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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Neigung Wurzel gefaßt, aber die gänzliche Trennung und die Länge der Zeit hatten es auch welken und verdorren gemacht.

So tief war Gertl in die Betrachtung und Gewissensforschung versenkt, daß sie gar nicht gewahr ward, wie der alte Maler-Anderl den Fußweg heraufstieg und, als er sie bemerkte, anhielt, dann aber behutsam näher schlich. Sie fuhr erst, beinahe erschrocken, auf, als er neben ihr auf dem Dengelblock saß, Kinn und Hände auf einen Stock gestützt und sie mit lächelnder Miene betrachtend.

„Was ist’s, Gertl?“ sagte er. „Machst Kalender? Oder geht Dir noch die Genoveva im Kopf um?“

„Grüß Gott, Maler-Anderl!“ sagte Gertl erfreut, indem sie sich erhob und dem freundlichen Alten die Hand bot. „Gerad’ hab’ ich anfangen wollen mit dem Kalendermachen!“ sagte sie, „aber ich bring’ die Feiertag und vor Allem das Wetter nicht recht für einander. Wie kommst denn Du daher auf den Falkenstein?“

„Das ist doch keine Frag’,“ lachte Anderl, ihren Handschlag herzlich erwidernd. „Deinetwegen bin ich da, wenn ich gleich noch was Anders zu thun hab’ und gleich zwei Fliegen mit einem Schlag treffen möcht’. Der eigentliche Grund aber ist doch nur, daß ich zu Dir will. Meinst, der Maler-Anderl könnt’ es vergessen, wie Du ihm gestern aus der Noth geholfen und die Genoveva gespielt hast, so hübsch, wie es die Müllernandl in Ewigkeit nit zuweg gebracht hätt’? Ich hab’ Dir wohl schon gestern meine Meinung gesagt und Dir gedankt, aber damit ist’s noch lang nicht aus; drum ist es mir recht lieb, daß ich Dich so schön daheim antreff’. Da ist also,“ fuhr er fort, ihre beginnende Antwort abwehrend und ein kleines Päckchen auf die Bank legend, „da ist also zuerst das Spielgeld, das Jedes kriegt und das Keins so gut verdient hat wie Du, und nachher zum Zweiten mußt Du von mir ein kleines Andenken nehmen für die große Freud’, die Du mir gemacht hast.“

„Ich bitt’ Dich, Anderl,“ sagte sie, „es ist ja nicht der Mühe werth.“

„Laß’ Du mich machen!“ entgegnete er, „das verstehst Du nit; Du hast keinen Begriff von der Freud’, die Du mir altem Mann gemacht hast, der Niemand und Nichts mehr hat, was ihm an’s Herz gewachsen wär’. Die Komödie ist meine einzige, meine letzte Freud’, und weil die so glücklich wieder herausgekommen ist, will ich mich gern auf die Hobelschnitten in der Truhen niederlegen. Da hab’ ich einen alten angeöhrelten Ducaten … Meine gute Alte – Gott hab’ sie selig! –“ fuhr er fort, hielt aber gleich wieder inne, weil ihm, als er die Münze aus der Umhüllung hervorholte, das Wasser in die Augen schoß – „meine Mariann’ hat ihn zu allen heiligen Zeiten um den Hals getragen; es ist noch das schwarze Sammtbändl dran … natürlich nicht mehr ganz neu, aber das macht nichts. Den Ducaten mußt Du von mir nehmen und tragen, und wenn der Anderl schon längst begraben ist, denkst Du dabei an die heilige Genoveva und betest ein ‚Vater Unser‘ für mich.“

„Das ist ja allzuviel,“ entgegnete Gertl bewegt. „Ich hab’ schon sagen wollen, daß ich nichts annehm’ von Dir, aber bei einer solchen Gab’, da kann ich freilich nit Nein sagen. Will den Anhenker nehmen und in Ehren halten; darauf kannst Dich verlassen.“

„Recht so,“ rief er erfreut, „und jetzt reden wir nicht mehr davon. Ich kann mich nicht genug wundern, wenn ich Dich so anschau, wo Du denn das Zeug so hergenommen hast zu der Genoveva – es ist doch ein biss’l an Dir, daß Du hexen kannst.“

„Leider Gottes nicht,“ lachte Gertl. „Sonst wüßte ich wohl, was ich mir herbeihexen thät’.“

„Was wär’ denn das? Darauf wär ich g’spitzt.“

„Vielleicht kannst Du helfen. Die Mutter plagt mich immer so mit dem Heirathen – kannst Du mir keinen Hochzeiter herzaubern?“

„O Du närrische Dingin, da braucht es nichts zu zaubern. Noch hast Du’s nicht versucht, Mad’l, und wann die rechte Stund’ geschlagen hat, kommt der Hochzeiter von selber, aus der Versenkung heraus, wie ein Geist in der Komödie. Wie’s Stichwort fällt, ist er auch da; das ist Alles aufg’setzt in der Welt.“

