Seite:Die Gartenlaube (1878) 366.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Der junge Seemann vor mir lachte leise vor sich hin. „Ungefähr verhielt es sich so,“ sprach er endlich, und es klang etwas wie kindliche Freude in seiner Stimme. „Ich weiß das, denn der Bursch war ich selbst.“

„Sie selbst?“ Und ich trat einen Schritt näher auf ihn zu, und mein Herz brach wie eine Blume auf gegen den bescheidenen, kraftvollen Mann da vor mir. „Ich gratulire Ihnen, Jay Robinson,“ sagte ich, ihm warm die Hand schüttelnd, „ich für mein Theil glaube, daß der Mann hier vor mir das ist, was der Knabe zu werden versprach.“

„Es ist mir werth, daß Sie freundlich von mir denken,“ meinte er mit leichter Verlegenheit.

Seltsamer Widerspruch der Natur! Während uns der Regen in’s Gesicht schlug und das ganze Weltall zu Wasser geworden schien, während der Himmel die Tiefe, auf welcher der Geist Gottes vor der Schöpfung schwebte, mit feuchten, triefenden Wolkenmassen überzog und die Sturzseen zu unsern Füßen spielten, dachten wir an das große Feuer in West-Hoboken und meinten, wieder bei dem glühend heißen Brande zu sein. Aber eine heftige Sturzsee zog unsere Aufmerksamkeit zurück auf das Meer.

„Wie lange sind Sie schon auf der See?“ fragte ich den Steuermann.

„Fünf Jahre.“

„Weshalb sind Sie Seemann geworden?“

„Weil ich gern Schiffsjunge sein wollte.“

„Schiffsjunge? Gern – Schiffsjunge?“

„Ich hatte als Knabe immer eine Neigung zu abenteuerndem Leben.“

„Aber die schwere Arbeit –“

„Reizte mich nur. Ich war nie fröhlicher, als bei der Arbeit. Sie nannten mich immer den Regenpfeifer, weil ich im unfreundlichsten Wetter bei jeder Arbeit pfiff. Aber jetzt –“

„Jetzt?“

„Sehne ich mich nach Hause. Ich will heirathen und eine Landratte werden. Ich habe das Leben satt. Es ist schön, selbst Seemann zu sein, aber wenn man arme Frauen und Kinder ertrinken sehen muß –“ er hielt inne.

„Haben Sie schon eine so beklagenswerthe Scene gesehen?“

„Ja, als die ‚Arctic‘ scheiterte. Ich hatte Dienste auf dem Schiffe genommen, und ich erlebte die Strandung mit. Aber ich mag nicht davon erzählen.“

„Thun Sie es nicht! Es hört sich in dem Wetter nicht gut an.“ Ich schwieg eine Weile. „Aber wie wird es Ihnen auf dem Lande ergehen? Werden Sie sich in das Leben auf festem Boden hineinfinden?“

„Das weiß ich noch nicht. Ich frage mich jetzt nur, ob ich mich aus dem Seeleben hinausfinden werde.“

„Gut. Und seit wann sind Sie verlobt?“

„Ich bin es nicht.“

„Ah so, ich vermuthete. Und wann wollen Sie sich verloben?“

„Das weiß ich nicht.“

„Also steht es noch ganz in weiter Ferne. Und wann haben Sie Ihren Entschluß gefaßt, dem Seemannsleben zu entsagen?“

Er schwieg.

„Wollen Sie nicht sich verheirathen und trotzdem Seemann bleiben?“

„Nein. Das ist ein Unrecht gegen die Frau. Man läßt sie allein auf dem Lande zurück; man läßt sie gleichsam im Stiche. Auch habe ich mich schon seit etwa einem Jahre wieder nach dem festen Lande gesehnt. Ich bin zum Seemann zu schlecht – oder zu gut, wenn Sie so wollen,“ setzte er hinzu.

„Und wann werden Sie das Schiff verlassen?“

„Das weiß ich nicht.“ –

(Fortsetzung folgt.)





Die Campmeetings.
Ein Bild religiösen Lebens aus Nordamerika.
Das Leben auf einer Lagerversammlung. – Zur Geschichte der Lagerversammlungen – Die Methodisten. – Ein weiblicher Apostel.

