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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


zwei Hauptsaisons, den beginnenden Frühling und den beginnenden Winter. Es läßt sich nur schwer ein Bild von dem Umfange des Verkehrs geben, wie er sich zu dieser Zeit in den renommirtesten dieser Waschanstalten entwickelt, wo jeder Tag Tausende und Abertausende von Aufträgen bringt und alle ihre Einrichtungen und Maschinen, die verschiedenen complicirten Waschgefäße, Bürstvorrichtungen, die Centrifugalmaschinen, die umfangreichen Destillirgefäße, Appretur- und Trockenmaschinen, kurz alle Einzelheiten des ganzen großartigen Apparates den Anblick unausgesetzter Bewegung bieten. Das unermüdliche Schaffen vieler Hunderte von rüstigen Händen, das ewige Auf- und Abladen der Markthelfer, das Schnarren und Rasseln der Maschinen, die bunte Mannigfaltigkeit der Arbeit in den einzelnen Ressorts der Anstalt – es herrscht ein buntes Leben in so einer modernen Waschanstalt.

Keine Costümkammer eines Theaters kann ein bewegteres Bild darbieten, als der große Lagerraum, der zur Aufnahme der zu reinigenden Kleider dient, die ihm aus allen europäischen Staaten zuströmen; friedlicher und stiller kann das Grab die Contraste des Lebens nicht versöhnen, wie sie sich hier berühren. Da hängt das prunkende Luxusgewand der Fürstin, das die Sorge der Kammerfrau von einem Schatten befreien will, neben dem dünnen, fadenscheinigen Rocke des armen Familienvaters, der ihn vor Kurzem erst aus dem Versatzgeschäft einlöste. Stolzer Hermelin, bunter Flitterkram der Maskengarderobe zwischen einer unabsehbaren Menge schlichter brauner Mädchenkleider, aus einem Waisenhause stammend, eine goldbordirte Ministeruniform zwischen Arbeiterblousen, die Adjustirung einer Schwadron rother Husaren, mitten unter ihnen eine Altardecke – ihre frommen Embleme verhüllt von einem blonden Lockenchignon: Alles bunt durch einander, wie der Tag es eben bringt. Da liegen ferner in wirrem Chaos Atlasschuhe, Pelzsachen, Mützen, Hüte, Handschuhe, Sonnenschirme, Teppiche, feine Applicationsarbeiten, bunte Tapisseriearbeiten, wattirte Decken, mit Schwanenbesatz verzierter Atlas, Helmbüsche und noch tausend andere Dinge.

Die chemische Wäsche dieser Gegenstände beginnt zunächst mit dem Sortiren derselben nach der Art des Gewebes, sowie nach dem Grade der Verunreinigung derselben. Die weiß- und hellseidenen Stücke, die Sammete, die hellen wollenen, die dunkeln wollenen, und die ganz besonders schmutzigen Stücke werden in dieser Reihenfolge zu einer Ladung sortirt und in die Waschmaschinen gebracht, nachdem vorher jedes Stück auf einem mit Marmorplatten bedeckten Tische, je nachdem es die Qualität des Stoffes zuläßt, mittelst einer in Benzin getauchten Bürste, namentlich an den schmutzigsten Stellen gebürstet wurde.

Die Waschmaschinen bestehen in der Regel aus einer äußeren feststehenden und einer innerlichen beweglichen, aus von einander abstehenden Latten construirten Trommel, die mit verschließbarer Einfüllthür versehen ist. In der äußeren Trommel wird das Benzin so hoch eingefüllt, daß es einige Zoll hoch in die innere Lattentrommel einsteigt, dann wird, nach dem Hereinbringen der vorbereiteten Wäschestücke in die Lattentrommel, letztere in langsame Umdrehungen versetzt. Das Benzin löst hier das Fett auf, und der pulverige Staub reibt sich mechanisch aus und geht zum größten Theil in das Benzin über.

Nach zehn Minuten bis längstens einer Stunde – die Zeitdauer hängt von der Beschaffenheit der Stoffe ab – werden die Gegenstände aus der Trommel herausgenommen, um einer indeß vorbereiteten dunkleren Ladung Platz zu machen, hierauf in einer Spülwanne in frischem, reinem Benzin gespült und dann von dem letzteren in einer in schnellste Umdrehungen versetzten Schleuder-(Centrifugal)maschine so lange ausgeschleudert oder „ausgetriefelt“, daß sie äußerlich völlig trocken erscheinen. Aus der Centrifugalmaschine werden die Gegenstände sodann in eine stark geheizte und gut ventilirte Trockenkammer gebracht, wo sie völlig getrocknet werden und den Benzingeruch verlieren, während das mit Fett und Schmutz beladene Benzin in Reservoirs, mit Schwefelsäure vermischt, zum Absetzen stehen gelassen, vom Bodensatz abgezogen und in besonderen kupfernen Destillirgefäßen über Kalk abdestillirt wird, um so, völlig rein, in den Kreislauf der Arbeit wieder einzutreten.