„Aufg’setzt?“ sagte Gertl lachend. „Bist Du auch Einer von denen, die solches Zeug glauben? Nichts ist dem Menschen aufg’setzt; wie sich Jedes bettet, so liegt’s. Wenn ich so ’was hör’, fällt mir alleweil das Schnaberg’sangl ein:

‚Der Guld’ ist der letzt’ –
Schenk’s mir ein noch a mol;
Mir ist’s schon aufg’setzt,
Daß i a Lump bleib’n soll.‘“[WS 1]

„Ja, aber anders heißt’s auch,“ sagte Anderl, sogleich in die von dem Mädchen angestimmte Weise lustig einfallend:

„Koa oanschicht’ge Täubin –
Kommt der Täuber dazu;
Es is schon so auf’gesetzt:
Zum Madel der Bua.“

„Ja lach’ Du nur!“ fuhr er fort, „es ist doch so. Ich könnt’ Dir an viele Beispiel’ erzählen und hab’s selbst erlebt. – Du weißt vielleicht,“ begann er, indem er sich bequemer zurecht setzte, „ich bin in Tegerndorf daheim. Mein Vater war der Schwab, und ich hätt’ auch den Hammer in die Hand nehmen und am Ambos stehen sollen, aber ich hab’ halt keine Lust dazu g’habt; das Zeichnen und Malen hat mir besser gefallen, und ich hab’ Wichs g’nug ’kriegt von der Schul’, wenn ich wo eine weiße Wand gefunden und meine Mann’ln drauf geschmiert hab’. Der Vater hat mir endlich nachgegeben und hat mich zum Maler in die Lehr’ gethan; der Maler hat mich auch gern genommen und hat mich gelobt und hat gemeint, ich sollt’ ganz bei ihm bleiben und dann einmal sein Töchterl heirathen – ein dreijähriges Kind, das mir selbiges Mal unter den Füßen ’rumgegangen ist. Das war mir aber viel zu gering; darum bin ich fort auf die Münchener Schul’ und, weil mein Vater bald darnach gestorben ist, viele Jahr’ gar nimmer heim’kommen nach Tegerndorf. Ich bin hundert Meilen Wegs davon gewesen in meinen Gedanken, daß ich einmal mein Lebtag in dem Nest bleiben wollt’, und wie ich gemeint hab’, ich hätt’ ’was Ordentliches gelernt, hab’ ich kein’ anderen Gedanken mehr gehabt, als nach Italien zu gehen und ein berühmter Maler zu werden. Hab’ mich auch bald mit ein paar Cameraden auf den Weg gemacht und in eine Lohnkutsche gesetzt und bin gottvergnügt und ganz stolz da unten auf der Landstraß’ gegen Kufstein daher gefahren. Da ist ein Rad am Wagen gebrochen; der Wagen fällt um; mein linker Fuß war auch abgebrochen. Jetzt hat’s geheißen, Geduld haben und still liegen! Man hat mich nach Tegerndorf hineingetragen – der Schmied, der mein väterliches Haus gekauft hat, war ein wildfremder Mann, der Maler aber hat mich noch erkannt und in sein Haus bringen lassen. Da bin ich bis zum Winter gelegen, eh’ mein Fuß so weit geheilt war, daß ich wieder an’s Reisen hab’ denken können. – Ich hab’ aber nimmer daran gedacht; das kleine Mädel, das früher am Boden herum’krabbelt war, das war inzwischen ein großes Mädel geworden, ein schönes dazu, ein liebes und ein gutes. Es ist wider meinen Willen gegangen, wie der alte Maler es zuvor im Sinn gehabt hat: ich hab’ die Tochter geheirathet und bin in dem Bauernnest sitzen geblieben. Bin freilich kein berühmter Maler geworden, aber es hat mich doch nicht gereut. – Nun soll mir ein Christenmensch sagen, ob mir das nicht aufg’setzt gewesen ist?“

„Spaßig ist’s schon,“ sagte Gertl nachdenklich. „Da möcht’ man sich ja frei fürchten, und es ist nur gut, daß man nicht wissen kann, was Einem aufg’setzt ist.“

„Warum nicht wissen können?“ lachte der Alte. „Nichts leichter als das! Da giebt’s Mittel genug.“

„Sei still, sei still mit den Sachen!“ rief Gertl abwehrend. „Du meinst das Bleigießen in den rauhen Nächten?“

„Nun, dafür kennst Du den Maler–Anderl, daß er an nichts solches denkt – nein, was ich mein’, ist ein Mittel, an dem gar nichts Unrechtes ist.“

„Was wär denn das für ein Mittel?“

„Du kennst doch den Petersberg? Da, gleich oben über der Maiwand und kleinen Matron? Das kleine Kirch’l, das droben steht?“

„Versteht sich! Bin ja hundertmal droben gewesen, am Peterstag und wenn’s sonst etwas zu thun giebt.“

„Und hast noch nie gehört, was man von dem Kirch’l erzählt?“

„Kein Sterbenswort!“

„Das Kirch’l,“ begann er zu erzählen, „ist uralt. Es ist schon vor der römischen Zeit gestanden, und es heißt gar, es wäre einmal ein Götzentempel gewesen. Es kann auch wohl sein; denn

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_508.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)