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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Noch weiß ich heute nicht, wie ich das schwere Eisen an den Kopf gebracht, und nur das ist mir unverlöschbar im Gedächtniß geblieben, daß, nachdem mein Ohr noch einen leisen Pfiff aus dem Munde meines Gönners vernommen und der Hase daraufhin ein hochaufgerichtetes Männchen gemacht, ich furchtlos auf mein Ziel Feuer gegeben, dabei aber von dem Stoß der wahrscheinlich überladen gewesenen Kartaune beinahe zur Erde geworfen worden wäre. In der kurzen Frist, in welcher ich in regungsloser Befangenheit verharrte, war „Hornfriede“ schon der Wahlstatt zugeeilt und brachte – mir zur unbeschreiblichen Freude – von dort her den von mir also wirklich Niedergestreckten zur Hütte.

„Dunnerwetter, Du Mordsjunge hantirst ja mit so ’ner Spritze gerade wie ein Alter,“ belobte mich der von meinem Erfolg höchst befriedigte Anstifter meiner eben ganz harmlos ausgeführten „Blaupfeiferei“. Ich aber konnte mich nicht satt sehen an der gewonnenen weißbäuchigen Beute.

„Hornfriede“ warf sofort nach geschehener That den noch warmen Lampe aus und zog ihm auch gleich die Jacke herunter, wie er das Abstreifen des Balges nannte, bei welcher Gelegenheit er mir alle Handgriffe dieser Fertigkeit zeigte.

„Nu paß’ mal uff, Du Blitzkröte,“ erklärte er dabei, „daß Du so’n Karnutschge ooch einmal richtig abziehen lernst! Zuerst,“ fuhr er fort, „nimmst Du das Beest also so her und stichst ihm ein Loch hinger der Flechse in das eene Hingerbeen, um daran den ‚Krummen‘ an einen Ast oder sonst einen Haken hübsch aufhängen zu können. – So!“ – Und nun streifte er, nachdem er alles Gesagte auch gleichzeitig vor meinen Augen ausgeführt hatte, höchst geschickt, und wie ich erst später beurtheilen lernte, auch ganz waidgerecht, den Frischgeschossenen ab, verbarg darauf den Balg in seiner Hütte mit größter Vorsicht, wobei er mir zugleich ernstlichst verbot, hierüber, wie überhaupt über die ganze Geschichte, gegen irgend Jemand zu sprechen. Dann vergrub er auch das Gescheide, setzte Wasser an’s Feuer und steckte das nackende Wildpret, mit dem Kopfe, aus welchem noch die großen bloßgelegten, fischgelben „Lichter“ glotzten, zu unterst gekehrt, in ein Kochgeschirr. Nachdem er noch eine Hand voll Salz hinzugeworfen, ließ er den also Zugesetzten, dessen „Hingerbeene“ weit über den Topfrand herausstarrten, ruhig etwa zwei Stunden in der siedenden Brühe brodeln, nach welcher Zeit er das gar nicht übel duftende Gericht in einer großen irdenen Schüssel auftischte.

Himmel, welch’ eine Enttäuschung ward mir aber nun beim Genusse dieses Mahles! Hatte ich doch im elterlichen Hause oft genug, wenn von gutem Essen die Rede war, einen saftigen Hasenbraten rühmen hören, ohne daß mir bis dahin ein so kostspieliges Gericht auf unserem Tische vor Augen gekommen wäre. Und nun ein solches Hunde-Essen! „Hornfriede“ hatte dem „neunhäutigen“ Hasen diese ganze Anzahl der bekannten blauen Lederüberzüge höchst pietätvoll auf dem Leibe belassen! Eine gute Zumuthung an meine Zähne und – meinen Magen! Darum heute noch Fluch diesem Cannibalenschmause, dagegen dankbares Gedenken der mir unvergeßlichen Erlegung meines ersten Hasen!




Blätter und Blüthen.


