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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Wir setzten uns alle Drei in der großen Stube. Wilson erzählte manche Jagdabenteuer, und die stille Eleanor, welche sehr wenig aß, nahm nach dem Thee ihr Nähzeug heraus und senkte ihr liebliches Gesicht auf die Arbeit.

Plötzlich sah ich etwas wie einen Schatten am Fenster vorbeihuschen und gleich darauf trat eine wunderbare Erscheinung in die Stube – es war Creek, aber er war anders, als am vorigen Tage. Er trug das indianische, mit Nesteln und Fransen verzierte Beinkleid von gelber Haut; auf seinen Schultern ruhte ein kurzes Hemd von schöner weißer Farbe, dessen Nähte mit rothen und blauen Perlen bestickt waren und welches die Arme von der Schulter an und die Brust bis zur Herzgrube frei ließ. Auf dem Kopfe trug er wieder die rothe Binde, am Halse die rothe Schnur mit den Bärenklauen und dem Pfeifchen.

„Hier ist der Weih,“ sagte er, nahm von seiner Schulter einen königlichen Vogel und legte ihn auf den Tisch.

„Creek“ sagte Wilson, ihm die Hand schüttelnd, „ich danke Dir, daß Du meinen Freund zu mir geleitet hast. Sieh, dieser Mann hat mir vor achtzehn Jahren das Leben gerettet.“

Creek’s verschlossene Physiognomie erhellte sich, und er reichte mir die Hand.

„Setze Dich, Creek!“ sagte Wilson.

Ich hatte gehofft, er werde in Wilson’s Hause gesprächiger sein, als er im Walde war, allein er saß still und scheu vor uns und sprach nur, wenn er uns antworten mußte.

Eleanor schien er nicht zu bemerken; als sie aufstand und ihm ein Gläschen Branntwein anbot, sagte er sanft und ohne sie anzusehen:

„Creek trinkt kein Feuerwasser.“

Sie stellte das Gläschen auf den Tisch, wobei sie einen Tropfen verschüttete, und setzte sich dann wieder an die Arbeit.

„Wann gehst Du nach der Station, Creek?“ fragte Wilson.

„Heute.“

„Ich habe einen Brief – hier, nimm ihn mit!“

Creek steckte den Brief in den Gürtel, den er unter dem Hemde trug.

„Wo wirst Du diese Woche jagen, Creek?“

„Creek jagt über dem Wasser.“

„Er meint den Fluß,“ sagte Wilson zu mir und fragte wieder:

„Was willst Du jagen?“

„Elenthier. Creek will Häute haben.“

Ich fragte ihn, ob der am vorigen Tage erlegte Bär noch in der Höhle liege.

„Nein, Creek hat ihn heimgebracht.“

Erstaunt fragte ich weiter, wie weit die Höhle von den Zelten entfernt sei.

„Eine Stunde.“

„Und Ihr habt allein den Bären eine Stunde weit geschleppt?“

„Creek hat das oft gethan.“

Wilson lachte. „Wenn Creek auf fernem Gebiete jagen will,“ sagte er, „so bindet er sich mit einem Lederriemen ein Canoe und Ruder auf den Rücken und einen Sack voll gerösteten Kornes, das ihm Tage lang als einzige Nahrung dient. So geht er meilenweit bis zum Flusse, auf dem er dann wieder meilenweit rudert, und dann geht er waldeinwärts abermals meilenweit und wieder das Canoe auf dem Rücken.“

„Das ist unglaublich, das ist unmöglich,“ rief ich. Da es Creek ganz gleichgültig war, ob ich es glaubte oder nicht, so sagte er kein Wort darauf. Als ich aber in seine Augen blickte, ward ich durch die Ruhe und Ueberlegenheit seines Blickes tief beschämt, und ich senkte den meinen.

„Warum hast Du Dir heute Arme und Brust nicht bemalt?“ fragte ihn Wilson.

„Creek hat keine Farben mehr,“ sagte er leise.

Ich hatte Farben bei mir und ging in mein Zimmer sie zu holen. Als ich das Kästchen vor ihm öffnete und er die bunten Täfelchen sah, da trat in dem furchtbar ernsten Mannesgesicht aus allen Winkeln das Kind hervor. In den düstern Augen blitzten die Neugier und das Vergnügen. Mit zögerndem Finger betastete er die Farben, und als ich ihn fragte, ob sie ihm gefielen, sagte er nickend: „Schöne Farben.“

