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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

mit der davorliegenden Straße zusammenhängen, wie auch die hauptsächlicheren größeren Fleete im Volksmunde keinen selbstständigen Namen tragen. Fast jedes Fleet bildet die Rückseite einer Straße, das heißt einer Häuserreihe derselben. Hierin liegt schon an sich ein höchst pikantes Moment, namentlich soweit es sich um die innern fashionablen Theile der Stadt handelt. Während hier auf der Straßenfront glänzende Läden all die tausend Gegenstände des täglichen Bedürfnisses, Comforts und Luxus in reicher Auswahl darbieten, das Trottoir von einem dichten Strome von Passanten – darunter eine elegante Damenwelt –, das Pflaster von einem Durcheinander verschiedenster Wagen, Equipagen, Droschken, Milch- und anderer Karren, überragt vom hochgethürmten Omnibus, mannigfaltig belebt ist, brauchen wir nur um die Ecke und nach einer der über das Fleet führenden Brücken zu biegen, um uns nach wenigen Schritten dem schärfsten Contraste zu dem eben Gesehenen, der tiefen Stille und Einfachheit des Fleets gegenüber zu befinden, wo massive Kräfte in ruhigem abgemessenem Tempo geräuschlos thätig sind, die Schute schwerfällig durch das oft tief beschattete Gewässer einherzieht und der Waarenballen am Seile in gleichmäßigen Pausen durch die Luft nach dem Speicher emporsteigt, wo die Gebäude, im Unterschied von der modernisirten Straßenfront, noch den Giebel- und Fachbau, wenigstens zum größeren Theil, bewahrt haben.

In den großen Fleeten, welche mit wenigen Biegungen sich vom Hafen quer durch die Stadt bis in die Nähe des Alsterbassins ziehen, herrscht, entsprechend dem Charakter der angrenzenden Straßen, der mächtige Speicher, auch neuerer Bauart, vor und steigt oft, rechnet man das letzte Giebelfenster mit, zu einer Höhe von sechs bis sieben Etagen empor. Aus einer der obersten ragt dann der mit dem charakteristischen Schutzdach versehene Flaschenzug hervor; in neuerer Zeit wird das Aufziehen auch durch schwimmende Dampfwinden besorgt. Befindet sich der Flaschenzug – der seltnere Fall – zu ebener Erde, so nimmt das Schutzdach die Dimensionen eines kleinen Hauses an, das einem auf Stützen ruhenden Napoleonshut nicht unähnlich ist und der Umgebung einen niederländischen Charakter verleiht. Jene überall auf der aus der Front hervorspringenden Schutzdächer gehören wesentlich mit zu den charakteristischen Eigenthümlichkeiten der Fleete.

Hamburger Fleet.
Nach der Natur aufgenommen von Ferdinand Lindner.

Entfernen wir uns nunmehr vom eleganten Mittelpunkte der Stadt nach den Gegenden, wo die Straßen enger, das Pflaster holperiger und Giebel und Fachwerk vorherrschend werden, so beginnt auch das Fleet schmäler zu werden; die Speicher steigen teilweise von ihrer Höhe herab, Werkstätten und Wohnräume des Handwerkers überwiegen mehr und mehr, bis das Fleet, wie unsere Illustration zeigt, zum düsteren Wassergäßchen zusammenschrumpft. Während die größeren Fleete eine ziemlich glatte, ja oft reservirte Außenseite zeigen, blickt man hier in ein unentwirrbares Durcheinander von Dächern und Giebeln, von Balken und Bälkchen, Latten und eisernen Haken, die theils scheinbar zwecklos in den Luftraum hineinragen, theils mit Gegenständen, wie alten Kleidern, Wäsche, Lappen u. dergl. m. von oft zweifelhafter Form und noch zweifelhafterer Farbe behängt sind. Auf den unteren Vorsprüngen gruppirt sich dann eine Sammlung über Bord geworfener Gegenstände, als da sind zerbrochene Näpfe, Schalen, Küchenabfälle etc., zu einem mehr malerischen als appetitlichen Stillleben, das den zahlreich vorhandenen Ratten erwünschten Genuß bietet. Ein beobachtender Kater hat auf einem jener Häuschen oder Balcone Posto gefaßt, welche den Namen „Laube, Fleetlaube“ führen und in großer Zahl an den Wänden kleben. Es ist schon an und für sich rathsam, auch in größeren Fleeten nicht allzu nahe an den Häusern hinzufahren, da von Zeit zu Zeit ein Fenster geöffnet und ein Kübel gleich von oben herunter seines Inhalts entleert zu werden pflegt. In den engen schluchtartigen Fleeten dagegen wird die Situation wirklich beängstigend; es bieten sich da dem Auge zahlreich gewisse architektonische Widerlichkeiten dar, wie sie auf den häßlichen Kehrseiten eleganter Großstädte so vielfach zu finden sind. Das wirkliche Venedig weist in manchen seiner Canäle Aehnliches auf.

Ein Theil der Gebäude nickt lebensmüde vornüber und stemmt sich Schulter an Schulter gegen das Umsinken, worin es von Seiten der Menschen durch einige mitleidige Balken unterstützt wird. Dieses lebensmüde Haus, oder wenigstens dasjenige, welches mit dem rechten Winkel auf gespanntem Fuße lebt, ist übrigens für Hamburg typisch und in allen Stadttheilen durch einzelne oder mehrere Exemplare vertreten. Man sollte es nicht für möglich halten, daß in dem schiefen Gerümpel noch Menschen zu existiren vermöchten, ja zu existiren wagten. Freilich lockt die überaus billige Miethe; im Jahre 1876 ist aber der hamburgische Staatssäckel einmal übel gefahren, indem im November dieses Jahres ein Theil des Fleets an der Reichenstraße sich häuptlings in’s Wasser stürzte, wobei leider auch Menschen um’s Leben kamen. Da aber der hamburgische Staat Eigenthümer und Vermiether der alten Baracken war, so mußte er an dreißigtausend Mark Schadenersatz zahlen.

Wenn wir schließlich noch auf den dem Fleet ganz besonders eigenthümlichen stämmigen Unterbau von Balken mit ihrer verwitterten feuchten Außenseite, die sogenannten „Vorsetzen“, aufmerksam machen, auf welchen die Häuser errichtet sind, so können wir damit die Schilderung der Baulichkeiten schließen, um noch einige Worte über jenes Element zu sagen, das bei dieser Gattung Straßen eine wichtige Rolle spielt – das Wasser. Auf ihm beruht die manchen Besuchern Hamburgs auffällige Aehnlichkeit mit venetianischen Scenerien, eine Aehnlichkeit, die in einer sommerlichen Mondnacht oft geradezu frappant hervortritt.

Wir nannten das Wasser des Fleets den Lastträger der Stadt, und getreu diesem seinem öffentlichen Amte hat es auch ein ruhiges gesetztes Benehmen und ist weit entfernt von den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_469.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)