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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

seine Braunen anspannen ließ, eine gute Strecke des seiner Pflege und Obhut befohlenen Waldes. Der Weg führte uns dabei zunächst unmittelbar hinter dem Orte und dann wohl eine kleine Viertelmeile seitwärts an prachtvollen Buchenständen mit geraden starken Stämmen hin, wie man sie so schön hier oben wohl nur noch in Holstein sieht. Weniger imponirten die Eichen, die uns zur Linken blieben, da hier für diese Baumgattung kein geeigneter Boden ist, weshalb sie Herr Lange – beiläufig ein Rheinländer, der vor seinem Eintritt in die Dienste des Fürsten als Oberförster die wildreichen Staatsforsten bei Zehdenik verwaltet hat – allmählich durch Buchen verdrängen will. An Holz wird bei den jetzigen gedrückten Preisen verhältnißmäßig wenig verkauft. Etwas davon consumirt die große Pulverfabrik, welche ein Württemberger an einer an der Elbe gelegenen Stelle der hiesigen Bismarck’schen Besitzungen angelegt hat. „Wenn sich die Holzpreise für den Verkäufer besser gestalten,“ äußerte mein Begleiter, „so getraue ich mir ohne Schaden für den Forst jährlich aus diesen Wäldern Holz im Bruttowerthe von hunderttausend Mark herauszuschlagen.“ Ich weiß nicht, was für einen Nettowerth das ergiebt. Aus guter Quelle aber weiß ich, daß die 1872 vielverbreitete Annahme, die lauenburgische Dotation gewähre dem Fürsten einen Jahresertrag von vierzigtausend Thalern, der beim Ablauf der Pachtverträge auf das Dreifache gebracht werden könnte, eine starke Ueberschätzung war. Die Wahrheit war, daß die bezeichneten Domänen damals vierunddreißigtausendundsechszehn Thaler das Jahr eintrugen, welche Summe dreitausendfünfhundert Thaler Pacht für die Jagden und über zweitausend Thaler Pacht für künftig wegfallende Zwangs- und Bannrechte einschloß. Diese letztere abgezogen, dagegen die vom Pulvermüller jährlich gezahlte Pacht hinzugerechnet, wird der gegenwärtige Ertrag der Besitzung hunderttausend Mark kaum erreichen. Es kann nicht oft genug betont werden, daß man den Fürsten Bismarck vielfach wie für gesünder und einflußreicher, so auch für wohlhabender hält, als er in Wirklichkeit ist.

Der weitere Weg führte uns bei einer Mühle aus dem Walde heraus und hinauf nach Schönau, von wo wir auf anderer Straße, die klare, wasser- und forellenreiche Bille überschreitend, wieder durch herrlichen Buchenwald nach der gastlichen Oberförsterei von Friedrichsruhe zurückkehrten. Ich bemerke noch, daß der dem Fürsten gehörige Sachsenwald, der in einigen seiner Reviere auch aus Nadelholz besteht, die erhebliche Fläche von achtundzwanzigtausend Morgen bedeckt, daß er außer dem Oberförster noch sieben Förster zu Pflegern hat, und daß die Jagd in ihm noch auf mehrere Jahre an Hamburger verpachtet worden ist. Wenn das letztgenannte Verhältniß dem lebhaften Waidmannsgemüth Herrn Lange’s nicht recht gefallen sollte, so tröstet ihn wohl einmal eine Jagd mit dem Fürsten oder dessen Söhnen in dem Parke jenseits der Bahn, den man sich reservirt hat, und der ganz achtbare Hirsche aufweisen soll. –

Zum Schlusse dieses Abschnitts mögen noch zwei andere Güter kurz erwähnt werden, von denen das eine zuerst, das andere zuletzt von allen in den Besitz Bismarcks gelangte: Kniephof, welches seine wilde Uebergangszeit vom Jünglinge zum Manne mit ihren hundert tollen Streichen, und Reinfeld, welches in Johanna von Putkammer seine Lebensgefährtin aufwachsen und sie am 28. Juli 1847 mit ihm die Ringe wechseln und Hochzeit halten sah. Beide Güter liegen in der Provinz Pommern, das erstgenannte etwa sieben Kilometer östlich von Naugard in anmuthiger Gegend mit Wald und Wiesen nicht fern vom Flüßchen Zampel, das andere dicht am linken Ufer der Stolpe, nicht weit von da, wo sie sich in die Ostsee ergießt, und ebenfalls in freundlicher Landschaft.

