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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Es war Gertl.

Sie hatte, ihrem Vorsatze getreu, als es kaum zu grauen begann, sich in dem Hause hinter der Ruine aufgestellt, das dem Baumann zur Wohnung dient, der die Wirthschaft des gräflichen Eigenthümers zu besorgen hatte. Die Arbeit war im feuchten Gras und in der Morgenfrische so flink von Statten gegangen, daß sie schon gegen Mittag beendet war und Gertl unerwartet einen halben Feiertag gewann, den sie für häusliche Arbeiten auszunützen bemüht war. Ueber das Dach breitete ein Aepfelbaum seine Krone; ein Fink hatte sein Nest in dieselbe gebaut und trippelte zutraulich vor den Füßen des Mädchens herum, die Brosamen, die sie ihm zuwarf, für seine zwischernden Jungen aufzupicken und heimzutragen.

Plötzlich flatterte das Vöglein verschüchtert auf und Gertl wendete sich um, die Ursache der Störung zu erfahren.

In dem Stubenfenster hinter ihr war eine ältliche Frau erschienen und hatte sich, ihr zusehend, mit beiden Armen auf das Gesimse gelehnt. „Ich hab’ mir’s ja eingebild’t,“ sagte sie, „daß Du wieder an der Nähterei bist, als wenn’s sonst im Hause nichts zu thun gäb’. Ich darf mich im Stall abplagen mit Futtern, Einstreuen und Melken, und Du sitzest da und laß’st Dir wohl sein wie eine gnädige Frau.“

„Fang’ nur nicht gleich wieder zu brummen an, Mutter!“ erwiderte das Mädchen mit anmuthigem Lachen. „Du gewöhnst Dir’s noch so an, daß Du gar nichts anderes mehr thun kannst als brummen. Die Nähterei muß doch auch geschehen, und heut ist gerade eine rechte Zeit dazu, Du wirst schon zufrieden sein damit, wenn Du erst einmal Staat machen kannst in der neuen Pfaid (Hemd) mit den Falbeln, die ringsherum gehen wie ein Kranz.“

„Ich wollt’,“ sagte die Mutter, „Du könntest Dir einmal Dein Brauthemd nähen; nachher wollt’ ich gern ein Aug’ zudrücken. Aber da wird noch viel Wasser im Inn hinunterrinnen, bis ich das erleb’.“

„Fangst schon wieder an mit dem alten Tanz?“ fragte Gertl.

„Muß ich denn nicht, wenn Du nicht auf mich hörst und mir nie Stich hältst, wenn ich davon anfang’? Es muß einmal ein End’ hergehn mit der Sach’. Ich bin in den Jahren, wo man seine Ruh’ haben möcht’, und Du bist in denen, wo Du einen Mann haben und anfangen solltest selber zu hausen. Ich muß mich plagen vom Morgen bis in die sinkende Nacht, nur daß wir das Maul fortbringen; das Sach’l (Gütchen) ist einmal zu klein. Darum solltest Du heirathen und einen Mann nehmen, der ein paar hundert Gulden mitbringt, damit Ihr Euch leichter haust und die Sach’ verbessern könnt’. Ich muß Dir sagen, ich hab’ die Fretterei (danklose Mühsal) jetzt von Herzen satt.“

„Red’ nicht so, Mutter!“ sagte Gertl ernsthaft. „Es ist uns noch nie ’was abgegangen bis heut und soll’s auch nicht, so lang ich mich rühren kann. Schau, ich spür’ halt noch gar keinen Beruf in mir zum Heirathen. Ich bin jung; ich hab’ noch Zeit – es ist immer früh genug, wenn ich in’s Schlaghäus’l muß.“

„Ja, ja,“ rief die Mutter entgegen. „Du möchtest halt so fortspielen wie ein Kind und Gott einen guten Mann sein lassen. Ich hätt’s in meinem Leben auch gern so gut gehabt, wie eine Henn’, die in der Früh ihr Ei legt und nachher mit dem Gockel spazieren gehen darf. Aber das geht halt nicht so auf der Welt; Du mußt Dich doch einmal entschließen und einen Buben nehmen.“

„Aber wenn ich halt kein’ mag?“

„Ist’s denn möglich, daß Dir von allen Burschen kein Einziger gefällt? Daß sich noch bei Keinem ’was gerührt hat unter’m Mieder? Ist’s wirklich so? – Ich fürcht’ alleweil, Madel, Du hast andere Gedanken und bist eine heimliche Planistin. Schau mir einmal in’s Gesicht, Gertl, und sag’, daß Du mich nicht anlügst!“

Ueber die Wangen des Mädchens zog liebliches Roth, aber sie schlug offen die Augen auf, um in die der Mutter zu sehen. „Wie werd’ ich denn Dich anlügen, Mutter? Es ist gewiß und wahrhaftig so.“

„Na,“ entgegnete die Mutter, „nachher weiß ich nicht mehr, wie es jetzt in der Welt zugeht. Wie ich jung gewesen bin, haben’s die Madeln ganz anders gemacht. Ich kann mir halt nicht helfen; ich sorg’ und sorg’ immer, Du wartst, bis irgend ein Prinz daher kommt.“

