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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

freiester Benutzung angeboten und ihn für außergewöhnliche Arbeiten besonders durch Geld entschädigt, auch später bei seiner Uebersiedelung nach Leipzig dafür gesorgt, daß Robert ihm dahin nachfolgte.

In dieser Stellung und Lage fand nun Robert Blum die Freude und den Muth zu dem eifrigsten poetischen Schaffen.

Schon in Berlin, vom Jahre 1829 an, hatte er sich schriftstellerisch versucht. Sein erstes Werk war freilich der reinsten Geschäftsprosa gewidmet, der Straßenbeleuchtung.[1] Aber hauptsächlich war seine schriftstellerische Thätigkeit doch auf „poetische Versuche“ gerichtet. Die Gedichte, die er unter diesem Titel selbst zusammengestellt, umfassen im Manuscript 308 Quartseiten und vertheilen sich auf die Jahre 1829 bis mit 1834. Einige derselben sind schon 1829 und 1830 in der von Saphir herausgegebenen „Schnellpost“ erschienen, andere 1831 folgende in Kölnischen Zeitungen, das Meiste erst später in der „Abendzeitung“, der „Eleganten Welt“ von G. Kühne, in „Unser Planet“ und anderen belletristischen Blättern.

Das einzige unübersteigliche Hinderniß der Herausgabe dieser Gedichte war jene fluchwürdige Einrichtung, welche in Deutschland damals noch auf fast jeglichem literarischem Schaffen, mindestens aber auf der Presse lastete: die Censur. Denn der bei weitem größte Theil dieser Gedichte ist politischen Inhalts. Und so maßvoll uns Deutschen von heute die Freiheitsbegeisterung, so natürlich uns die Vaterlandsliebe des dreiundzwanzigjährigen Dichters erscheinen muß, so war doch der Censor, der über diese Blüthen der Dichtkunst sein maßgebendes Urtheil abzugeben hatte, ganz anderer Meinung. Er strich Blum’s politisch-poetische Offenbarungen unbarmherzig zusammen und gerieth über die Unermüdlichkeit, mit welcher der junge Dichter immer neue Kinder seiner patriotischen Muse überreichte, schließlich in solche Wuth, daß er Allem, was nur Blum’s verhaßte Handschrift trug, schlechthin die Druckerlaubniß versagte. Um sich volle Gewißheit über das parteiische Vorurtheil und die leidenschaftliche Pflichtwidrigkeit dieses Wächters des Staatswohls zu verschaffen, beging Blum die Bosheit, ihm, von seiner Hand geschrieben, unter einem recht verdächtigen Titel einige Gesangbuchsverse zur Censur zuzuschicken – und richtig, der Censor strich auch diese Verse als staatsgefährlich und wiederholte dasselbe noch zweimal, als Blum ihm die nämlichen Verse, die in jeder Kirche zur Erbauung der Gemeinde gesungen wurden, noch zweimal unter anderer Ueberschrift zusendete. Von solchen Menschen hing damals die Entscheidung darüber ab, was das deutsche Volk gedruckt sollte lesen dürfen.

Von den politischen Ereignissen der damaligen Zeit stehen dem Dichter die französische Revolution, dann die große Erhebung Polens und natürlich die Verhältnisse des eigenen Vaterlandes im Vordergrunde des Interesses. Doch verfolgt er auch ferner liegende Dinge mit größter Aufmerksamkeit. Eine der schwungvollsten Dichtungen der Sammlung ist z. B. die ergreifende Klage um den Tod Bolivar’s, des Befreiers Südamerikas vom spanischen Joche († 10. December 1830):

Bolivar ist nicht mehr! klagte der Glockenton,
Bolivar ist nicht mehr! brauste der Ocean,
Und von den Andes rückhallte die Klage
     Ueber den Erdball.

Sinkt denn der Gott dahin, fragt’ ich erschüttert mich,
So wie der Wurm des Staub’s? Ist Er, der seinem Volk
Mehr gab als Leben: die heilige Freiheit!
     Sclave des Todes?

So übertrieben, wie alle liberalen Zeitgenossen, pries auch Blum die Helden der Pariser Julitage. Vom gesündesten politischen Urtheil zeugt dagegen das Scherzgedicht über Griechenland, das er unter dem Titel „Literarische Anzeige“ schrieb, und von dem so Vieles noch heute auf den Staat der Hellenen paßt:

