Seite:Die Gartenlaube (1878) 346.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Jahr 1876 weist an seinem Schlusse den kolossalen Bestand von 48,707 Teilhabern mit 307,551,700 Mark Versicherungssumme auf! Am 9. Juli 1877 feierte die Bank ihr fünfzigjähriges Bestehem, und Arnoldi’s ältestem Sohne, dem Bankbuchhalter Ernst August Arnoldi, welcher schon bei Eröffnung der Bank in deren Dienste getreten, war es von einem glücklichen Geschick beschieden, zugleich mit der Jubelfeier der Schöpfung seines Vaters sein eigenes goldenes Jubiläum zu feiern.

Jetzt feiert dankbar das gesammte Vaterland das hundertjährige Geburtsfest des edlen Mannes, der, ein schlichter deutscher Bürger, aus eigener Kraft, in Patriotismus und Menschenliebe für sein Volk und dessen Heil so Großes gewirkt und geschaffen hat. Mit allem Recht läßt von ihm sich sagen, was unser Altmeister Goethe seinen Faust sagen läßt:


          Es kann die Spur von seinen Erdetagen
          Nicht in Aeonen untergehn!




Nächtliche Wanderung durch das Berliner Aquarium.
Von Gustav Schubert.

Die Mitternachtsstunde klang noch vom Berliner Rathhause her durch die immer stiller werdenden „Linden“, als wir, zwei einsame Nachtwanderer, jeder mit einer verborgenen Blendlaterne bewaffnet, auf den Zehen schleichend und jedes Geräusch und Gespräch vermeidend, in einer der letzten Aprilnächte ein seltsames Vorhaben ausführten. Den Leser wird bei diesem Eingange ein Schauer überlaufen. Eine Criminalgeschichte? – Weit gefehlt! Was er erfahren wird, ist harmloserer Natur. Durch tägliche Beobachtungen im Berliner Aquarium (Vergl. Jahrg. 1873, Nr. 10) angeregt, hatte ich mir schon oft die Frage vorgelegt: Welche Erscheinungen bietet dieses Thier-Heim in der Nacht, das heißt wie und wo schlafen die Thiere, beziehentlich: schlafen sie überhaupt? Ich trug meinen Wunsch, diese Frage durch eigene Beobachtung zu lösen dem Director des Aquariums, Dr. Hermes vor, und fand bei ihm in liebenswürdigster Weise Gehör und Zustimmung, wir verabredeten, in einer mondhellen Nacht eine Wanderung durch die Räume des interessanten Institutes anzutreten. Heute nun sollte das Vorhaben ausgeführt werden.

Es war mir recht eigenthümlich um das Herz, als sich die schweren eisernen Thore hinter uns schlossen, um uns einer wahrhaft ägyptischen Finsterniß zu überlassen. Mehrere Minuten vergingen, ehe das Auge im Stande war, auch nur die schwächsten Contouren zu entdecken; doch ällmählich begann es zu dämmern. Drohenden Giganten gleich schienen die in den fabelhaftesten Formen aufgebauten Felsstücke und Tropfsteinbildungen den zudringlichen Wanderern den Eingang versperren zu wollen. Wie wenn aus dem tausendjährigen Gestein, das gewaltsam dem mütterlichen Schooße der Erde entrissen und hier aufgethürmt wurde, Gnomen und Bergmännchen hervorgeschlüpft kämen, um nach unserm Begehr zu fragen?

Doch es bleibt todtenstill, nur aus weiter Ferne erklingt das murmelnde Plätschern des Wasserfalles der „Geologischen Grotte“ zu uns herüber; lautlos tasten wir uns durch die labyrinthischen Gänge und bleiben vor dem Käfig des Wasch- und des Nasenbären stehen. Bei diesen Thieren, wie bei allen anderen, beobachteten wir das Verfahren, erst im Dunkel der Nacht zu lauschen und so viel als möglich zu beobachten, um dann plötzlich den Lichtschein unserer bis dahin verborgenen Laternen zur Anwendung zu bringen. Die beiden Bären schlafen in einem an der Wand angebrachten Kasten, doch kaum ist der Behälter erleuchtet, als auch schon der Waschbär seinen Kopf mit größter Vorsicht über den Rand seines „Bettes“ erhebt und mit leuchtenden, unheimlichen Blicke nach uns herüberlugt. Minutenlang bleibt er versteinert in dieser Situation, bewegungslos sucht er unsere Gestalten, hinter denen lange riesenhafte Schatten an den Felswänden hinhuschen, zu ergründen, der Nasenbär liegt zusammengerollt in einem Winkel und hat offenbar keine Ahnung von der Aufregung und Angst seines Gefährten. Wir wenden uns leise zu dem Affenhause. In den verschiedensten Stellungen haben sich die Vierhänder zur Ruhe gebettet. Eine kleine Meerkatze sitzt auf dem Tische (die Wohnung ist, beiläufig gesagt, ganz „menschlich“ eingerichtet) und hat in melancholischer Stellung den Kopf an die Wand gelehnt; die Hände in dem Schooße, macht das Thier den unbeschreiblich komischen Eindruck eines sentimentalen Büßers. Andere hocken in Stroh und weichen Sägespähnen; befreundete Seelen haben sich fest umschlungen und schlafen und träumen gemeinschaftlich.