„Der wird nit kommen,“ sagte das Mädchen lachend, „und wenn er käm’, müßt’ ich mich erst wohl besinnen, ob ich eine Prinzin werden möcht’. Von den Bauernburschen wüßt’ ich gleich gar nit, wie ich’s anstellen sollt’, einen zu nehmen. – Es hat ja noch gar keiner angeklopft, und ich kann mich doch nicht selber antragen.“

„Das brauchst auch nicht,“ erwiderte die Mutter. „Es giebt Burschen genug und sie werden schon kommen, wenn sie nur einmal erst merken, daß sie kommen dürfen. Da wär’ gleich der Zimmermann, der Schnapsbrenner-Gori.“

„Mutter!“ ries Gertl, sich rasch nach ihr umwendend und von dem Roth des Abscheus überflogen, „das ist nit Dein Ernst –!“

„Es giebt auch Andere. Da wär’ der Niederhauser Franzl von Fischbach, gewiß ein braver und sauberer Bursch’.“

Gertl lachte. „Sauber? – Schaut ja mit jedem Aug’ in eine andere Welt.“

„Oder der Zimmerpauli von Flintsbach?“

„Der ist ja einseitig und hinkt mit einem Fuße.“

„Der Steinhauer-Baltes?“

„Der Ries’? Neben dem säh’ ich ja aus, wie das Davidl neben dem Goliath.“

„Mit Dir ist nix anz’fangen,“ sagte die Mutter. „Du mußt Dir halt einen Mann kücheln, und ich seh’ es voraus, Du überspannte Dingin, daß Du überbleiben wirst. Aber ich sag’ Dir’s, daß ich nimmer lang’ zuwart’ – bis zum Herbst muß die Sach’ in Ordnung sein. Wenn Du Dir bis dahin kein’ ausg’sucht hast, nachher –“

„Was nachher?“

„Nachher – such ich Dir einen aus. Oder ich heirath’ selber nochmal. Ja, lach’ nur, das thu’ ich.“

Sie verschwand vom Fenster und ging in die Stube, kehrte aber bald wieder.

„Da fällt mir g’rad noch ein,“ sagte sie, „vor ein paar Tagen ist der hochwürdige Herr Probst vom Petersberg vorbeigegangen und hat gesagt, er könnt’ Eier brauchen. Ich hab’ drinn’ ein Körbl zusamm’ gericht'; das kannst Du hinauftragen, weil Du doch einen halben Feiertag machst. Das ist gerad’ ein rechtes Geschäft.“

Die Mutter ging. Die Tochter nickte zustimmend und machte sich wieder über ihre Näherei her; bald aber versank sie in Gedanken, daß die Nadel im Stiche stecken blieb und die Hände sich in ihrem Schooße zusammenfalteten. Das Gespräch der Mutter machte sie nachdenklich. Die Sache war schon oft zwischen ihnen verhandelt worden, aber immer hatte sie auszuweichen gewußt. – Sie war aber doch klug genug, sich zu sagen, daß es nicht immer so fortgehen könne und die Zeit kommen müsse, wo sie ihre liebe Freiheit opfern, dem Willen der Mutter nachgeben und sich in ihre Bestimmung fügen müsse, die Frau eines Mannes zu werden.

Besonders wollte ihr die Gewissensfrage der Mutter nicht aus dem Sinn, ob ihr denn noch nie ein Bursche gefallen, ob es ihr bei Keinem wärmer um’s Herz geworden? Sie sann und sann; wie in einem alten Buche, das man aufschlägt, um seine Erinnerungen aufzufrischen, blätterte sie in ihrem Leben zurück; aber Blatt um Blatt und Tag um Tag zogen vorbei, ohne daß auch nur die schwächste Erinnerung aufstieg, ohne daß zwischen den Blättern sich auch nur das geringste Merkzeichen fand, wie man sie wohl einzulegen pflegt, damit sie mit uns alt werden, welken und dennoch jung bleiben trotz des Welkens. Mit einem Male zuckte ihr ein leichtes Lächeln um die feinen, frischen Lippen; sie lachte halb laut vor sich hin. Es war ja auch gar zu lächerlich, als ganz aus der fernsten Kinderzeit, wie schon in der vergangenen Nacht am Steinkreuz, der Krauskopf des Försterbuben auftauchte, der immer auf dem Schulwege ihr Camerad und Begleiter gewesen und der ihr verloren gegangen war, um ihm nicht wieder zu begegnen im Leben. Sie sah ihn vor sich, als wäre es erst am vorigen Tage gewesen; sie glaubte seine einschmeichelnde Stimme zu hören und die Hand zu fühlen, die er ihr gereicht, wenn es galt, einen Stein im Wege zu übersteigen oder ein Wässerlein zu überhüpfen; sie mußte sich gestehen, die Erinnerung an den kleinen Franzl war die einzige Stelle, aus welcher ein Blümchen der

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