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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Jede Nacht blickte sie zum Mond hinauf, der sehr langsam „rund“ wurde. –

Aber endlich ward er doch rund, und Creek kam.

An einem Morgen trat Wilson in mein Zimmer und sagte: „Creek ist unten; er geht nach der Station. Wenn es Euch recht ist, so begleiten wir ihn.“ Als ich in die untere Stube trat, saß Creek auf einem niedrigen Stuhle und streichelte Wilson’s schwarzen Hund. „Creek,“ sagte ich, „Ihr seid lange fort gewesen, und wir haben rechtes Verlangen nach Euch gehabt.“

„Hätte Creek etwas helfen sollen?“ fragte er.

„O nein! Aber wir hätten Euch gern gesehen; wir haben Euch lieb, Wilson, Eleanor und ich.“

„Creek ist dankvoll,“ erwiderte er leise.

Wilson und Eleanor kamen nun herein. Das Mädchen war sehr bleich, als sie zu Creek hintrat und, ihm die Hand reichend, mit ihrer sanftesten Stimme sagte: „Guten Morgen, Creek!“

Der junge Indianer blickte scheu zu ihr auf, ergriff flüchtig ihre Fingerspitzen und sagte dann mit gesenktem Blick und schüchtern: „Guten Morgen, Mädchen!“

Dann setzten wir uns zum Frühstück. Creek verschmähte den Thee, den Rum und das Fleisch; er aß einen Teller voll Gerstenmus und ein Stück mit Salz bestreutes Brod und trank ein Glas Wasser, welches ihm Eleanor mit zitternder Hand einschenkte. Sie selbst aß nichts; sie schlürfte langsam eine Tasse Thee. So oft Creek sprach, wurden ihre blassen Wangen roth wie die Nelken, die sie an ihrer Brust trug, und in ihren Augen schimmerte es dunkel.

„Wie ist es mit den Saugees?“ fragte Wilson. „Ich habe gehört, Ihr spüret wieder Unruhen.“

„Ja,“ sagte Creek, „Saugee schleichen herum.“

„Da kann es bald wieder ernsthaft werden,“ meinte Wilson. Creek’s Augen leuchteten, wie die Nacht voll Blitze. „Und Du weißt,“ fuhr Wilson fort, „die Saugees sind zahlreich, wie ein Heuschreckenschwarm.“

„Die Creek werden die Heuschrecken aufessen,“ erwiderte der Indianer.

„Ach, da fällt mir die Antwort ein, die Creek einmal einem Saugeehäuptling gab, zu dem er geschickt wurde, als die Saugees die ersten Unruhen begannen,“ sagte Wilson. „‚Warum laßt Ihr uns nicht ruhig?‘ hatte Creek gefragt. Der Häuptling erklärte sich: ‚Wir haben viele lachsreiche Flüsse und große lebendige Wälder, aber wenig grasreiche Ebenen, wo Büffel leben. Gebt uns von Eurem Gebiet die Grasstrecken, oder wir nehmen sie. Wir wollen Büffel haben.‘ – ‚Tapferer Hirschtödter,‘ sagte Creek zu ihm, ‚wir werden unsere Büffel bis vor Eure Zelte jagen, und wenn dann Einer ohne Speer im Leibe bei Euch ankommt, so mögt Ihr ihn haben!‘ – Nicht wahr, Creek, so hast Du geantwortet?“

„Ja, und die Saugees haben nicht einen Büffel bekommen.“

Wilson’s Knecht führte nun zwei gesattelte Pferde vor die Thür, und wir erhoben uns. Hector, der schwarze Hund, sprang zu leidenschaftlichem Abschiede an Creek hinauf, und als er ihn endlich ließ, zerriß er ihm die feine Haut des Hemdes. „Da schritt Eleanor zu ihrem Nähzeuge und dann zu Creek und sagte, auf die beschädigte Stelle seines Hemdes zeigend:

„Creek, laß mich dies zunähen!“

Er erwiderte nichts, blieb aber vor ihr stehen; sie nähte nun langsam und mit zitternden Fingern den Riß über seiner linken Brust zusammen. Ihr Athem ging schwer und stürmisch. Creek’s Gesicht wurde dunkler und dunkler; er schaute mit zuckender Wimper auf die feinen rosigen Finger, die so nahe seiner Brust so liebliche Bewegungen machten, und es trat ein süßer Schrecken auf seine Lippen. Ich sah sein Herz hämmern und ich sah ihn die Augen schließen.

„Es ist gleich fertig,“ hauchte Eleanor und zitterte, und ihr Haar streifte seine Wange. Da zuckte Creek und faßte mit der Hand die Lehne des Stuhles. Die Lippen auf einander gepreßt, den halb erloschenen Blick auf Eleanor’s goldenes Haar geheftet, stand er mit zurückgehaltenem Odem und kämpfender Brust.

„Jetzt ist es fertig, Creek,“ sagte sie und zog sich zurück, den Blick auf ihn gewandt.

