Seite:Die Gartenlaube (1878) 516.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

aufgenommen. Er stellte Bedingungen, über die sich verhandeln ließ, und beruhigte die Deputirten sogar, sie möchten nicht denken, daß er als Katholik Ketzern keine Treue halten zu müssen glaube.

Die Sage hat die drohende Aeußerung: „Ich will Stralsund erobern, und wäre es mit Ketten an den Himmel geschlossen“, in diese Besprechung verlegt, die nach einer anderen Mittheilung folgenden lakonischen Verlauf gehabt haben sollte: Auf Wallenstein’s Forderung, Geld zu schaffen, hätten die Deputirten geantwortet: „Dat hebben wi nich,“ auf die Zumuthung, einer kaiserlichen Besatzung die Thore zu öffnen: „Dat do wi nich,“ und auf die dann folgenden fürstlichen Schmähungen: „Dat sünd wi nich.“

Die Verhandlungen wurden an den folgenden Tagen fortgesetzt, aber wiederum war die Bürgerschaft vorsichtiger und zäher als der Rath, dessen Majorität die friedländischen Bedingungen gern angenommen hätte, und der den zum Widerstande drängenden Officieren und Bürgern antwortete: „Brod, Geld, Pulver regnet nicht vom Himmel.“ Dänische Hülfsvölker in der Stärke von vierhundert Mann kamen zu gelegener Zeit; ein starker und anhaltender Regen überschwemmte das Zeltlager im Hainholze, die Feinde standen in den eroberten Schanzen bis an den Leib im Wasser und riefen überlaut, den Regen hätten die ketzerischen Pfaffen heruntergebetet. Dazu kam, daß Wallenstein’s Heer furchtbar geschwächt war, daß Tilly und die Häupter der Ligue ihm die erbetenen Hülfsvölker neidisch versagten und daß sich eine dänische Flotte bei Rügen zeigte. Das alles vermochte Wallenstein, als die Stadt nicht capituliren wollte, den Weg der Verhandlung von Neuem zu betreten, aber nicht mit dem Rathe von Stralsund, sondern arglistiger Weise mit Herzog Bogislav, der schwach genug war, sein ganzes Herzogthum dafür zum Pfande zu setzen, daß die Stadt Stralsund die von Wallenstein gestellten Bedingungen erfüllen werde. Am 15. Juli verließ er die Belagerungsarmee, begab sich nach Güstrow und schrieb an Arnim: „Bitte, der Herr disponire auf solche Weise mit ihnen, auf daß wir mit Ehren bestehen und bald abziehen können.“

Des fremden Zuzuges wurde von nun an den Stralsundern fast zu viel, doch wurden dadurch glückliche Ausfälle möglich, die unter den entmuthigten Feinden furchtbar aufräumten. Arnim’s letzte Unternehmungen dienten nur dazu, den beabsichtigten Abzug zu verhüllen, und am 24. Juli zog er endlich die letzten Truppen und Geschütze zurück.

Ein Akrostichon aus jenen Tagen auf die Worte: „Obrister Arnheim, ein Narr, hinket schandlich von Stralsund,“ in welchem der Gang der Belagerung kurz dargestellt ist, schließt mit den Worten:

„Stralsund Adieu, dich Gott bewahr’!
Das wünsch’ ich dir von Herzen,
Wiewohl du mich in Leib’s Gefahr
Abtreiben thust mit Schmerzen.
Nun jubilir und triumphir,
Der lieb’ Gott woll’ dein walten;
Arnheimb zu Trutz und dir zu Nutz
Hast du den Sieg behalten.“

Dem Friedländer, dem Admiral ohne Schiffe, sang das Volk nach:

„Vor Stralsund dich der Strahl gerührt;
Hat dich der Schieff’r uff die See g’führt,
Der Strahl hat dich nit troffen.
Ist dir am Galgen b’schert dein End’,
Weil dich die See noch gar nicht kent,
So bistu unversoffen.“

Nicht minder scharf traf der kraftbewußten Bürger Spott nach glücklich errungenem Siege die Wallensteinische Soldatesca, namentlich die prahlerischen „Hautmacher“, die durch allerlei Spuk sich für hieb- und kugelfest hielten.

Ein schweres Schicksal ereilte zu allerletzt noch die siegreiche Stadt. Als des Kampfes Hitze am höchsten stieg, verließen etwa fünfhundert Frauen und Jungfrauen die Stadt und suchten Zuflucht in Schweden, dem Asyl aller derer, die um des Glaubens willen verfolgt wurden. Nach aufgehobener Belagerung wollten dreihundert von ihnen zurückkehren, allein, weil das Schiff nicht recht beballastet war, warf es der Wind um, und alle gingen elend zu Grunde.

