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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

befindet, zu verlassen; sie flieht noch außen und ist deshalb nur bei kugelförmigen Körpern gleichmäßig auf der Oberfläche angehäuft. Besitzt ein Körper jedoch Ecken, Kanten oder Spitzen, so sammelt sie sich an diesen in größeren Massen. Daher kommt es also, daß, wenn die Oberfläche der Erde mit Elektricität gefüllt ist, sich in den Spitzen der Bäume, Thürme, Häuser und Schiffsmasten am allermeisten Elektricität anhäuft, welche zuweilen als feurige Ausströmung (St. Elmsfeuer) sichtbar wird. Dies findet jedoch nur statt, wenn die Wolken aus noch nicht völlig klargestellten Ursachen mit entgegengesetzter Elektricität gefüllt sind denn man nimmt zweierlei Arten, positive und negative Elektricität an, die sich gegenseitig anziehen und zur Neutralität ausgleichen wie sich, um ein gröberes Beispiel zu wählen, Säure und Lauge gegenseitig abstumpfen, oder besser, Eis und kochendes Wasser eine Mitteltemperatur hervorbringen. Es kann ebensowohl der Fall sein, daß Erde und Wolken gleichzeitig positiv elektrisch, oder negativ elektrisch, oder auch gar nicht elektrisch sind; in diesen drei Fällen ist dann natürlich keine Ausgleichung, also kein Gewitter möglich, und daher ist es ungefährlich, sich mitten in einer blitzenden Wolke, z. B. bei Bergbesteigungen, zu befinden. Denn der Blitz ist das Ausgleichungsmittel zwischen den verschiedenartigen Elektricitäten; er tritt ein, wenn die zahlreichen Spitzen der Erdoberfläche nicht mehr auf ruhigem Wege und allmählich diesen Ausgleich vollziehen können, wenn die Spannung der vorhandenen Elektricität so groß ist, daß sie einer gewaltmäßigen und plötzlichen Ausgleichung bedarf. Es sei hier daran erinnert, daß die Blitze nicht nur vom Himmel zur Erde, sondern auch gelegentlich von der Erde zum Himmel hinauf zucken und daß noch viel häufiger sich Blitze von einer Wolke zur andern bewegen.

Fig a.

Man darf aber nicht glauben, daß Franklin und Diwisch oder irgend einer ihrer Zeitgenossen die Gesetze und Verhältnisse vollständig gekannt hätten, welche wir im Vorhergehenden kurz angedeutet haben, denn erst Du Fay entdeckte 1773 den wichtigen und merkwürdigen Unterschied, welchen wir mit positiver und negativer Elektricität bezeichnen. In der That ist die Kenntniß dieser feinen Unterschiede durchaus nicht zur Construction eines Blitzableiters nöthig. Fußen wir auf dem Stande der Wissenschaft, welchen unsere beiden Forscher, Diwisch und Franklin, ziemlich gleichmäßig einnahmen, und versuchen wir uns klar zu machen, was sie anstrebten.

Beide kannten nur eine Elektricität, die ihnen bald an irdischen Dingen, bald in den Gewitterwolken erschien. Wie Dimisch seiner Zeit aus dem geladenen Conductor der Elektrisirmaschine mit den stählernen Spitzen in seiner Perrücke die elektrischen Funken aufsog, so baute er nun einen Apparat, der die atmosphärische Elektricität anziehen und unbemerkt zu der seiner Meinung nach unparteiischen Erde leiten sollte, der aber im schlimmsten Falle auch fähig sein müsse, einen leibhaftigen Blitz ohne Gefahr für die Nachbarschaft bis in das Erdreich zu bringen. Die entgegengesetzte Thätigteit, welche einen nicht minder wichtigen Bestandtheil der Wirksamkeit aller Blitzableiter bildet, nämlich das Ausströmen der Erdelektricität, verrichteten Diwisch’s und Franklin’s Blitzableiter nun ebenfalls unablässig, ohne daß ihnen diese Function von ihren Herren und Meistern speciell aufgetragen worden wäre.

