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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Lieder tönen; Harfen klingen,
Und ein Stern vom Himmel fällt.
Ferner, ferner schallt das Singen –
O, wie schön ist doch die Welt!

Well’ auf Welle schäumt zur Stunde,
Mond vollendet seinen Lauf.
Aus versunk’ner Stadt im Grunde
Läuten Glocken dumpf herauf.

Wie ein Gottesauge glänzet,
D’rüber dunkle Brauen glüh’n,
Liegt, von Berg und Wald umkränzet,
Märchenhaft der Werbellin.

Wald und See im Wolkendunkel!
Trägen Flugs ein Weihe dort.
Stille rings – dann Sterngefunkel –
Und die Glocken läuten fort.

F. Brunold.




Der nächste Nachbar der Sonne.

„Schreiber des Weltalls! – Träger des höchsten Scepters, der die Legionen des Himmels überwacht! – Ordner der Natur, der die Zeit zählt und dem Aufgange der Gestirne zur rechten Stunde ihren Niedergang folgen läßt! – Deuter der himmlischen Geheimnisse! – Höchste Einsicht! – Prophet!“ So und in ähnlichen Wendungen pflegten die ältesten Sternkundigen, die Chaldäer, in ihren neuentzifferten schwungvollen astronomischen Hymnen den Planeten Mercur anzureden, eben weil er ihnen als der Nächste am Throne der strahlenden Königs des Weltalls, als der Vertraute ihrer Geheimnisse und Hausminister erschien. In der Klarheit des südlichen Firmaments geht Mercur, wie ein pünktlicher Oberceremonienmeister, alltäglich entweder dem Triumphwagen der Sonne voraus oder er folgt ihr, stets in ihrer unmittelbaren Nähe weilend, auf dem Fuße, gleichsam ihre Purpurschleppe tragend, wenn sie in den Ocean hinabsteigt. Man betete ihn daher in zweierlei Gestalt als Nabu und Nusku an, wie wir die Venus als Morgen- und Abendstern, als Lucifer und Hesperus feiern. Das assyrische Amt des Vertrauten und Geheimsecretärs der Sonne erklärt zugleich, warum Aegypter und Griechen ihren Mercur (Thoth und Hermes) zum Erfinder der Schrift und zum Hüter und Hort der geheimen Wissenschaften erhoben haben.

Weiter nördlich oder südlich von den Wendekreisen wird ein derartiger Mercur-Dienst nahezu unverständlich. Die nur kurze Dauer seiner Sichtbarkeit in den Dämmerungsstunden, die um diese Zeit in unseren Breiten herrschende Helligkeit, und die vorwiegende Trübung der tieferen Luftschichten erklären es hinlänglich, daß sich bei uns die Wenigsten der persönlichen Bekanntschaft des nunmehr abgedankten „Ministers des Innern“ erfreuen, und dieselben Mißverhältnisse müssen in noch höherem Grade auch den Astronomen zur Entschuldigung dienen, wenn diese einen noch näheren und wirklichen „Geheimrath der Sonne“ bis vor wenigen Wochen ganz übersehen haben.

Seit mehr als dreißig Jahren von der rechnenden Astronomie verkündet, wahrscheinlich auch bereits zu wiederholten Malen bei seinen Vorübergängen vor der Sonnenscheibe beobachtet, ist dieser innerste Planet immer wieder in seiner Existenz angezweifelt worden, bis er nunmehr in der letzten nur in Amerika sichtbaren Sonnenfinsterniß vom 29. Juli dieses Jahres, während ihrer kaum drei Minuten dauernden Totalität, deutlich von dem Astronomen J. Watson aus Ann Arbor (Michigan) und Professor Lewis Swift als Stern vierter bis fünfter Größe, einige Grade von der Sonne entfernt, erblickt worden ist. Werfen wir zunächst einen Blick auf die dem menschlichen Selbstgefühl höchst wohlthuende Vorgeschichte dieser Entdeckung, die unmittelbar an die höchsten Triumphe des menschlichen Scharfsinns anknüpft. Es sind dies Geschichten, die man, gegenüber den neueren Angriffen auf das Erkenntnißvermögen des Menschen, nicht oft genug erzählen kann.

