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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


daß die eben bezeichneten Folgen des Mangels von Einrichtungen zur Sicherstellung der Zukunft der Arbeiter mit in erster Linie Ursache der Empfänglichkeit für die Verführungen der Socialdemokratie sind. Daß das Gefühl, nichts zu besitzen, für den folgenden Tag, für die nächste Woche nicht einen Pfennig auf den andern legen zu können, sondern immer nur von der Hand in den Mund leben zu müssen, selbst in gutangelegten Naturen erst niederdrückend und endlich empörend wirkt, das haben schon jene Männer eingesehen, welche durch Arbeiter-Sparcassen das Selbstgefühl der so hart von allem Besitz Ausgeschlossenen wieder zu erwecken hofften. Die glücklicher gestellte Gesellschaft hat es bereits vielfach als eine Unterlassungssünde eingestanden, daß sie zu wenig gethan hat, um dieses Mißgefühl der Besitzlosigkeit und Zukunftsunsicherheit in den Massen zu solcher Höhe erwachsen zu lassen. Damit aber drängt sich für Jedermann die Pflicht auf, zu thun, was in seinen Kräften steht, um das bisher Versäumte nachzuholen mit Hand anzulegen zur Schaffung der fehlenden Einrichtungen. Die Arbeitgeber müssen jetzt zusammentreten und aus sich heraus Kranken-, Invaliden-, Wittwen- und Waisencassen für die Gesammtheit der von ihnen beschäftigten Arbeiter in’s Leben rufen. Es mögen zu diesem Zwecke alle Arbeitgeber einer Gemeinde, oder wenn diese dazu nicht stark genug ist, eines größeren geographische Bezirkes sich vereinigen, oder was in vielen Fälle noch besser ist, die Genossen eines einzelnen Industriezweiges innerhalb größerer Districte, weil damit der Grund gelegt werden könnte zu einer auch in sonstigen Beziehungen sehr zweckmäßigen Organisation der Gewerbe. Die Einrichtungen der bereits erfolgreich bestehenden Knappschaftscassen für Bergleute werden Denjenigen, welche die Bildung der Cassen in die Hand nehmen, in vielen Beziehungen als Beispiel dienen können. In den Statuten und Berichten jener Cassen wird man die Grundlagen für die hier in Rede stehenden Schöpfungen finden, und eine bereits ziemlich ausgedehnte Literatur (aus der hier besonders der im Jahre 1874 vom „Verein für Socialpolitik“ herausgegebene Band „Gutachten über Alters- und Invalidencassen für Arbeiter“, Verlag von Duncker und Humblot in Leipzig, hervorgehoben sei) wird Anhaltspunkte dafür geben, wie in einzelnen Fällen die Einrichtungen der Knappschaftscassen zu ändern sind und in welcher Weise die nöthige Verbindung der verschiedene Cassen mit einander zu bewerkstelligen ist.

Aber nicht nur der Mühe der Errichtung und der Theilnahme an der Verwaltung der Cassen sollen sich die Arbeitgeber unterziehen, sie müssen auch bereit sein, in die Tasche zu greifen; sie müssen unbedingt, wie die Bergwerksbesitzer, einen Zuschuß zu den Cassenbeiträgen der von ihnen beschäftigten Leute leisten; sie müssen selbst, wo dies nicht anders möglich ist, bereit sein, eine Lohnerhöhung zu gewähren, welche mit den von den Arbeitern zu zahlenden Prämie auf gleicher Höhe steht. Die von Arbeitern und Arbeitgebern zusammengenommen zu leistenden Beiträge werden allerdings, wenn die Unterstützung in Krankheitsfällen und die Pension der Invaliden, Wittwen und Waisen eine auskömmliche sein soll – und dies ist unbedingt nothwendig – ungefähr fünf Procent vom Normallohn der betreffenden Arbeiter betragen; wenn aber auch die Arbeitgeber diese fünf Procent ganz aus ihrer eigenen Tasche zahlen müßten, würden sie dabei auf die Dauer immer noch ein sehr gutes Geschäft machen. Was sind fünf oder auch sechs Procent gegenüber den Lohnsteigerungen der letzten zwanzig Jahre! Es ist ganz richtig, daß jetzt ein freiwillig zu dem gedachte Zwecke gebrachtes Opfer schon in den nächsten Jahren doppelt und dreifältig wieder eingebracht wird. Abgesehen davon, daß die Arbeiter durch Sicherstellung ihrer Zukunft arbeitsfreudiger werden, also mehr leisten, werden sie wieder Interesse am Bestehenden gewinnen und werden nicht mehr so leicht, wie dies bisher geschah, wenn die Conjunctur ihnen günstig ist, Lohnforderungen stellen, welche die rentable Fortführung des Geschäfts unmöglich machen, in dem sie thätig sind.

