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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Zank und Kampf nicht, um durch Rath und That, durch Empfehlung und Verwendung die allerschwierigsten Rettungen selbst da auszuführen, wo mitunter auch über Verschuldungen hinwegzusehen, gegen begangene Fehler und menschliche Verirrungen Nachsicht zu üben war. Sehr groß ist weit und breit die Zahl der Familien, die seiner Unterstützung und Aufhülfe ihr Wohlergehen zu danken haben, unter Anderem auch der Kinder und Jünglinge, denen er allein ihre Ausbildung in Handwerk und Gewerbe, in Wissenschaft und Kunst ermöglicht hat. Die regelmäßige Pensionen, welche er an alte und hülflose Leute zahlte, bildete eine beträchtliche Summe in seinem jährlichen Ausgabe-Etat. Ueber dies Alles, wie gesagt, konnten Näherstehende nicht im Zweifel sein, aber eine ganz deutliche Vorstellung von der ergreifenden Art und dem erstaunlichen Umfange jenes möglichst heimlich betriebenen Wohlthätigkeitsgeschäfts erlangte der Verfasser dieser Darstellung erst, als ihm einst vertraulich der Einblick in ein Convolut von Actenstücken, Quittungen, Rechnungen, Briefcopien und Dankbriefen gewährt wurde, welche der seltene Mann als einzige Genugthuung für den überreich gespendete Tribut in einem streng verschlossenen Kasten aufbewahrte. Eine Eigenthümlichkeit seines poetischen Sinnes war es, daß er seinen Liebesthaten gern die Form einer feinen und gewöhnlich sehr anmuthig ausgedachten Ueberraschung gab, wie überhaupt Fälle des Unglücks ganz besonders zu seinem Herzen sprachen, wenn sie nicht ohne einen gewissen dramatischen Reiz waren. Davon werden sich in später zu gebenden Erinnerungen an ihn noch die interessantesten Beispiele erzählen lassen, für welche hier gegenwärtig der Raum fehlt. Als unbedingt feststehend aber kann es inzwischen auch ohne solche Mittheilung von Einzelnheiten gelten, daß Keil auch als Mensch und in seinem persönlichen Leben das Humanitätsstreben und den volksthümlichen Charakter der „Gartenlaube“ redlich bethätigt hat. Was wir hier in dieser wie in jeder anderen Hinsicht von ihm sagen, gehört nicht in das Bereich der conventionellen Lobphrasen, in jeder Zeile beruht es auf Thatsachen, die durch Hunderte von Zeugen erhärtet, durch zahlreich in unseren Händen befindlichen Zeugnissen unwiderleglich bewiesen werden können.

An mannigfachen Angriffen und absprechende Urtheilen über einen auf so weit vorgeschobenem Posten kämpfenden Mann hat es natürlich im Laufe der Zeiten nicht gefehlt. Zu den unwahrsten und ungerechtesten dieser Behauptungen gehört der Vorwurf, daß er um äußerlicher Vortheile und geschäftlicher Zwecke willen „politische Schwenkungen“ gemacht habe und von seinen früheren Ueberzeugungen abgewichen sei. Forscht man dem Ursprunge dieser Beschuldigung nach, so kam und kommt alle hauptsächlich aus den Reihen unserer deutsche Particularisten aller Farben und Länder, die es der „Gartenlaube“ nicht verzeihen konnten, daß sie nicht in einer Opposition gegen Preußen verharrte, welche von ihr doch auch früher niemals wider den preußischen Staat als solchen und niemals wider seinen deutschen Beruf, sondern immer nur gegen das widerdeutsche und freiheitsfeindliche Junker- und Pietistenregiment der fünfziger Jahre gerichtet wurde. Zu diesem für ganz Deutschland so unheilvoll gewordenen Regimente hatte sich Keil nicht in einem schärferen Gegensatze befunden, als die gesammte liberale Partei und ihre Presse in Preußen selber, und nur eine ganz irrthümliche Auffassung seines politischen Standpunktes konnte an ihn die Zumuthung stellen, den Kampf auch dann noch fortzusetzen, als derselbe durch einen fühlbaren Wechsel des Systems in wesentlichen Punkten für ihn gegenstandslos geworden war. Es ist Keil nicht einmal als Verdienst anzurechnen, sondern es kam von selber und ohne jedes Ueberlegen aus der ganzen Entwickelung der Dinge, aus seinen innersten Ueberzeugungen, aus seinem lebhaften Vaterlands- und Pflichtgefühl, daß er einem segensreichen und gewaltigen Umschwunge aller vaterländischen Verhältnisse gegenüber auf einen so unvernünftigen und unpatriotischen Weg sich nicht begeben, sein mächtiges deutsches Blatt nicht zu einem Fractionsblättchen, einem dürftigen Groll- und Schmollwinkel kleiner Schaaren von Mißvergnügten herabgedrückt, den lebendigen Zusammenhang mit den großen Geschicken der Nation, mit den großen Wendungen und Strömungen des liberalen und nationalen Geistes nicht verloren hat. Daß er dabei Beziehungen zu regierenden Mächten gesucht und erlangt hätte, das hat offen noch kein verständiger Mensch zu behaupten gewagt, und es ist auch in der That ganz und gar unerfindlich, welche Art von Vortheilen ihm aus solcher Gunst hätte erwachsen sollen. Vom Beginn seiner Laufbahn bis zum letzten Tage seiner Thätigkeit ist ihm vielmehr das Bewußtsein seiner vollen Unabhängigkeit als die Bedingung und das stolzeste Gut seines Lebens erschienen, mit Eifersucht hat er dieses Gut nach jeder Seite hin sich bewahrt, und namentlich eine Verbindung oder auch nur ein Friedensschluß mit reactionären Gewalten und Bestrebungen irgend einer Art hätten gänzlich außerhalb der Grenzen seines inneren Könnens gelegen. Wenn geschäftige Zungen gern die Meinung verbreitet hätten, er habe Versprechungen gemacht, um die Zurücknahme des Verbotes in Preußen zu ermöglichen, so war das eben einfach eine aus den Fingern gesogene Lüge. Es ist ihm ein solches Versprechen von keiner Seite jemals angesonnen worden, noch hat er es freiwillig jemals geleistet. Manche Kämpfe hat er literarisch überhaupt nicht mehr aufgenommen, weil kritisches Raisonnement und specielle Polemik nicht in der unterhaltenden und schildernden Tendenz des Familienblattes lagen. Alles Derartige war in das abgezweigte Beiblatt „Deutsche Blätter“ verwiesen, wo es mit seiner Zustimmung rüstig verfochten wurde. Unentwegtes Festhalten aber an den entschiedensten Grundsätzen der Freiheit und Humanität, des Volks- und Menschenrechts ist bis zu seinem letzten Augenblicke das Erkennungszeichen und der innerste Lebenskern der „Gartenlaube“ geblieben, und dieser Geist wird ihr nicht entweichen können, so lange noch eine Spur von dem Geiste und der Gesinnung Keil’s in ihr lebendig ist. Das beste Zeugniß für ihn spricht aus dem Ganzen der fünfundzwanzig Jahrgänge, aber es spricht auch aus dem grimmigen Hasse, mit welchem die Finsterlinge aller Sorten ihn bis zur Gruft und über dieselbe hinaus unaufhörlich beschimpft und angeschwärzt, verfolgt und verkleinert haben. Diese Angriffe bereiteten ihm deshalb auch stets eine große Befriedigung. „Wenn die mich einmal loben und mit mir zufrieden sein würden,“ sagte er, „dann ist’s aus mit mir und mit der ‚Gartenlaube‘!“