Vierzig Jahre, nachdem Herschel (im Jahre 1781) den Planeten Uranus, als einen dem unbewaffneten Auge entgehenden Stern sechster Größe, entdeckt hatte, fand der Astronom Bouvard, daß die Bahn dieses äußersten Planeten Unregelmäßigkeiten aufweist, die sich keineswegs durch die von der Anziehungskraft seiner inneren Nachbarn Saturn und Jupiter verursachten Störungen erklären ließen, und vermuthete schon damals (1821), daß noch weit jenseits der Uranusbahn ein mächtiger Planet um die Sonne kreisen müsse, um den Uranus so weit von seinen rechtmäßigen Bahnelementen abzulenken, wie es offenbar der Fall war. Spätere Rechnungen des englischen Astronomen Airy erhoben diese Vermuthungen zu noch größerer Wahrscheinlichkeit, und in den vierziger Jahren nahmen gleichzeitig und ohne von einander zu wissen, Leverrier in Paris und Adams in Cambridge die Aufgabe in Angriff, aus den beobachteten Störungen sowohl die Masse, wie den Ort zu berechnen, an welchem der Störenfried zu einer bestimmten Zeit am Himmel zu finden sein müßte.

Leverrier veröffentlichte seine Arbeit etwas früher als Adams, was ihm dieser sehr übel genommen hat, und der Berliner Astronom Galle, dem Leverrier am 23. September 1846 seine Rechnungen mit der Bitte, die lange verzögerte Aufsuchung vorzunehmen, zugesandt hatte, fand noch an demselben Abend, als er das Fernrohr nach der berechneten Gegend des Weltalls gerichtet hatte, einen Stern achter Größe, der sich als der gesuchte äußerste Wandelstern unseres Systems erwies. Mit Recht lehnte Leverrier den Vorschlag ab, ihm den Namen Janus zu geben, welcher andeuten sollte, daß dieses nun der letzte Planet sein müßte, und legte ihm wegen seines meergrünen Lichtes den Namen Neptun bei. Er braucht, nebenher bemerkt, mehr als 217 Erdenjahre, um einen einzigen Umlauf um die Sonne zu vollenden, von der er 744 Millionen Meilen entfernt ist. So waren nun jenseits der den Alten bekannten großen Planeten zwei neue entdeckt worden, abgesehen von der inzwischen bereits ziemlich angewachsenen Schaar kleiner Planeten oder Planetoiden, die zwischen den Mars- und Jupiterbahnen um die Sonne kreisen.

Da man nun aber aus mehr als einem Grunde außerhalb der Neptunbahn vorläufig das Planetenentdecken aufstecken mußte, so richtete sich gleich damals das Bestreben der Astronomen darauf, dem neuen äußersten Planeten einen neuen innersten gegenüber zu stellen, und schon im Jahre 1847 bemühte sich der jüngere Bradley mit seinem Freunde Henrick in Newhaven (Connecticut), den Mercur seines viertausendjährigen Amtes als Sonnenminister des Inneren zu ersetzen, ein Unternehmen, welches aber aus den schon erörterten Gründen nicht so leicht war und völlig fehlschlug. Man sieht daraus jedoch, daß die amerikanischen Astronomen gewisse alte Anrechte auf diese Entdeckung haben. Eine bestimmtere Gestalt gewannen diese Angriffe erst, als der Neptun-Bezwinger selber, der im Rechnen den Meisten „über“ gewesen zu sein scheint, die Sache in die Hand nahm. Er verfolgte seinen gewöhnlichen sicheren Weg, indem er zu prüfen begann, ob die Straße des Mercur vielleicht ebenfalls durch eine unbekannte Größe „unsicher“ gemacht werde, die sich zur Abwechselung, statt im Dunkel der Nacht, in den Strahlen der Sonne verberge.

Das beste Mittel zu einer solchen Prüfung boten die Mercur-Durchgänge, bei denen der in achtundachtzig Tagen seinen Umlauf vollendende Planet als höchst winziger schwarzer Punkt vor der Sonnenscheibe vorüberzieht, was im Laufe eines Jahrhunderts durchschnittlich dreizehnmal zu geschehen pflegt. Der große Kepler hatte zuerst im Jahre 1631 einen solche Mercur-Durchgang verkündet, und seit dem Jahre 1697 hatte man einundzwanzig solcher Durchgänge genau beobachtet. Aus den hierbei gewonnenen Ergebnissen ging zunächst auf das Klarste hervor, daß die Bewegungen des Mercur noch nicht mit der Rechnung genau genug übereinstimmten. Da die Fehlerquelle nicht leicht darin liegen konnte, daß man die Masse der Venus unterschätzt hätte, – denn das hätten wir als nächste Nachbarn anderweitig spüren müssen – so mußte sie wohl bei irgend welchen incognito kreisenden Planeten innerhalb der Mercurs-Bahn gesucht werden. Dabei ergaben sich nun gewisse Unwahrscheinlichkeiten.

Nahm Leverrier nämlich an, daß ein einzelner Planet etwa halb so weit wie der Mercur in seiner mittleren Entfernung, das heißt beinahe vier Millionen Meilen von der Sonne entfernt sei, so mußte seine Masse bereits ebenso groß wie diejenige des Mercur angenommen werden, um die beobachtete Anziehung auszuüben;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_642.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)