Die in dem heißen Trockenzimmer nach einem Verbleibe von ein bis zwei Stunden völlig geruchfrei gewordenen Gegenstände gelangen nunmehr in die Räume der Appreteure und Detacheure, um hier das nöthige frische Aussehen zu erhalten und einer genauen Durchsicht auf noch vorhandene Flecken hin unterworfen zu werden. Das Personal der Appretirsäle hat die Aufgabe, jeden Fleck nach seiner Art oder Natur, unter genauer Berücksichtigung der Farbe und des Gewebes, zu behandeln, und gar manche Hausfrau könnte hier zu der Ueberzeugung gelangen, daß keine Flecken von dem Appreteur so sehr zu fürchten sind, als diejenigen, an welchen bereits vorher der Laie seine Kunst versuchte – sie sind gewöhnlich echt und unvertilgbar. Zumal bei irgend werthvollen befleckten Stoffen sollte man daher lieber mit eigenen Experimenten sparsam sein und die Verantwortlichkeit den Detacheuren chemischer Reinigungsanstalten überlassen, bedenkend, daß die besten Fleckmittel in nicht geübten Händen die Flecke verschlimmern anstatt sie zu entfernen.

Da in der chemischen Reinigungsanstalt sämmtliche eingelieferten Stücke – gleichviel ob sie zur chemischen Wäsche oder zur Reinigung weniger Flecken in die Anstalt geschickt wurden – in die Benzinwäsche gelangen, so wird der Detacheur vorwiegend nur noch solche Flecken finden, die ihrer Natur nach sich in zuckerige oder mehlartige theilen lassen, entstanden durch wässerige Lösungen gleicher Art. Da alle die den Lösungen seiner Zeit etwa beigemengten fettigen Körper durch die chemische Wäsche zuverlässig entfernt sind, so ist die Fortschaffung dieser gebliebenen Flecken bei dem gewonnenen Grunde in den Stoffen viel leichter, als wenn noch Fett darinnen säße. Bei dicken Wollenstoffen genügt meistens schon die Bürste, bei anderen in vielen Fällen einfach reines Wasser, welches mit Schwämmchen und kleinen Bürsten zum Fortschaffen der lose aufsitzenden Schmutztheile benutzt wird, worauf die betreffenden Stellen sogleich sorgfältig mit reinen Lederlappen ausgetrocknet, die seidenen Stoffe nach dem Abtrocknen mit Gyps belegt werden, um die Bildung eines Randes zu verhindern. Bei anderen Flecken werden andere Mittel, aber eben die allgemein bekannten, Spiritus, Säuren, Ammoniak etc. angewendet.

Das letzte Ressort in einer solchen ausgedehnten Anlage ist der Appretirsaal zum Fertigmachen der chemisch gereinigten Gegenstände. Auf hohlen Plättbrettern, welchen Dampf entströmt, wird der Sammet hier aufgerichtet, werden die Muster der Applicationen und Gardinen plastisch hervorgehoben, die Wollenstoffe gedehnt und decatirt; durch die Walzen der Appretirmaschinen tritt das vorher zerknittert eingetretene Wollenzeug frisch und glatt hervor. Und alle diese in verschiedenartigster Weise thätigen Maschinen, welche die eingelieferten Gegenstände dem Publicum wie neu zurückstellen, speist und treibt der Sclave der civilisirten Welt, der gefügige Dampf. Es ist nicht zuviel gesagt, daß unsere renommirten chemischen Reinigungsanstalten ein nationalökonomisches Moment geworden sind, wie jeder Fortschritt der Technik, welcher die Wiederherstellung und Erhaltung des Unserigen bezweckt. Wenn sich die Commanditen und Annahmemagazine der Reinigungsanstalt, welche Judlin in richtiger Würdigung ihrer Bedeutung einst in verhältnismäßig kleinem Maßstabe errichtete, heute schon wie ein Netz über die Karte des Reiches und darüber hinaus ausdehnen, so ist das zugleich ein Beweis, daß die Kunst der chemischen Reinigung täglich in ihrer Vervollkommnung weiterschreitet und darin gleichen Schritt mit der Chemie selber hält.




Daniel Siebenstern.
Eine wunderliche Geschichte von Heinrich Seidel.

Es war eine echte gerechte Sonnengluth. Wer es mit oder ohne Opfer hatte möglich machen können, war aus Berlin verschwunden und lag an fernen Quellen im kühlen Schatten und pumpte sich den Staub aus Brust und Herzen, oder schluckte fremden Staub und fremde Hitze und bildete sich ein, Sommerfrische zu genießen. Auf jeden Fall aber war er fort aus Berlin – und mein Verhängniß zwang mich zum Bleiben. Man könnte überhaupt viel angenehmer leben, wenn das „Verhängniß“ nicht wäre.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_279.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)