So waren in innerem Drang und Sturm, aber im Ganzen einförmig und ohne erhebliche äußere Zwischenfälle die Tage und Jahre dahingeflossen, als am Weihnachtsfeste 1871 ein düsteres Verhängniß plötzlich mit schneller und rascher Hand in dieses anspruchslose Leben griff durch den unvorhergesehenen Tod des einzigen Sohnes Alfred, der bekanntlich auf einer rüstig unternommenen Studien- und Vergnügungsreise nach dem Orient in Kairo einer Diphtheritis hatte erliegen müssen. Es war das ein fürchterlicher Schlag gerade für die Gemüthsart dieses Vaters, als er mit dem Sohne auch die erhoffte Stütze seines Alters, alle seine Hoffnungen auf die Zukunft seines Hauses und seiner Unternehmungen vernichtet sah. Bezeichnend aber für ihn ist es, daß er selbst unter den ersten Betäubungen des unbeschreiblichen Schreckens in den gewohnte Stunden fest an seinem Pulte stand und seine Pflichten gegen die „Gartenlaube“ nicht einen Tag aus den Augen verlor. Wohl länger als ein Jahr schüttelte ihn sodann der Schmerz, gab er in stilleren Augenblicken den herzzerreißenden Ausbrüchen des Grams sich hin, dann aber richtete er unter den weichen und sorglichen Händen einer starke Liebe, die um des Gebeugten willen den eigenen Mutterschmerz bekämpfte, im Angesichte der lieblichen Töchter und im Anschlusse an treue Freunde wunderbar sich wieder auf. Wenn auch fortan im Tone seines Wesens ein Ueberwiegen weicher Stimmungen zu bemerken war und er dem Andenken des Sohnes unablässig einen rührend wehmüthigen, ganz eigenthümlich gemüthvollen Trauercultus gewidmet hat, war er doch dem Leben und den Anforderungen des Kämpferberufs so weit zurückgegeben, daß ihn gerade sechs Jahre nach der grausamen Heimsuchung der Schluß des fünfundzwanzigsten Jahrgangs der „Gartenlaube“ ganz unverändert als einen wohlaussehenden, geistesfrischen und munterbeweglichen Mann fand, ohne jede Verwischung seiner scharf ausgeprägten individuellen Züge.

Aus Furcht vor Ablenkung von seinen Arbeitspflichten, aus Scheu auch vor jedem Herausstellen seiner Persönlichkeit hatte er eine Jubiläumsfeier durchaus nicht gewollt. Aber schon das Personal des Hauses wollte es sich nicht nehmen lassen, ihn durch einen Ausdruck verehrungsvoller Liebe zu erfreuen, und was die Welt draußen betrifft, so stand die Zahl fünfundzwanzig zu deutlich auf den Jahresprospecten und dem letzten Titelblatte der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_579.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)