In Kniephof verlebte der Reichskanzler, da seine Eltern schon 1816 von Schönhausen hierher übersiedelten, den größten Theil seiner ersten sechs Lebensjahre, und hier zog er, nachdem ihm sein Vater diese Besitzung abgetreten, in seinem dreiundzwanzigsten Jahre als selbstständiger Gutsherr ein. Das alte Fachwerkhaus neben dem schönen Garten dieses Gutes hat, seit letzteres in den Besitz eines Neffen des Fürsten übergegangen ist, einem stattlicheren Raum machen müssen. Als es noch stand, wußte es allerhand Wunderdinge zu erzählen, die, von der Mythe weiter ausgebildet, die Edelsitze und Dörfer zehn Meilen in der Runde mit dem Rufe des „tollen Junkers“, der hier hauste, erfüllten. Schaudernd hörten junge Fräulein und deren Tanten und Mütter, kopfschüttelnd und ein schreckliches Ende weissagend deren Väter von wüsten Gelagen, bei denen Fluthen von Champagner und Porter vertilgt worden, von Ritten, als ob der wilde Jäger daherkäme, von Pistolenschüssen, mit denen mitten in der Nacht die Gäste des Hauses geweckt worden, von kecker Verspottung des Herkommens durch allerlei Unfug und Uebermuth. Daß Vieles hiervon Wahrheit, konnte das alle Haus bezeugen, daß Manches wenigstens zur Hälfte Dichtung der Nachbarn konnte es gleichfalls darthun, und das Unheil, das gesetzte Leute aus dem Unfug prophezeiten, ist ebenfalls Phantasie geblieben. Der gährende Most setzte sich trotz seines Brausens zu seiner Zeit wie in anderen Fällen, und was daraus geworden, weiß die Welt.

Wenn in jenen Tagen voll Sturm und Drang es einmal hieß: „Er geht nach Indien,“ so war darin nur das Körnchen Wahrheit, daß der Junker von „Kneiphof“ – so hatte der Witz guter Freunde oder verdrießlicher Zuschauer dieses Treibens den Schauplatz desselben getauft – sich einmal mit dem Gedanken trug, auszuwandern, aber das Ziel, das ihm vorschwebte, war nicht Italien oder gar das Gangesland, sondern ein beliebiger Punkt in den polnischen Wäldern, wo er ein Farmer- und Jägerleben zu beginnen gedachte.

Wenn man ihm allerhand Dinge, welche die hergebrachte Manier und Convenienz auf den Kopf stellten, nachsagte, so mögen Geschichtchen wie das folgende dazu beigetragen haben. Einst hatte der Junker einen Husarenlieutenant bei sich, der im Begriffe stand, einen Verwandten in der Nachbarschaft zu besuchen, welcher viel auf Etiquette und wohlabgezirkelte Sitte hielt und bei dem sich Gäste ähnlicher Art zu einer großen Festlichkeit versammelten. Bismarck beredete in der Nacht vorher den Lieutenant zu scharfem Zechen und brachte ihm so viel gute Getränke bei, daß er beträchtlich mehr als genug hatte. Dann ließ er am Morgen einen Wagen ohne Federn anspannen, aus dem er mit seinem Gaste nach dem Schlosse jenes Onkels fuhr. Die Wege waren entsetzlich, sodaß beide übel bespritzt am Ziele ankamen, der Lieutenant aber überdies in seekranker Verfassung. Die Gesellschaft, die sie dort versammelt fanden – die Damen in großer Toilette, die Herren in Frack und weißer Binde – sah sie mit Blicken, die halb Staunen, halb Grausen waren, eintreten, und der Husar wurde bald nachher unsichtbar. Bismarck aber setzte sich trotz des Abscheues der guten Leute gelassen mit ihnen zu Tische und that, als ob an ihm nichts auszusetzen. Man sagte dann, es wäre doch merkwürdig, daß er gar nicht gemerkt habe, wie er unangenehm aufgefallen sei.

Diese Anekdote ist gut verbürgt. Dagegen war es nichts als die Mythe in eigenster Person, die sich im October vorigen Jahres auf einer hinterpommerschen Bahnstation in Gestalt eines derben naiven Landmanns zu mir in’s Coupé setzte und unter anderen hübschen Historien auch die erzählte, daß Bismarck in Kniephof ein altes gebrechliches, windschiefes Gebäude, statt es abtragen zu lassen, mit einer Kanone zusammengeschossen habe. „Woher er nur die Kanone dazu bekommen haben mag?“ fragt man mit Recht. Ich antworte mit der Gegenfrage: ob mein wackerer Bauer nicht am Ende läuten, aber nicht anschlagen gehört, ob die aus ihm redende Volksmythe nicht im dunkeln Drange ihres Schaffens den Minister Bismarck mit dem Junker Bismarck verwechselt hat? Wir Alle wohnten einst in einem alten gebrechlichen, windschiefen Hause – im deutschen Bunde, und den hat er allerdings mit Kanonen zusammengeschossen.

Schließlich sei hervorgehoben, daß Kniephof im Leben des Reichskanzlers nicht blos „Kneiphof“ gewesen ist. Es hat auch etwas Anderes zu bedeuten. Zwischen Stunden voll Hitz und Hatz, voll Saus und Brauns gab es hier auch Tage ernsten Studirens für ihn, das sich namentlich auf geschichtliche, aber

auch auf philosophische Werke erstreckte, wie er sich denn hier allen Ernstes mit keinem Geringeren als Spinoza beschäftigt hat. Mit dem Besuch, den er bekam, discutirte er politische Fragen oft bis tief in die Nacht hinein, und zwar vertrat er dabei ziemlich freisinnige Anschaungen. Der „tolle Junker“ war eine Zeit lang Kreisdeputirter, dann Abgeordneter im pommerschen Provinziallandtage, und zuletzt hätte er sich sogar zum Landrath wählen lassen können, da ernste und kluge Leute trotz alledem und alledem von seinem Wesen Tüchtiges erwarteten. Endlich aber hat er, in doppelter Weise mit Nutzen, schaffend und sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_262.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)