Es war auf meinen Irrfahrten während der ersten Jahre meines Aufenthaltes in Amerika, daß ich nach dem Eastern Shore an der atlantischen Küste der Vereinigten Staaten verschlagen wurde. Auf dieser Halbinsel, die im Osten vom Ocean und im Westen von der Chesapeak-Bai eingeschlossen wird, weilte ich längere Zeit bei einem gastfreundlichen Farmer in Queen Anne’s County, Md. Dort war es, wo ich zuerst einem Campmeeting oder einer Lagerversammlung, wie der Deutsch-Amerikaner diese eigenthümlichen Andachtsübungen nennt, beiwohnte. Ich hatte schon viel von den Versammlungen gehört und gelesen, aber nie Gelegenheit gehabt, diese religiöse Narrheit aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Als daher eines Tages von Seiten eines Bekannten die Aufforderung an mich erging, mit ihm nach einer Lagerversammlung zu fahren, sagte ich mit Freuden zu und fuhr mit ihm gleich am nächsten Morgen in einem sogenannten Buggy (kleinem Wagen) zu dem einige Meilen von Church Hill, Queen Anne’s County, gelegenen Platze der Versammlung.

Wer noch nie auf einem Campusmeeting war, vermag sich kaum eine Vorstellung von einem solchen zu machen. Man gewinnt im ersten Augenblick den Eindruck, als ob man sich einem Platze näherte, der erst vor wenigen Wochen von Colonisten gegründet worden. Mitten im Walde, unter hohen schattigen Bäumen sind Wege angelegt, und an beiden Seiten derselben reiht sich eine Hütte an die andere; sie sind roh aus Holz gezimmert; daneben erblickt man auch viele Leinenzelte. So unscheinbar diese Hütten und Zelte auch von außen sind, im Innern sind doch manche recht wohnlich eingerichtet. Ein feiner Brüsseler Teppich entzieht oft die rohen Bretter des Fußbodens den Augen des modernen Zeltbewohners, während die Möbel, welche die inneren Räumlichkeiten schmücken, gar häufig aus den ersten Magazinen der Großstädte stammen. Andere Hütten sind allerdings einfacher eingerichtet. Eine Strohmatte vertritt mitunter die Stelle des Teppichs, und oft fehlt auch diese. Den Mittelpunkt einer solchen Zeltstadt bildet die für die Geistlichen errichtete Kanzel oder der „Stand“. Vor diesem Stande sind zahlreiche Bänke angebracht, auf denen die Andächtigen oft vom frühen Morgen bis zum späten Abend den Predigten lauschen, die fast ohne Unterbrechung gehalten werden.

Trotz der frühen Stunde unserer Ankunft wimmelt das ganze Gehölz von einem Getümmel der buntesten Art. Während hier ausgeschirrte Pferde in großer Anzahl inmitten einer förmlichen Wagenburg stehen und an mächtigen Heubündeln oder vollen Hafersäcken ihren Hunger stillen, lärmen dort Schaaren von Kindern – meist halbwüchsige Buben – tiefer im Walde umher. An heimlichen Plätzen legt auch wohl eine Gruppe von Schönen die letzte Hand an die Toilette, oder es wandert ein glückliches Paar umschlungen durch das lauschige Waldesgrün. In den Kosthäusern herrscht schon ein reges Leben. Da kocht, bäckt und schmort bereits eine große Auswahl von Gerichten der bevorstehenden Mahlzeit entgegen. Eiserne Kochöfen wurden sammt den dazu gehörigen Utensilien in’s Lager transportirt und ermöglichen nun die sorgfältigste Ausübung der Kochkunst.

In dem großen offenen Schuppen am Ende des Platzes hat sich unterdeß eine ehrbare, ehrwürdige Gesellschaft von Herren in schwarzen Röcken, weißen Halsbinden und hohen Cylinderhüten eingefunden. Es sind Methodistenprediger – das sieht man an ihrer Kleidung und Haltung, an ihrer salbungsvollen Begrüßung und gemessenen Unterhaltung. Ihre Bewegungen sind bedächtig, ihre Mienen süß – Alles an ihnen ist mild, sanft, christlich, brüderlich.

Die Herren stehen oder sitzen in Gruppen; allein ihrer Rede fehlt der rechte Fluß, denn alle Augenblicke erscheinen entweder neue Collegen, oder es nahen sich Mitglieder der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_366.jpg&oldid=- (Version vom 5.8.2016)