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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


„Ich habe nie getanzt,“ versetzte sie schnell und mit so viel Entschiedenheit, wie die weiche Stimme nur zuließ, „ich habe mich stets fern von den weltlichen Zerstreuungen gehalten. Sie sind sündhaft, und ich verabscheue sie.“

„Nun, Sie sollten es doch erst einmal probiren,“ meinte der junge Arzt wohlwollend. „Doch dergleichen Verordnungen gehen über meine ärztlichen Befugnisse hinaus. Ich werde Ihnen vorläufig eine Arznei verschreiben und in wenigen Tagen wieder vorsprechen; dann wollen wir weiter sehen. Haben Sie Papier und Feder zur Hand?“

Christine brachte beides, und er setzte sich zum Schreiben nieder. Agnes war an das Fenster geflüchtet und faltete, mit dem deutlichen Ausdruck des Entsetzens in den Zügen, die Hände. Als das Recept fertig war, trat Max wieder zu ihr und löste ohne Umstände die gefalteten Hände, um nochmals den Puls zu prüfen.

„So! Und nun bitte ich, daß meine Verordnungen pünktlich befolgt werden; dann wird sich hoffentlich bald Besserung einstellen. Leben Sie wohl, mein Fräulein!“

Er ging. Christine schloß die Thür hinter ihm zu und kam dann zurück. „Der versteht es,“ sagte sie. „Der befiehlt und commandirt ja, als wäre er allein hier Herr und Meister. Wie finden Sie denn eigentlich den Doctor, Fräulein?“

„Ich finde ihn sehr gottlos,“ erklärte Fräulein Agnes mit Nachdruck.

„Ja, die Aerzte sind alle nicht fromm,“ meinte Christine.

„Und noch so sehr jung!“ fuhr Agnes fort, in einem Tone, als hätte sie damit die schwerste Anklage ausgesprochen.

„Ich habe ihn mir auch älter gedacht. Aber gescheit sieht er aus und pünktlich ist er auch. Um neun Uhr hatte er seinen Besuch angekündigt, und Schlag neun Uhr stand er im Corridor. Ich begreife nur nicht, wo der Herr Hofrath bleibt, er muß irgend eine Abhaltung gehabt haben, denn er wollte doch zugegen sein.“

„Der Doctor hat meinen Vater gesprochen. Meinst Du denn, Christine, daß ich die Arznei nehmen soll?“

„Nun, gewiß! Deshalb haben wir ja den Doctor kommen lassen. Mir gefällt er trotz seiner kurz angebundenen Art. Geben Sie Acht, Fräulein – der stellt Sie wieder her.“

Es blieb unentschieden, ob Agnes derselben Meinung war oder nicht. Sie hatte das Recept in die Hand genommen und sah darauf nieder, endlich legte sie es bei Seite und sagte ernsthaft: „Wenn er nur nicht so gottlos wäre!“

Max stieg gerade die Treppe hinunter, als er einen älteren Herrn begegnete, der hinaufstieg. Derselbe trug eine goldene Brille, einen Stock mit einem vergoldeten Knopfe und hatte einen äußerst wichtigen Gesichtsausdruck. Der junge Arzt blieb stehen und sah ihm nach.

„Ich wette darauf, das ist mein verehrter College, der den angekündigten Besuch macht. Jetzt wird er sich den Kopf darüber zerbrechen, wer es ist, der ihm die Praxis so vor der Nase weggenommen hat. Und nun erst der Aerger dieses feierlichen, urloyalen Hofraths, wenn er die Geschichte erfährt und meinen Namen auf dem Recepte liest! Ich wollte, ich könnte mich ihm in meiner neuen Eigenschaft als sein Hausarzt vorstellen.“

Der boshafte Wunsch sollte in Erfüllung gehen; am Fuße des Schloßberges traf Max mit dem Hofrathe zusammen, der „Excellenz“ pflichtgemäß begleitet hatte und nun zurückkam. Sein Blick war kaum auf den Demagogensprößling gefallen, als er Miene machte, die unloyale Begegnung zu vermeiden und auszuweichen, der junge Arzt aber trat mit der größten Artigkeit auf ihn zu.

