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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

durch gerade und über der Nase sich begegnende Brauen abgeschlossen war. Die lange gebogene Nase hatte etwas Strenges; die ruhig geschwungenen nicht dicken Lippen drückten unerschütterliche Entschlossenheit, aber auch viel Güte aus. Dieses Gesicht war das Ideal des Indianertypus.

Endlich trat auch die Gestalt vor mein Auge und der Jüngling fragte mich mit ruhiger, angenehmer Stimme und in leidlichem Englisch:

„Wohin wollt Ihr?“

„Zu Jonathan Wilson.“

„Kennt Ihr Wilson?“

„Ja, seit achtzehn Jahren.“

„Liebt Ihr Wilson?“

„Wilson ist mein Freund.“

Nach diesem Verhör wandte er den brennenden Blick von mir, nahm mein Pferd am Zügel und sagte:

„Kommt!“

Mein Pferd gehorchte ihm und schritt neben ihm her wie ein Lamm. Ich folgte ihm. Er zog ein Messer aus seinem Gürtel und hieb hier und dort die Zweige ab, welche dem Pferde keinen Durchgang gestatteten. Als wir auf den Weg kamen, von dem ich abgeirrt war, übergab er mir die Zügel, sagte wieder: „Kommt!“ und schritt schweigend vor mir her. Er war nur mittelgroß, mager, aber sehnig gebaut; der ziemlich kleine Kopf saß auf einem kurzen Halse, dessen Sehnen hoch sichtbar waren und wie unzerreißbare Stränge nach den breiten Schultern liefen.

Seine Haltung war stolz, aber nicht herausfordernd, sein Gang ruhig, leicht und so völlig geräuschlos, daß er vor mir hinwandelte, als berührte er den Boden nicht. Er trug einfache Mocassins, ohne jede Verzierung; außer einem Gürtel, in welchem sein Messer stak, und einem Fuchsfelle, das theilweise seinen Körper bedeckte, trug er keine Kleidung. Eine Büchse hing ihm über die Schulter.

„Wie heißt Ihr?“ frug ich ihn.

„Creek.“

„Ich meine nicht den Stamm, sondern Euch selbst.“

„Creek,“ wiederholte er.

„Wo ist Euer Gebiet?“

Er wandte sich um, zeigte mit dem Kopfe nach Westen und beschrieb dann mit der Hand einen Halbkreis.

„Jagt Wilson mit Euch?“

Er nickte stumm. Ich verstand, daß er lieber schwieg als sprach, und fragte ihn nun nichts mehr. Ich gab mich ganz den Eindrücken des majestätischen Waldes und der magischen Anziehung des Indianers hin. Plötzlich blieb dieser stehen, legte eine Hand auf meinen Arm und einen Finger auf seinen Mund. Sogleich hielt ich das Pferd an. In dem Gesichte des jungen Mannes war kaum eine Veränderung sichtbar; nur die Nasenflügel waren weiter geöffnet und bewegten sich; er witterte etwas. Ich blickte umher und gewahrte in einem Felsen eine große dunkle Oeffnung. Nach einer Weile sagte der Indianer:

„Der Bär kommt. Seid ruhig – laßt Creek machen!“

Wirklich kam aus der Höhle langsam und mit gesenktem Kopfe ein schwarzes Ungetüm; nach einigen Schritten erhob es den Kopf und schnüffelte und that wieder ein paar träge Schritte. Jetzt löste der Indianer die Schnur, welche das Fuchsfell zusammenhielt, und es fiel hinter ihm zur Erde, wo er auch seine Büchse geräuschlos niederlegte. Nackt und mit keiner andern Waffe, als dem Messer, schritt er dem Bären entgegen und so ruhig, als ob er ihm zu einer Unterredung entgegen ginge. Als der Bär ihn gewahrte, blieb er stehen und gab dumpfe, drohende Laute von sich. Creek ging ruhig weiter. Ich hatte zwar ein großes Vertrauen in die Unerschrockenheit und die Kraft des jungen Mannes, allein sein Vorgehen war eine furchtbare Verwegenheit; mein Haar sträubte sich und ich zog mein Messer aus der Scheide, um dem Tollkühnen im Falle der Noth beizustehen.

