Seite:Die Gartenlaube (1878) 607.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Theater. Der Gedanke, daß er bezahlt werde, ohne seiner Pflicht gegen Director Schmidt vollkommen genügen zu können, war ihm unerträglich. Aber auch das Wagniß, die einzig sichere ökonomische Basis aufzugeben, war kein kleines. Die schweren Sorgen, die Blum mit dem Kaufe seines Hauses auf sich geladen, hatte Freund Joseph, der gefeierte Landtagsabgeordnete, durch ein bedeutendes Darlehen beseitigt. Mit der Kündigung seiner Secretärstelle entzog Blum den Seinen das einzige feste Jahreseinkommen, das er besaß, und wies sie allein auf die Erträgnisse seiner Feder an. Lange schwankte er. Endlich litt er die Qual der Abhängigkeit, des Pflichtenstreites nicht länger. Am 11. Mai 1847 kündigte er dem Theaterdirector Schmidt und wurde Buchhändler. Er associirte sich mit seinem treuen Freunde und Kampfgenossen, dem Verleger der „Const. Staatsbürgerzeitung“, Robert Friese. Die Hauptwerke des Verlags von „Robert Blum und Comp.“ gedachte Blum selbst zu schreiben. Zur geschäftlichen Grundlage dieses Verlags wurde das „Volksthümliche Handbuch der Staatswissenschaften“ bestimmt, welches für 1848 angekündigt war. Aber dieser Plan sollte, wie alle anderen Lebenspläne des Unternehmers, jäh zerrissen werden. Denn kaum hatte Blum seines Glückes Schiff auf diese neue Bahn getrieben, als der große Völkersturm hereinbrach, der in der Rechnung der Zeiten das Jahr 1848 heißt.

Vielleicht Keinem unter allen Denen, die das „tolle Jahr“ seit langer Zeit schon heraufkommen sahen, verhieß es eine reichere Ernte mühsam ausgestreuter Saat, als Robert Blum. Und wohl Keiner unter Allen hat seine Hoffnungen schmerzlicher vernichtet gesehen, als er: denn er mußte ihr Scheitern mit dem Leben bezahlen. In seiner Natur, seinem Charakter schienen sich alle Vorbedingungen zu vereinigen, um das Ringen der Nation, wie es damals zum Ausdrucke kam, zum Siege zu führen. Es galt, eine gemeinsame Verfassung für Deutschland auf möglichst freisinniger Grundlage zu schaffen. Robert Blum hatte sich seit seinem öffentlichen Auftreten immer gleich gut deutsch und gleich maßvoll erwiesen. Von ihm durfte daher in erster Linie eine richtige, befriedigende Lösung der großen Aufgabe erwartet werden. Und dennoch hat auch er seinen Antheil an der Schuld, die auf jeder Partei des Frankfurter Parlamentes ruht, die aber verhängnißvoll und verderblich wurde für unsere Nation nur durch die mindestens gleich wiegende Schuld der damaligen deutschen Regierungen.

Das Ideal Blum’s war unstreitig die Republik. Daß eine solche in Deutschland, „mindestens vorläufig“, nicht durchführbar sei, hat auch er in classischen Aussprüchen kund gegeben. Als vor seiner Abreise zum Vorparlament eine zahlreiche Deputation aus dem sächsischen Gebirge ihm zur Pflicht machte, binnen längstens vierzehn Tagen von Frankfurt die deutsche Republik mitzubringen, richtete er die verblüffende Frage an die Versammlung: ob die Herren an allen Orten, von denen sie herkämen, schon Feuerspritzen hätten? Als die Frage von einem großen Theile der Deputirten verneint wurde, erwiderte Blum – nach Mittheilung eines Ohrenzeugen – lakonisch: „Sagen Sie Ihren Auftraggebern, ehe nicht jedes Dorf in Deutschland seine Feuerspritze habe, könne ich ihnen die deutsche Republik nicht besorgen.“ – Eine ähnliche Aeußerung that er bei seiner Ankunft in Frankfurt vor der Eröffnung des Vorparlaments. Er und die anderen sächsischen Delegirten zum Vorparlamente, darunter Professor Wuttke, der mir den Vorfall erzählt hat, wurden bei ihrer Ankunft in eine große Frankfurter Volksversammlung geladen. Wild wogten hier die Anträge und Reden durch einander. Daß Deutschland Republik werden müsse, schien Allen ausgemacht. Da trat Robert Blum, den Meisten unbekannt, auf und sprach das Wort: „Eine Republik könnte Deutschland schon werden – aber es fehlen uns die Republikaner.“ Gleichwohl ging nachher sein Streben im Vorparlament, Fünfzigerausschuß und Parlament unleugbar dahin, die Staatsform, die er für die ideale hielt, die Republik, in Deutschland auch praktisch zu verwirklichen. Er glaubte und hoffte jetzt, daß dies auf gesetzlichem Wege möglich sei – alle ungesetzlichen bewaffneten republikanischen Schilderhebungen verurtheilte er auf das Schärfste.