Daß die Arbeitgeber hier nicht einseitig vorgehen dürfen, daß sie womöglich schon bei der Gründung der Cassen, jedenfalls aber bei der späteren Verwaltung, die Arbeiter mit heranziehen müssen, versteht sich von selbst. In der Mitwirkung der Arbeiter liegt nicht nur die beste Garantie gegen Mißbrauch der Cassen und ein vortreffliches Erziehungsmittel, sondern es wird dadurch die für Herbeiführung des socialen Friedes so wirksame persönliche Annäherung zwischen Arbeitgebern und Arbeitern, die gemeinsame Thätigkeit im Dienste der Humanität auf die denkbarbeste Weise gefördert.

Mögen alle deutschen Arbeitgeber hier ihre Pflicht, und – füge ich hinzu – ihren Vortheil erkennen, mögen sie sich vereinigen zur Gründung von Arbeiterhülfscassen im weiteste Sinne des Worts! Der Staat, die gesetzgebenden Factoren werden dann gewiß ihrerseits nicht säumen, das zu thun, was sie als nothwendig erkennen, die vom Volke selbst geschaffenen Instiutionen zu unterstützen und in jeder Weise zu fördern. Mit der allgemeinen Durchführung eines Systems guter Arbeiter-Hülfscassen werden alle jene neuerdings vorgeschlagenen Polizeimaßregeln, wie Paßzwang und Aehnliches, sowie alle gesetzlichen Beschränkungen der bestehenden Freizügigkeit überflüssig; die übermäßige Belastung des Armenbudgets der Gemeinden wird beseitigt und, was die Hauptsache ist, eine der wesentlichsten Ursachen des Umsichgreifens der socialdemokratischen Umsturzlehre wird aus der Welt geschafft werden. Darum frisch an’s Werk! Zeigen wir, daß wir Kopf und Herz auf dem rechten Fleck haben!

Fritz Kalle.






Der einsame See.

Wo Gletscherhöhen starren ohne Bahn
     Dem Firmament des Himmels schroff entgegen,
     Da hat ein See, wildeinsam hochgelegen,
Sein schwarzes Auge traurig aufgethan.

Der dunkeln Wasserfläche naht kein Schwan,
     Und nichts Lebend’ges will das Ufer hegen;
     Doch kommt die Nacht mit ihrem Sternensegen,
Dann gleitet durch die Fluth des Mondes Kahn.

So weiß ich auch ein Herz, umringt von Schrecken,
     Der blüh’nden Welt, dem frohen Leben ferne,
     In Traurigkeit unnahbar und allein;

Zwar vor den Menschen kann es sich verstecken,
     Doch wachen über ihm die ew’gen Sterne,
     Und der barmherz’ge Himmel blickt hinein.

Max Kalbeck.





Unser Schlafzimmer.[1]

 

Von Fr. Dornblüth.

Von unseren gesammten Wohnräumen ist das Schlafzimmer derjenige Raum, welchem gute Luft am nöthigsten thut und in welchem man sie doch am seltensten findet. Wer Gelegenheit hat, Morgens früh, bevor die Nachtgäste aufgestanden sind, fremde Schlafzimmer zu besuchen, der entsetzt sich wohl über das, was er als „Luft“ dort vorfindet, und wenn er dann durch die frische Morgenluft in sein eigenes Schlafzimmer zurückkehrt, so mag er leicht entdecken, daß es da gar nicht viel besser bestellt ist, was er vorher nur deshalb nicht bemerkt hatte, weil die Verschlechterung so ganz allmählich und während er sich selbst darin befand, eingetreten war. Wenn man erwägt, daß jeder Schläfer während acht Nachtstunden durchschnittlich an dreihundert Liter Kohlensäure, nebst einer beträchtlichen Menge von Wasserdampf und mehr oder weniger stark riechenden Zersetzungsstoffen von sich giebt, daß aber Thüren und Fenster nicht nur des Schlafzimmers, sondern auch des ganzen übrigen Hauses während dieser ganzen Zeit ununterbrochen geschlossen zu sein pflegen, wird man sich nicht mehr wundern und vielmehr die häufige Versicherung: „ich lüfte den ganzen Tag“,

  1. Zur Ergänzung des Artikels „Unser Bett“ in Nr. 26 d. Jahrg. 
    Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_656.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)