Jetzt trifft die Schläfer der Strahl unserer Lichter. Verwundert schauen sie auf, verbleiben aber regungslos. Keiner macht den Versuch aufzustehen und dem Grunde der nächtliche Störung nachzuforschen. Aehnliche Resultate ergeben sich fast bei allen schlafenden Säugethieren; es scheint, als übe der nächtliche Ueberfall unsererseits eine magische und bannende Wirkung aus, gegen deren Kraft ihnen eine Auflehnung unmöglich dünkt. Die fliegenden Hunde hängen still an der Decke, sehen uns zwar mit ihren großen schwarzen Augen erschrocken an, verrathen aber sonst keine Zeichen innerer Bewegung. Das eine der beiden Faulthiere hat uns gewiß schon längst gewittert, denn inmitten des Halbdunkels hat es sich erhoben, stützt seine mächtigen Krallen auf den untern Rand des Käfigs und steckt die Nase durch das Gitter. Die plötzlich erhobenen Laternen machen indeß nicht den geringsten Eindruck auf das uns blöde anstarrende Thier, dessen Genosse zusammengerollt auf einem Felsvorsprunge unbekümmert schläft. Wir finden den Prairiehund (Arctomys Ludovicianus) vor seiner Steinwohnung; schon lange sind die regelmäßigen Sprünge und Schritte des mit der größten Geschäftigkeit hin und her eilenden Thieres vom Missouri an unser Ohr gedrungen. Auch das Flatterhörnchen (Pteromys volans), ein echtes Nachtthier aus den Steppen Rußlands und Sibiriens, ist lebendig und springt, respective fliegt unruhig in den dürren Zweigen des in seinem Käfige aufgestellten Bäumches umher. Ebenso sind die beiden in einem geräumigen Becken einquartierten Biber in voller Thätigkeit; das Männchen durchzieht lautlos die Oberfläche und den Grund des Wassers; das Weibchen ist im Begriff, sein scharfes Nagethiergebiß mit weithin vernehmlichem Geräusch an der Rinde eines Baumstammes zu versuchen. Die plötzliche Illumination ihrer Grotte läßt sie zwar eine Augenblick stutzen, doch geht Jeder im nächsten Moment wieder seiner Beschäftigung nach.

Doch nun zu der gefiederten Welt! In den großen, auf das Praktischeste eingerichteten Volièren sitzen die Gestalten der zahlreichen ausländischen und einheimischen Vögel. Während am Tage hundertstimmiger Gesang und unentwirrbares Geschrei die Luft erfüllte, gebaut, geliebt, gezankt und mit dem Nebenbuhler gekämpft wurde, hat jetzt der süße Schlaf sich über alle Parteien gebreitet; der älteste Groll ist vergessen, und nur leise und traumhaft ertönt hier und da ein bald verstummender Gesang. Ob nicht in der That manches der reizenden Geschöpfe jetzt der Freiheit und des sonnigen Vaterlandes gedenkt und sich zurücksehnt in die heimatlichen Wälder? Dort sitzen auf einem Aste, in der Nähe ihrer kunstvoll gestrickten Nester, gegen dreißig Goldweber; die Köpfchen unter die Flügel gesteckt, machen sie den Eindruck von Früchten auf einem blätterlosen Baume. Jenes dunkle Häuschen auf dem langen Zweige sind lauter gute Bekannte: Fink, Meise, Zeisig, Stieglitz, Hänfling, Grasmücke, Rothkehlchen, Nachtigall, Lerche und Bachstelze. Hier hocken schlummernd Drosseln, Staare, Gimpel und Goldbrüstchen in Gesellschaft von Wellensittichen, Rosenpapageien und andern fremdländischen Vogelarten – ein wahrhaft internationales Schlafhaus.

Auf einem Steine an der immer rieselnden Wasserquelle sitzen Flußregenpfeifer und Wiesenpiper; in den schönsten Reflexen erglänzt das Gefieder der Blauheher, Glanzdrosseln und Stahlfinken; Sichler und Ibis verschmähen jede Bequemlichkeit und schlafen, wie noch viele andere ihrer Sippe, auf einem Beine. An dem Wasserfalle der „geologischen Grotte“ bemerken wir in derselben Situation unseren Freund, den Storch – er ist erwacht; auf seinem silbernen Oberschnabel[1] erglänzt in seltsamer Weise der

  1. Dieser Storch wurde dem Aquarium vor einem Jahre mit abgesplittertem Oberschnabel überbracht, eine kundige Hand ersetzte ihm denselben durch einen silbernen, mit dem er sich seit jener Zeit sichtlich wohl befindet.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_346.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)