Interessant ist der Schluß eines 1629 in den Knopf des Nicolai-Thurmes gelegten und 1867 bei einer Reparatur herausgenommenen Berichtes über die Belagerung. Der geistliche Verfasser desselben, Magister Sleker, erzählt, daß es den Einwohnern von Stralsund nur selten am Nöthigsten gefehlt habe, und fährt dann fort: „Das griene Crauth, Khohl und Gartenfrüchten sind etwas seltzsam gewesen, an Kerebesen hats etzlichen auch eine Weile gemangelt, weil man keine Raiser gehabt, doch sein welche von Weyden gemacht worden. Nach der Belagerung hat man von Perona des grienen Krauths zur Speise und Artzney, wie auch der Meyen beym Brandeshagen her in nachtschlafender Zeit (dahin sich etzliche Deutsche und Swedische Soldaten geleget,) so viel herein geholet, daß unsere Kirchen in den heiligen Pfingsten schön gezieret, und wir im Herren höchlich sein erfrewet worden. Gott sei gelobet, der unser Gebet nicht verwirft, noch seine Güte von uns wendet, halleluja.“

Die Thatsache, daß die Soldaten aus der belagerten Stadt einen nächtlichen Ausfall wagen, um das Pfingstfest mit Maien zu schmücken, beweist zur Genüge den religiösen Charakter, den der Kampf auf protestantischer Seite damals noch hatte, und davon zeugt auch die alte Rathsverordnung, durch welche der 24. Juli für ewige Zeiten zum städtischen Festtage geweiht wird. Noch jetzt wird in allen Kirchen von Stralsund am Sonntage vor dem 24. Juli nach der Predigt diese Verordnung verlesen, worin die Bürger aufgefordert werden, an dem am 24. Juli einfallenden Wallensteinstage ihre bürgerliche Hantierung einzustellen und dem Herrn in den Kirchen für die wunderbare Errettung der Stadt und der reinen Lehre zu danken. Das Interesse für diesen Festtag ist immer rege geblieben; in den letzten Jahren, wo von neuem der Romanismus sein Haupt gegen das deutsche Reich und gegen den deutschen Protestantismus erhebt, ist es sogar gestiegen. Früh Morgens und nach der Predigt am Nachmittag schallt das Festgeläut von allen Thürmen der Stadt über Land und Meer. Nach dem Geläute ertönt Hornmusik von den Thürmen, zuerst ein Choral, dann eine wilde neckische Weise, angeblich dieselbe, welche am 24. Juli 1628 dem abziehenden Belagerungsheere nachgeblasen wurde. Die Kirchen sind besucht wie an den hohen Kirchenfesten. Die ganze Stadt ist festlich geschmückt. Die Fußwege und die Straßen werden mit weißem Sande, grünem Laube und bunten Blumen bestreut; von Giebel zu Giebel sind Seile gezogen, von denen Flaggen herniederwehen, deutsche, preußische und stralsundische. Letztere zeigen theils das Stadtwappen, theils in rothem Felde eine strahlenreiche goldene Sonne. Dazwischen sieht man bunte Consulatsflaggen und vielfarbige Schiffswimpel. Die Schiffe im Hafen prangen im reichsten Flaggenschmucke.

Nachmittags entwickelt sich an verschiedenen Orten das eigentliche Volksfest. Am buntesten geht es vor dem Knieperthore her; an der Vogelstange, die angeblich auf derselben Stelle steht, wo einst im Hainholze Wallenstein’s Kriegszelt aufgeschlagen war, wird getanzt und gespielt. Stunde um Stunde geht ein kleiner Dampfer nach Devin vor dem Frankenthore, wo sich ein unbedeutendes Gehölz befindet, eine Seltenheit in der Nähe von Stralsund. Dort lagern auf einem schön bewachsenen Hügel, unmittelbar am Strande des Sundes, viele einzelne Gesellschaften, und auf einem freien Platze im Holze wird getanzt; Musik und Gesang erschallt von allen Seiten. Auch in unmittelbarer Nähe der Stadt, in der Brunnenau und in den Gärten der beiden Ressourcen, im Elysium und im Thalia-Garten, überall herrscht lauter Frohsinn; vom Knieperteiche steigen Raketen in den Nachthimmel empor. Die Fähre und zahlreiche Boote bringen Festgäste von Rügen herüber; die Bahnzüge sind dicht besetzt. Spät in der Nacht, zum Theil erst am hellen Morgen, kehren die Festgenossen in die Stadt zurück.

Stralsund ist reich auch an anderen historischen Erinnerungen. Die Belagerung durch den großen Kurfürsten (1678) hat ihre traurigen Spuren hinterlassen. Leicht erkennt man die damals in Asche gelegten Stadttheile an der schlechteren Bauart der Häuser; im großen nordischen Kriege war der abenteuerliche König Karl der Zwölfte nach seiner Heimkehr aus der Türkei in der damals schwedischen Stadt eingeschlossen; in der Fährstraße floß Schill’s Heldenblut; am lebhaftesten aber bewahrt das Volk das Gedächtniß an die Zeit der Wallenstein’schen Belagerung – das ist Stralsunds Heldenzeit.

Noch lebt in der Stadt am Strelasunde ein freies, wackeres Geschlecht, ernst und stark die großen Aufgaben des Lebens erfassend, froh mit pommerscher Gemüthlichkeit die guten Tage genießend. Möge das Wallensteinsfest noch lange dazu beitragen, bei den nachwachsenden Geschlechtern in der guten Stadt die Gesinnungen der freiheitliebenden frommen Väter zu wecken und zu mehren!

R.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 516. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_516.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)