„Creek ist dankvoll,“ erwiderte er fast ohne Stimme und schritt zur Thür.“

„Dein Tomahawk, Creek!“ rief sie leise und reichte es ihm.

Sie hielt es in der Mitte, er aber nahm es beim Ende, wie um ihrer Hand nicht zu begegnen.

„Wann kommst Du wieder, Creek? Wann?“ fragte Eleanor und ihre Augen fragten noch zärtlicher, als ihre Stimme.

Er schlug das Auge zu ihr auf, und sein Blick trank eine Secunde lang ihre Züge, die in Vergessenheit das Geheimste, das Allerheiligste des Herzens kund gaben – dann senkte er den Blick und that einen tiefen Athemzug. Als er stumm blieb, fragte Eleanor wieder:

„Wann, Creek? Wann?“

Da sagte er leise und mit Anstrengung: „Mädchen, Creek kommt bald,“ und schritt zur Thür hinaus.

Als ich mit Wilson einen Augenblick später vor die Thür trat, lehnte Creek an der Mauer des Hauses – er zitterte am ganzen Körper wie ein erschrockenes Kind. Wilson’s Stimme brachte ihn zu sich; er schritt langsam dem Walde zu und wir folgten ihm. Ehe wir um die Ecke bogen, blickte ich um: Eleanor stand auf der Schwelle des Hauses und blickte uns nach; ihr linnenes Röckchen flatterte im Morgenwinde. „Wann?“ hatte sie gefragt. Wann? Das ist das Wort der Sehnsucht; es spricht sich schnell aus, aber es hat einen langen Nachhall.

„Wilson,“ sagte ich, „blickt doch um, Eleanor schaut uns nach.“

Wilson grüßte sie mit der Hand. Dann sprang sie leicht wie ein Reh zu uns heran und gab uns die Hand; sie gab sie auch Creek, der dastand wie gebannt.

„Creek, vergiß nicht, bald zu kommen!“ flehte sie ängstlich.

„Creek vergißt nicht,“ sagte er weich – dann riß er sich von ihr los.

Wilson und ich ritten, Creek, der Schnellfüßige, ging. Der Morgen war frisch, voll stählender Kraft, aber auch voll streitender Lüfte. Es ging ein gewaltiges Brausen durch den Wald; der Wind schwoll und bog die jüngeren Stämme wie schwankende Aehren und blies Vögel von den Zweigen herab und wirbelte Laub und Nadeln über unseren Köpfen hin. Und viele Stimmen bekam der Wind; der Wald brauste gleich einer Riesenorgel, von Geisterhänden gespielt.

Klein, müde, mißhandelt stiegen Wilson und ich von unseren Pferden und legten uns auf die Erde, den Orkan über uns weggehen zu lassen. Creek aber erkletterte einen Baum und setzte sich in die Aeste, und das furchtbare Schwanken und Schütteln schien ihm so angenehm zu sein, wie einem Kinde das Schaukeln der Wiege. Der ganze Wald erzitterte jetzt; die grüne Wölbung über uns wogte gleich einem gährenden Meere; Aeste krachten und brachen, die Stämme bis in’s Mark hinein aufschlitzend; eine Hymne, von hunderttausend rasenden Dämonen geheult – so tobte der Sturm und riß Bäume aus der bebenden Erde. Noch ein Stoß voll entzückender Schreckniß – dann ward der Wald plötzlich stille, wie in tödtlicher Ermattung, und ein blitzender Sonnenstrahl schaute in die Vernichtung herein.

Wilson und ich erhoben uns betäubt und ermuthigten die zitternden Pferde; Creek sprang vom Baume herab und schüttelte sein schwarzes Haar.

„Creek,“ sagte ich, „das war gefährlich, was Ihr thatet; der Sturm konnte Euch aus dem Baume heben oder mit dem Baume zu Boden schlagen.“

„Nein,“ sagte er, „Creek kennt die Bäume, die Sturm nicht ausreißt, und Creek sitzt auf dem Baume so fest, wie der Zahn in des Bären Munde.“

Wir hatten an vielen Stellen Noth, durch die Verwüstung hindurchzukommen; wenn ich sage: wir, so meine ich nur Wilson, mich und die Pferde, denn Creek sprang über die gefallenen Aeste und Bäume und ihre knorrigen Wurzeln hinweg, so leicht, als ob er einen Sprung über das Gras der Prairie thäte, und als mein Pferd, an solche Hindernisse nicht gewöhnt, nur zögernd und strauchelnd vorwärts kam, schwang sich Creek darauf, und das Pferd, als ob es plötzlich mit Feuer durchglüht wäre, setzte nun verwegen über Wurzeln und Knorren hinweg und verschwand mit seinem Reiter in wenigen Augenblicken.

Als Wilson und ich endlich aus dem Walde traten, sprang Creek, welcher unter einem Zuckerahorn auf uns gewartet hatte vom Pferde herunter und gab mir dessen Zügel mit den Worten:

„Euer Pferd ist gutes Thier, aber zu zahm, Ihr müßt ihm manchmal Feuer zu essen geben.“ Dann lief er mit gleichmäßigen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_684.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)