„Nehmt davon, die Euch am besten gefallen!“

Da sah er mich freundlich an und sagte: „Creek ist dankvoll.“

Ich wollte gerne sehen, wie er male, und bat Eleanor, ein Glas Wasser zu bringen. Als sie es auf den Tisch gesetzt, blieb sie seitwärs stehen, so, daß sie sich zwischen Creek und mir befand. Sie stützte jetzt ihre Hand auf die Lehne von Creek’s Stuhle, denn sie bebte ein wenig. Creek saß vorgebeugt und berührte die Lehne des Stuhles nicht. Ich zeigte ihm, da er ein Farbentäfelchen in’s Wasser tauchen wollte, wie man sich der Pinsel bediene, was er sogleich begriff. Mit feinen Strichen malte er sich eine blaue Strahlensonne auf den linken Arm und einen Halbmond auf das Handgelenk. Den Zwischenraum füllte er mit bunten, aber zart gezogenen Ovalen aus, und man konnte das Ganze recht hübsch nennen. Dann malte er mit der linken Hand auf den rechten Arm etwas, das wie eine leichte phantastische Blume aussah. Auf der Brust zog er einen Regenbogen in vielen abgesetzten Strichen. Als ich ihm auf Stirn und Wangen zeigte, sagte er: „Creek malt nie das Gesicht.“

Dann und wann hatte ich Eleanor beobachtet; sie athmete schnell, und manchmal stieg eine heiße Röthe in ihr Gesicht.

„Eleanor, was gefällt Ihnen am besten von Creek’s Zeichnungen?“ fragte ich. Sie zeigte stumm auf seinen rechten Arm, und ihr Finger zitterte sehr.

Da ihr Röckchen weite und kurze Aermel hatte, sagte ich zu Creek: „Malet doch gleich eine Blume auf Eleanor’s Arm.“

Erschrocken erwiderte er: „Creek kann nicht.“

„Ich werde ganz ruhig halten, Creek,“ sagte Eleanor mit jener süßen halbverhaltenen Stimme, mit der die Mädchen starke Männer zittern machen. Creek sah scheu auf die andere Seite und sagte bescheiden: „Creek malt keine Mädchen.“

Eleanor ließ den weißen Arm sinken und ging zu ihrer Arbeit zurück. Nach einer Weile stand Creek auf: „Creek muß jetzt gehen,“ sagte er und, als ich ihm ein Päckchen Farben reichte: „Creek ist dankvoll.“

Wilson, welcher inzwischen die Stube verlassen hatte und nun wieder zurückkam, fragte den Indianer: „Was willst Du für den Weih haben?“

„Creek will nichts dafür haben: Wilson ist guter Freund,“ erwiderte er sanft und schritt zur Thür hinaus.

„Halt!“ rief Wilson. „Ein Jäger sagte mir, die Saugees, durch deren Lager Du beim letzten Kriege wie der Tod geritten bist, hätten geschworen, nicht eher zu ruhen, als bis sie Deinen Scalp hätten.“

Creek nickte und sagte: „Saugees sind viele Männer, aber Creek kann viele Scalpe bei ihnen holen, ehe sie Creek’s Scalp bekommen.“

Ich geleitete ihn bis zum Bache, wo jenseits der Wald mit einer Gruppe von Tannenbäumen begann. „Creek, werden wir Euch lange nicht sehen?“

„Wenn der Mond rund ist, wird Creek wieder kommen,“ sagte er und sprang über den Bach, gleich einem Vogel, der gefangen war und eben die Freiheit wieder erlangte. – –

Drei Wochen waren vergangen. Ich war mit Wilson viel in die Wälder und einmal auch zu den Zelten der Creeks geritten. Wilson’s junger Freund war von der Elenjagd noch nicht zurückgekommen; allein ich ließ mir von ihm erzählen; das ersetzte seine Abwesenheit ein wenig.

Ich erfuhr, daß Creek nur eine Leidenschaft habe: die Gefahr. Er gehe am liebsten ganz allein auf die Jagd, und wenn er ein gefährliches Thier erbeutet habe und man ihn frage, wie er es erlegte, so sage er jedesmal, es sei sehr leicht gewesen.

„Im Kriege,“ sagte mir ein Häuptling, „ist er wie der Blitz und wie die Schlange.“ Einmal, als er alle Kugeln verschossen gehabt, sei er vom Pferde gesprungen und habe, unter dem Bauche der anderen Pferde durchschlüpfend, am Boden die feindlichen Kugel und Speere aufgelesen. Dann sei er wieder vorgedrungen „furchtbar wie der Tod“. Außerhalb des Krieges und der Jagd sei er still und sanft; niemals zanke er sich mit Andern. Oft mache er Wettläufe mit den Schnellsten des Stammes; „Rothhäute haben alle schnelle Füße,“ sagte der Häuptling, „aber Creek läuft auf dem Boden, wie der Vogel in der Luft.“

Auf meine Frage, ob Creek eine oder mehrere Frauen habe, schüttelte der Häuptling den Kopf und erwiderte lächelnd: „Creek bekümmert sich nicht um die Weiber.“

Ahnte Creek nicht, daß die kleine Eleanor mit den weißen Armen und dem goldnen Haar sich sehr um ihn bekümmerte?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_683.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)