilder aus dem Leben Robert Blum’s zu veröffentlichen, nicht. Obwohl beinahe dreißig Jahre seit seinem Tode verflossen sind und Deutschland seither in allen seinen öffentlichen Verhältnissen sich von Grund aus verwandelt hat, ist Robert Blum dennoch bei der großen Mehrzahl des deutschen Volkes unvergessen. Viele seiner Mitstreiter und Gegner aus der ersten deutschen Nationalversammlung haben ihn überlebt und seither hervorragenden und rühmlichen Antheil an der politischen Arbeit des deutschen Volkes genommen: Präsident Simson, Biedermann, Grumbrecht, Löwe, Ruge etc. Aber dennoch kann sich kaum Einer von ihnen mit der Popularität des todten Robert Blum messen. Mit rührendster Beharrlichkeit und Zähigkeit hängt das deutsche Volk an dem Andenken dieses Todten.

Der Grund der unverwelklichen Liebe und Verehrung, die das Volk an diesen Namen heftet, ist einfach genug. Robert Blum hat in seiner Kindheit und Jugend die Leiden der Armuth gekostet, wie selten ein Anderer. Er hat schon als ganz junger Mensch lange schmerzliche Blicke gethan in die tiefsten Tiefen leiblichen und geistigen menschlichen Elends. Ihm ist der herbste Schmerz nicht erspart geblieben, der eine reichbegabte wissensdurstige Natur erfüllen kann: der Schmerz, aus Armuth dem Lernen, jeder höheren Bildung entsagen, mit einfacher Handarbeit sein Brod verdienen zu müssen. Robert Blum ist mit eigener Kraft aus diesem ihm von einem harten Schicksal vorgezeichneten, scheinbar unübersteiglichen Lebenskreise immer freier und größer herausgewachsen. Er hat begonnen, mit unvergleichlicher Ausdauer an seiner eigenen geistigen Fortbildung, seiner Befreiung aus den Banden der Armuth und Unbildung zu arbeiten. Er hat mit jedem Schritte, der ihn unabhängiger stellte und seine Gesichtspunkte erweiterte, auch weitere Ziele in’s Auge gefaßt. Von den Interessen seiner Person, seiner freien Seele, seiner Familie, seines Standes, seiner Stadt, seiner Religionsgenossen ist er vorgeschritten zu dem Streben, die heiligsten und wichtigsten Angelegenheiten seines ganzen Volkes zu vertreten. Die Leiden und Kümmernisse wie die berechtigten Forderungen des Arbeiters haben niemals einen beredteren und uneigennützigeren Anwalt gefunden, als Robert Blum.

In wunderbarem Maße war ihm die Macht der Rede gegeben: niemals hat ein Mann so wie er verstanden, aufgeregte Massen zu beschwichtigen, als wären Tausende seines Sinnes, als geböte ein milder Vater dem ungeberdigen Kinde. Und dieses reiche, kraftvolle Leben, dessen letzter Theil, mit Aufopferung und großherziger Verleugnung aller eigenen Interessen, nur seinem Volke gewidmet war, hat Robert Blum gekrönt durch seinen in der Blüthe seiner Jahre muthig erlittenen Tod. Dieser Tod vor Allem macht ihn noch der Gegenwart theuer. Denn Robert Blum ist nicht erschossen worden wegen irgend einer persönlichen Handlung, welche auch nur den Vorwand eines Todesurtheils gegen ihn gerechtfertigt hätte. Vielmehr geben die heute bekannten Acten seines sehr kurzen Processes volle Gewißheit darüber, daß jener Schrei der Entrüstung vollkommen berechtigt war, der bei der Nachricht von seiner Hinrichtung Deutschland durchzitterte: daß in Robert Blum nicht die Person, sondern der Vertreter des deutschen Volkes, die Unverletzlichkeit des deutschen Reichstagsabgeordneten habe gerichtet werden sollen; daß mit einem Worte die allgemeine siegreiche Reaction an dieser Tödtung symbolisch zeigen wollte, daß sie Alles, was seit dem März des großen Jahres 1848 geschehen, nicht anerkenne und nun die Stunde gekommen erachte, um Deutschland wieder das Joch des alten tiefverhaßten Bundestages auf den Nacken zu legen. So gilt denn Robert Blum noch heute mit Recht als eines der edelsten Opfer, welche Deutschland jemals seiner nationalen Freiheit und Einheit gebracht hat.

Auch die Geschichte der Familie, aus der dieser bedeutende Mann hervorging, ist schnell erzählt. Auf eine lange Ahnenreihe konnte Robert Blum nicht zurückblicken. Das Wenige, was hierüber bekannt ist, muß auch berichtet werden, da es für die Kindheit und Jugend Robert Blum’s von Wichtigkeit wurde.