„Im Jahre ein Tausend acht Hundert und dreißig
Erschien, nachdem man erst lange und fleißig
Zu London daran war, mit Drucken und Pressen –
– Auch hat man es nicht zu beschneiden vergessen –
Ein Werkchen, betitelt: Neugriechischer Staat,
In einem sehr niedlichen Taschenformat.
Dasselbe ist ganz nach der neuesten Mode,
So zierlich als möglich, und kurz, die Methode,
Nach der man zu Werk ging, ist eigener Art,
Und überall Ordnung mit Schönheit gepaart.
Zwar wagte der Neid schon von manchen Gebrechen
Und Fehlern, die drinnen sein sollen, zu sprechen;
Doch können dies höchstens nur Druckfehler sein,
Und diese sind dann um so mehr zu verzeih’n,
Da mehrere Setzer am Werkchen gezimmert.
Und Niemand um die Correctur sich gekümmert.
Man suchet nun Jemanden, der den Verlag
Des Werkchens gleich zu übernehmen vermag.“

Ganz überraschend klar und kräftig tritt aber bei Blum der deutsch-nationale Gedanke hervor. In einer Zeit, in der fast Alle, gelegentlich auch er selbst, berauscht waren von einem unbestimmten Freiheitsdrang und kosmopolitischer Schwärmerei und die Erkenntniß, daß erst auf dem Boden eines festen, einigen, deutschen Staatslebens alle höheren Güter der Nation, vor allem die Freiheit, errungen werden könnten, höchst vereinzelt, von Männern wie Pfizer und Dahlmann ausgesprochen wurde, während Männer wie Börne und Heine nur Hohn und Spott für ihr Vaterland hatten, in dieser Zeit erscheint ein Gedicht wie dasjenige, das Blum 1831 „an Germania“ schrieb, als ein hervorragendes Zeugniß politischer Einsicht und nationaler Klarheit. Es heißt darin unter Anderem:

„Völker siehst Du auferstehen,
In des Freiheitsodems Wehen,
In der Zeiten hehrem Lauf;
Erntend längst gestreute Saaten,
Treten sie im Feld der Thaten
Kühn als Nationen auf.

Ach, der Hebel aller Staaten,
Die Erzeug’rin großer Thaten,
Aller Völker Kraft und Macht,
Die allein nur Muth und Stärke
Geben kann zum großen Werke: –
Einheit – ist Dir ja versagt!

In die einzeln schwachen Glieder
Gießt sie Kraft und Fülle wieder;
Einheit ist der Staaten Mark.
Kein Erob’rer stellt verwegen
Dann sich lüstern uns entgegen;
Werdet eins, dann sind wir stark.

Deutsche, nützt die hehren Stunden!
Wenn sie einmal hingeschwunden,
Sind sie ewig uns vorbei;
Laßt das große Völkerringen
Etwas wenigstens uns bringen:
Werdet eins! dann sind wir – frei!“

Ueberhaupt ist der gesunde Realismus, der bei aller Begeisterung des jungen Herzens aus diesen Gedichten spricht, doppelt wohlthuend in einer Zeit, die sich anschickte, mit Heine einem krankhaften sentimentalen Weltschmerz sich zu ergeben. Nirgends fingirt Blum Liebesleiden, die er nicht kannte, nirgends zeigt er sich mit der Welt zerfallen, lebensmüde, obwohl er hierzu mehr Grund haben mochte, als mancher Andere. Dagegen dringt wiederholt die bittere Klage über das harte Geschick, das ihm gerade die Erreichung der höchsten Lebensziele so unendlich schwer machte, mit der vollen Kraft eines gewaltigen Naturlautes aus seiner gepreßten Brust. Aber immer richtet ihn auf der felsenfeste Glaube an den Sieg der idealen Mächte, denen er sein Streben geweiht, und damit auch an die eigene Sendung, die er zu erfüllen bestimmt ist.

Besonders betont in seiner Weltanschauung – er huldigt überall dem rationalistischen Glauben, den er z. B. in seinem „Glaubensbekenntniß“ ausspricht – erscheint die Ueberzeugung von der Unsterblichkeit der Seele, die sich in diesen Gedichten wiederholt ebenso deutlich ausspricht, wie – in dem letzten Briefe an seine Gattin, den er Angesichts des Todes schrieb. In einem seiner frühesten Gedichte „An die Zeit“ (1829) heißt es am Schlusse:

„Du veränderst und wechselst nur jede Gestalt,
Die im Staub sich erzeugte vom Staube;
Doch dem Geiste droht nie der Zerstörung Gewalt,
Er wird nie der Verwesung zum Raube.
Zerstöre Du nur ohne Ende und Ruh’ –
Ein Theil meines Wesens ist ewig, wie Du.“

  1. Der Titel lautet: „Kurze Abhandlung über die Straßenbeleuchtung zum Gebrauche (!) der städtischen Polizei- und Verwaltungsbehörden, nebst einigen Erläuterungen über das allgemeine Unternehmen der Straßenbeleuchtung, von R. Blum (Preis 10 Sgr.), Berlin, bei Leopold Wilhelm Krause, Adlerstraße Nr. 6. 1829.“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_376.jpg&oldid=- (Version vom 5.8.2016)