„Ich freue mich sehr, Sie nochmals zu sehen, Herr Hofrath,“ begann er. „Ich komme soeben von Ihrer Fräulein Tochter.“

Diesmal schoß das Gesicht des Hofrathes förmlich aus der weißen Halsbinde empor. „Von meiner Tochter?“ wiederholte er.

„Ja, von Fräulein Moser. Ich kann Ihnen die Beruhigung geben, daß der Zustand der jungen Dame nicht gefährlich ist, wenn die Patientin auch großer Schonung und Pflege bedarf. Sie ist allerdings sehr nervös, indessen –“

„Herr, wie kommen Sie zu meiner Tochter?“ rief der Hofrath.

„Indessen, das wird sich bei geeigneter Behandlung geben,“ fuhr Max fort, ohne sich in seiner Rede an Geringsten stören zu lassen. „Ich habe vorläufig eine Arznei verordnet, von der ich mir die beste Wirkung verspreche, und komme in einigen Tagen wieder, um nach dem Fräulein zu sehen.“

„Ich habe Sie aber gar nicht gerufen,“ protestirte der Hofrath, dem es jetzt ganz wirr im Kopfe zu werde begann, da er sich den Zusammenhang des ihm Berichteten gar nicht erklären konnte.

„Bitte, ich wurde gerufen,“ sagte Max. „Fragen Sie nur Frau Christine! Wie gesagt, ich hoffe sehr viel von der Arznei und komme übermorgen wieder. Bitte, keinen Dank, Herr Hofrath! Es geschieht mit dem größten Vergnügen. Wollen Sie mich dem Fräulein empfehlen? Auf Wiedersehen!“

Hofrath Moser stand einige Secunden lang starr, wie eine Bildsäule, dann aber eilte er im Sturmschritt nach seiner Wohnung, um dort die Aufklärung des Räthsels zu suchen, während der junge Arzt lachend den Weg nach der Stadt einschlug.

(Fortsetzung folgt.)




Frühlingsgruß.
Mit Abbildung.

An des Winters Nebelgrenze
Seid gegrüßt vom jungen Lenze
     In der alten lieben Welt!
Freut Euch, daß im festen Kreise

5
Seiner ew’gen Feierweise

     Wieder er den Einzug hält!
Wie der Geister Drang auch ringe,
Bleibt doch fest im Kranz der Dinge
     Uns das Ewige gestellt.

10
Da noch Winterstürme drohten,

Wieder sind’s die treuen Boten.
     Die der Lenz zu uns gesandt:
Hoch ob Firn- und Wogenhügeln
Eilen auf der Sehnsucht Flügeln

15
     Schon die Schwalben in das Land,

Und zum Trotz dem kalten Hauche
Bricht die Blüth’ an Baum und Strauche
     Grüßend ihrer Knospen Rand.

Also wird es ewig bleiben,

20
Wie der Menschheit rastlos Treiben

     Auch nach fernen Zielen ringt,
Wie sie auch den Blitzesfunken,
Da nun Furcht und Wahn gesunken,
     Kühn in ihre Dienste zwingt,

25
Daß, wo Blüth’ und Schwalbe locken,

Er im Nu durch Dräht’ und Glocken
     Botschaft fernen Völkern bringt.

Endlos reißt im Wandelleben
Fort den Menschengeist das Streben,

30
     Zu bewält’gen Blitz und Erz –

Endlos – bis zur Nebelgrenze! –
Ohne Wandel nah’n die Lenze,
     In dem Schooße Luft und Schmerz.
Könntest, Schwalben gleich und Blüthen,

35
Du erfrischen und behüten,

     Lenz, doch auch – das Menschenherz!

Friedrich Hofmann.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_226.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2018)