Aus dem Dorfe Freelsen, zwei Stunden von Köln, siedelte der Faßbindermeister Johann Blum und dessen Frau um die Mitte des 18. Jahrhunderts nach Köln über. Von sieben Söhnen übernahm der älteste, Robert Blum, das Geschäft des Vaters und wohnte als fleißiger Meister auf dem Fischmarkte in Köln. Er hatte drei Kinder: Engelbert, Heinrich und Agnes. Der im Jahre 1780 geborene älteste Sohn Engelbert war zu schwächlich, um sich dem Geschäfte des Vaters widmen zu können; namentlich hatte er eine schwache Brust und taugte daher für schwere Arbeit nicht. Auch hätten die ziemlich wohlhabenden und streng katholischen Eltern gern gesehen, wenn ihr ältester Sohn Theologie studirt hätte und „geistlich“ geworden wäre. Er besuchte daher das Kölner Gymnasium und hatte fünf Classen desselben absolvirt, als Untersuchungen und Verfolgungen gegen die Schüler stattfanden, die verdächtig waren, sich den verruchten Lehren ketzerischer Freigeister zugewendet zu haben. Engelbert Blum war in dieser Hinsicht bei den frommen Vätern sehr schlecht angeschrieben. Er hatte für die Verbreitung ketzerischer Irrlehren Propaganda gemacht und wurde von nun an streng bedroht und scharf beobachtet, sodaß ihm die Studien ernstlich verleidet wurden. Er schwankte, ob er freiwillig abgehen, sich wegschicken lassen oder heucheln solle, und war – wohl hauptsächlich mit Rücksicht auf die kirchliche Treue und die für ihn getroffene Berufswahl der Eltern – über seinen Entschluß noch nicht im Reinen, als die Franzosen in Köln einzogen, der Staatsherrlichkeit des Krummstabes daselbst ein Ende bereiteten und das Gymnasium schlossen.

Engelbert verzichtete nun definitiv auf seine Ausbildung zum Theologen und versuchte abermals, sich der Faßbinderei zu widmen, um das väterliche Geschäft zu übernehmen. Aber auch diesmal zeigte sich, daß ihm hierzu die nöthige Körperkraft mangle. Das nährende Gewerbe des Vaters ergriff der jüngere Sohn Heinrich, ein stämmiger Bursche, mit Kraft und Umsicht. Er ist in hohem Alter wohlhabend gestorben. Die Tochter, Agnes Blum, hat, wie wir sehen werden, ein Zufall zur Lehrerin gemacht. Ihr werden wir später noch einmal begegnen. Der halbstudirte, zu dem Gewerbe seines Vaters zu schwächliche Engelbert Blum aber hatte seine liebe Noth, sich sein tägliches Brod zu verdienen. Er suchte nach Beschäftigung, die seinen Kennwissen entspräche, doch ohne Erfolg, und mußte endlich für kargen Lohn eine Schreiberstelle an einem Kölner Lagerhause annehmen, die er nach einiger Zeit mit der Aufseherstelle in einer Stecknadelfabrik vertauschte. Das tagelange Sitzen am Schreibtisch war jedoch seiner schwachen Brust kaum nachtheiliger gewesen, als die verdorbene Luft, die er in seinem neuen Beruf den ganzen Tag athmen mußte. Denn in engem Raume mußte er hier mit einer großen Anzahl arbeitender Kinder aus den niedrigsten Ständen sich aufhalten. Für Ventilation war so wenig gesorgt, wie für Reinlichkeit der armen Kinder. Schulzwang und Verbot der Kinderarbeit in den Fabriken waren noch unbekannte Dinge. Kinder im zartesten Alter wurden von ihren Eltern schon als Erwerbskräfte ausgebeutet.

Als Engelbert nach dem Schiffbruche seiner theologischen Hoffnungen zum zweiten Male den Versuch gemacht hatte, Küfer zu werden, hatte er ein junges Mädchen kennen gelernt, das mit sechszehn Jahren nach Köln gekommen war, bei verschiedenen Herrschaften gedient hatte und in den Jahren 1804 und 1805 bei einer wohlhabenden Faßbinderfamilie Wolff, die mit Blum’s verwandt war und in deren Nachbarschaft wohnte, in Diensten stand. Dieses Mädchen hieß Maria Katharina Brabender. Sie war über ihren Stand gebildet, etwas romantisch veranlagt, aber voll tüchtigen Selbstgefühls. Die jungen Leute liebten sich, und trotz des heftigsten Sträubens der Eltern Engelbert’s wie der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_199.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2016)