Der Bär stellte sich jetzt und zeigte seine fletschenden Zähne, doch nur einen Augenblick; dann fing er an, dem Indianer entgegen zu laufen. Nun blieb dieser stehen und ließ ihn heran kommen. Als sie etwa sechs Schritte von einander entfernt waren, hielt die Bestie an und stellte sich wieder. Entsetzen rann mir durch die Adern, als ich den Jüngling zwei Sätze thun und sein Messer in dem Rachen des Thieres verschwinden sah. Ich lief hinzu: das Ungethüm lag röchelnd am Boden, und Creek zog sein Messer aus dem dampfenden Schlunde. Dann gab er ihm noch einen Stich zwischen die Rippen und schleifte ihn zur Höhle zurück. Als ich ihm dabei helfen wollte, sagte er:

„Laßt! Creek thut es allein.“

Darauf wusch er seine Arme und das Messer in einem Bache und trat ruhig, als ob nichts geschehen wäre, zu mir. Ich drückte ihm ruhig die Hand und sagte:

„Ihr seid ein Held.“

Er verstand das Wort nicht, Nachdem er sein Fuchsfell sich über die Schulter geworfen, sagte er wieder: „Kommt!“ und schritt mir voran. Als wir an der seitwärts liegenden Höhle vorüber kamen, warf er einen Blick auf dieselbe und lächelte. Dieses war das einzige Lächeln, welches ich an ihm gesehen habe.

Nach einem langen, stummen Marsche gelangten wir zu einem Blockhause; da führte er das Pfeifchen, welches ihm neben einem Büschel weißer Bärenklauen an einer rothen Schnur auf der Brust hing, zum Munde; er pfiff. Ein hochgewachsener Mann trat heraus und gab dem Indianer ein Päckchen, welches dieser in seinen Gürtel steckte. Darauf drückten sich die Beiden die Hand und trennten sich, ohne ein Wort gesprochen zu haben.

„Wer war der Mann?“ fragte ich im Weitergehen.

„Ein weißer Jäger,“ erwiderte er.

„Was gab er Euch?“

„Briefe.“

„Für wen?“

„Für die Compagnie.“

Mit diesen Worten zog er aus dem Gürtel ein anderes Päckchen, welches er darin verborgen hatte, und zeigte es mir. Mit Erstaunen sagte ich:

„Wie könnt Ihr einen Bären herausfordern, wenn Ihr anvertraute Briefe bei Euch tragt?“

„Creek hat ein Messer,“ erwiderte er ruhig.

„Aber der Bär konnte Euch niederwerfen.“

Er schüttelte den Kopf:

„Creek ist stärker als der Bär.“

Er hatte Recht; er war stärker als der Bär. – Im Weitergehen drang ein kläglicher Ruf zu unserem Ohre, und wir sahen einen Häher mit gebrochenem Flügel und gebrochenem Beine jämmerlich über den Weg hüpfen. Der Indianer nahm ihn in die Hand und drückte ihm mit drei Fingern die Kehle zu. Als der Vogel todt war, warf er ihn in’s Dickicht und sagte:

„Vogel, der nicht fliegen kann, ist armes Thier.“

„Ihr habt ein gutes Herz,“ meinte ich.

Er schritt weiter, ohne ein Wort zu sagen. Echte Helden sind nicht eitel.

Endlich lichteten sich die Stämme des Waldes. Rothgoldene Lichtströme schütteten ihren Glanz herein; Creek wandelte vor mir, wie in einer Glorie. Als wir auf eine große, von drei Seiten mit Wald umgebene Wiese traten, blieb er stehen und sagte, mit dem Finger nach einem weißen Punkte zeigend:

„Dort, wo der Strauch ist, wohnt Jonathan Wilson.“

Ich drückte ihm die Hand und dankte ihm. Mit seinen ruhigen Gluthaugen mich fest anblickend, fragte er wieder:

„Liebt Ihr Wilson?“

„Ja.“

„Manche Weißgesichter lügen. Wenn Ihr Wilson Böses thut, holt Creek Euren Scalp.“

Es schauerte mich. Weder Wildheit noch Drohung lagen in seiner Stimme; er sprach jene Worte mit vollkommener Gelassenheit. Aber gerade diese Gelassenheit machte sie furchtbar. Wäre ich Wilson’s Feind gewesen und in schlimmer Absicht zu ihm gegangen, vor des jungen Indianers Blick und Stimme hätte ich vernichtet zu Boden sinken müssen.

„Creek,“ sagte ich, „ich habe Vertrauen zu Euch, habt auch Vertrauen zu mir! Geht Ihr zuweilen zu Wilson.“

„Ja, Creek geht zuweilen zu Wilson?“

„Ist seine Tochter noch bei ihm?“

„Fragt dies Wilson!“ erwiderte er und schritt stolz in den Wald zurück. Ich blickte ihm nach, bis er hinter den Stämmen verschwand. Dann setzte ich mich auf einen Stein und schaute immer in den Wald hinein, wo jetzt ein blauer, goldschimmernder Duft die Tiefen zu verschleiern begann.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 664. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_664.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)