Mit den socalistischen und communistischen Elementen, die auch damals bereits in Deutschland und sogar in Leipzig sich regten, hatte Blum schon vor Ausbruch der Revolution sich gründlich auseinandergesetzt. Er hatte im Winter 1847 bis 1848 im Saale der Leipziger Buchhändlerbörse einen Vortrag über Socialismus und Communismus gehalten, den er später, wesentlich gekürzt, in seinem „Staatslexicon für das Volk“ zum Abdruck brachte. Ueber den Communismus gelangt Blum, nachdem er alle einzelnen Theorien und Apostel desselben vorgeführt und bekämpft hat, zu folgendem Schlußurtheil: „Die Communisten bauen mehr Systeme auf, als daß sie sich an die Zustände und ihre Bedürfnisse anschließen. Jedes System weicht vom andern ab, und doch behauptet jedes, das allein richtige zu sein, wie die römische Kirche von dem ihrigen. Wir haben bereits unter ‚Eigenthum‘ ausgesprochen, daß wir den Communismus für naturwidrig und unmöglich halten.“ Der heutige deutsche Socialismus ist der nackte vaterlandslose Communismus; wer daran zweifelt, mag die Offenbarungen der Führer und die Parteicongreßbeschlüsse von Eisenach, Gotha und Gent nachlesen.[1] Der Leser erkennt daher sofort, mit wie wenig Berechtigung diese Partei nun schon seit Jahren den guten Namen Robert Blum’s als den eines Gesinnungsgenossen und Mitverschworenen, das heißt als eines vaterlandslosen Theilbruders im Munde führt.

Mit den radical-revolutionären Stürmern dagegen hatte Blum auch schon in Leipzig, unmittelbar nach dem Ausbruch der Februarrevolution abgerechnet, indem er alle Reformen, einschließlich der Abdankung der verhaßten Minister, auf gesetzlichem Wege erzwang und die „Massendeputationen“ nach Dresden auf welche sich die Straßendemokratie capricirt hatte, auf das Entschiedenste bekämpfte und mißbilligte. Im Vorparlament zu Frankfurt hatte er die Abweisung revolutionärer Versuche in noch energischerer Weise zu üben. Wirkungsvoller als jeder Andere hat er hier gegen die exaltirten Anträge Gustav von Struve’s auf Abschaffung, Auflösung und Aufhebung alles Bestehenden gekämpft. Robert Blum, der zu einem der Vicepräsidenten der Versammlung gewählt wurde, hat mit seiner unerschütterlichen Ruhe, Besonnenheit und Stimmenkraft thatsächlich die – stellenweise sehr erregte – Versammlung geleitet, da diese Leitung die Kräfte des ehrwürdigen Präsidenten Mittermaier bei weitem überstieg. Blum war es, der namentlich am ersten Verhandlungstage, als Struve und Hecker mit ihrer Magna charta in die Versammlung polterten – während von der Bockenheimer Gasse her die Gassenhelden gegen das Vorparlament in Anmarsch waren und nur vor der bewaffneten freiwilligen Bürgerwehr Frankfurts Kehrt machten – verhinderte, daß diese Versammlung, auf welche ganz Deutschland die größten Hoffnungen setzte, schon am ersten Tage in tiefster gegenseitiger Verbitterung ihrer Mitglieder aus einander stürmte. Er hat dann wieder inmitten des Tobens der äußersten Linken und der Gallerien, als dieselben Radicalen am 2. April in Masse den Saal verließen, weil sie es nicht ertragen konnten, in der Minderheit zu bleiben, die stattliche Zahl seiner näheren Freunde zum Ausharren bewogen und dadurch abermals die Würde des Vorparlaments gerettet und die endliche Durchführung der Aufgabe desselben ermöglicht. Während seine Reden in der Versammlung selbst die mißleiteten Freunde zart schonen, spricht er in den Briefen an seine Frau mit rücksichtsloser Offenheit und in den allerstärksten Ausdrücken der Entrüstung über die erregten Sturmscenen im Vorparlament und über den unglücklichen bewaffneten Aufstand Hecker’s und Struve’s im badener Oberlande. Hecker hat sich bekanntlich inzwischen in bemerkenswerther Weise mit den heutigen deutschen Zuständen in der Hauptsache einverstanden erklärt. Wenn man bedenkt, wie viel „weiter links“ er damals stand, als Robert Blum, wird wohl der Schluß gerechtfertigt erscheinen, daß auch Robert Blum heute, wenn ihm das Glück beschieden gewesen wäre, die Wiederaufrichtung des deutschen Reiches zu schauen, nicht zu den Reichsfeinden zählen würde.

In den Fünfzigerausschuß, den das Vorparlament zur Vorbereitung der Parlamentswahlen und zur Durchführung aller sonstigen Beschlüsse des Vorparlaments einsetzte, wurde Blum mit der drittgrößten Majorität gewählt. Nach den mühseligsten Wochen kamen einige Tage der Zerstreuung. Der Fünfzigerausschuß sandte ihn als Commissar nach Köln, seiner Heimath. Es war ein unbeschreiblich großer Augenblick für ihn, als der

  1. Sehr interessant und faßlich zusammengestellt in: Franz Mehring, „Die deutsche Socialdemokratie“. Bremen, Schünemann. 2. Aufl. 1878.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_607.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2016)