Sehen wir uns nun einmal Diwisch’s Wettermaschine auf Grund der erhalten gebliebenen Zeichnungen an!

Ein Gerüst (Fig. a), anfänglich 48 Fuß, als dies unzureichend erschien 130 Fuß hoch, trug eine Eisenstange von 1½ Zoll Stärke, welche in einer Spitze endigte. Unterhalb dieser Spitze sind drei Flügel von Blech befestigt, die vom Winde bewegbar sind und nur dazu dienen, die Vögel zu verscheuchen. In der Mitte der Hauptstange gehen starke eiserne Arme nach vier Seiten, auf denen wieder je eine Querstange horizontal ruht. Dadurch entstehen zwölf wagerechte Enden, welche auf schuhhohen Stäben blecherne Kästchen tragen. Ein solcher Kasten (Fig. b) ist einen Fuß lang, mit Eisenfeilspähnen angefüllt und mit einem hölzernen, durchlöcherten Deckel (Fig. c) geschlossen. In jedem der Löcher dieses Deckels steckt ein Spieß, wie er bei Fig. d in natürlicher Größe gezeichnet ist. Dieser kleine Spieß von etwa Haarnadelstärke wird durch ein pfropfenartiges Holz im Deckel befestigt und ragt mit seinem unteren Theile bis in die Eisenfeilspähne. Fig. e zeigt ein vollständig in Ordnung befindliches Kästchen, wie deren zwölf an dem Apparat angebracht sind. Der Balken, auf welchem die Hauptstange ruht, ist der Dauerhaftigkeit wegen mit Eisen beschlagen, die eiserne Stange selbst aber, theils zur Leitung des Blitzes, theils zur Handhabung der ganzen beweglichen Maschinerie, durch Ketten mit der Erde verbunden. Dieses also war der erste Blitzableiter, von Procop Diwisch erfunden und „Wetterleiter oder Conducteur“ genannt.

Fig b.

Fig c.

Fig e.

Ueber die erste Aufrichtung seiner Maschine (15. Juni 1754) berichtet unser Naturforscher „Um zwei Uhr nach Mittag stieg von Norden ein Gewitter empor, und wie es gegen die Maschine gekommen, sah man ganz weiße und dünne Streife, die sich gegen dieselbe richteten. Nach einigen Minuten lagerte sich über das Geräthe eine weiße feine Wolke, und das Gewitter nahm augenscheinlich ab und breitete sich gegen Aufgang aus. Am 17. dieses Monats schwang sich wiederum von allen Seiten des Horizonts ein Gewitter in die Höhe, von welchem weiße Wolkenstrahlen, wie ein Schleier oder wie weiße Wolle sich gegen und über die Maschine richteten.“ (An diesem Tage ließ Diwisch Mittags zwölf Uhr den Leiter herunternehmen, um zu sehen, wie sich nun das Gewitter verhalten würde.) „Sobald er auf der Erde lag, veränderten die weißen Wolken ihre Farbe und Lage: sie verfinsterten sich und zogen sich gegen die entlegeneren schwarzen Wolken das Gewitter stieg höher, und es blitzte und donnerte immer stärker.

Fig d.

(Nach etwa dreiviertel Stunde ließ Diwisch die Maschine wieder in die Höhe ziehen; er leitete selbst die eisernen Ketten, die von oben zur Erde gingen.) „Kaum stand sie ausgerichtet, so löste sich ein heftiger Blitz mit einem starken Knall über der selben auf; die Wolken zerrissen sich, und gerade über der Stange wurde man eine lichte Oeffnung in den Wolken gewahr, die acht Zoll im Durchschnitte zu haben schien (?). Das Wetter wurde nun zu Brenditz ganz stille, obwohl sich in der Nähe noch schwaches Blitzen und Donnern äußerte. Ungefähr nach drei Minuten stund gegen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_626.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)