Das arme Vacha! Was fragt das Unglück darnach, wie viele Ach und Weh’ es der Menschenbrust hart auf einander entpreßt! Gestern fuhr es mit Wolkenbrüchen und Gletscherströmen vernichtend über Hab’ und Gut Tausender dahin; heute zerstört es als Kriegsfurie Leben und Hoffnungen der Unschuldigsten, und ehe es Nacht wird, ragen die Trümmer einer fleißigen Stadt aus der glühenden Asche. Muß nicht hinter jedem Unglück die Menschenliebe herbeieilen mit der rettenden, helfenden, tröstenden Hand? Und, Gottlob, sie kann es, und sie thut es; denn zwischen den Stätten des Unglücks liegen weite Länderstrecken, deren Bewohner der Himmel, vor so großem Unglück bewahrt hat – und ihnen Allen, soviel auch der endlosen Sorgen des Tags den Einzelnen bedrücken mögen, ihnen Allen darf man zurufen: Habt Ihr den verarmten Tirolern und den Verwundeten und Verwaisten unserer Oesterreicher geholfen, so helft auch dem Städtchen, das mitten in Deutschland zur Hälfte in Asche liegt! Es ist ja ein altes gutes Wort, das zu uns spricht: „Das Eine thun, das Andere nicht lassen!“ und so arm sind wir in Deutschland, trotz aller Klagen, noch lange nicht, daß wir unserm Herzen seine reinsten Freuden versagen müßten.

Die kleinen Städte Mitteldeutschlands, die an den Heerstraßen lagen, haben von je viel Schweres zu ertragen gehabt, denn wenn diese Straßen im Frieden ihnen auch zum Wohlstand durch Handel und Verkehr verhalfen, so verwandelten sie sich im Kriege fast immer in Verheerungsstraßen. So ist auch an Vacha, einem weimarischen Städtchen im Eisenacher Oberland, an der Grenze Hessens, zu dem es früher selbst gehörte, seit den Tagen der Reformation kein Krieg ohne Spuren der Vernichtung vorübergegangen, bis ihm die französische Retirade nach der Leipziger Schlacht die letzten Wunden schlug. Im darauffolgenden langen Frieden hob sich die Stadt wieder und gelangte durch ihre Lage an der rastlos belebten großen Handelsstraße zwischen Frankfurt am Main und Leipzig zu Wohlstand. Da lenkte plötzlich die Eisenbahn allen Verkehr von ihr ab, und trotz allen Fleißes versank Vacha in Armuth; der Häuserpreis sank bis auf ein Viertel des früheren Werthes. Und gerade jetzt, in dem Augenblick, wo der Bau der Feldabahn die Stadt wieder mit dem Weltverkehr in Verbindung setzen wird, trifft sie das härteste Loos: am Abend des 1. September, zur Stunde, wo auf so vielen deutschen Thürmen die Glocken das große Siegesfest des kommenden Tages einläuteten, erscholl in Vacha die Sturmglocke, und als die Sonne des Tages von Sedan heraufkam, bildeten mit Haupt- und Nebenhäusern 239 Baulichkeiten eine große Brandstätte. – Nicht blos Haus und Hausrath, auch der Erntesegen ist den Armen mit vernichtet worden – so nahe vor dem schlimmsten Feind der Armuth, dem Winter.

Ist da nicht Hülfe nöthig? Man verzeihe uns diese Frage! Geschah sie doch nur, weil unsere Leser sie nicht anders, als mit ihrem „Ja!“ beantworten können. – Auch aus der Ferne möchten wir dieses „Ja“ vernehmen. Es ist so Mancher aus unseren kleinen Städten in der Fremde zum reichen Mann geworden, dem es nun wohl thut, in der alten Heimath ein Freudenspender zu werden. Die Redaction der „Gartenlaube“ darf ohne königl. sächs. Ministerial-Erlaubniß keine Sammlung veranstalten, die Noth drängt aber zur Eile, und darum bitten wir unsere Leser, ihre Gaben „an das Hülfscomité in Vacha im Eisenacher Oberlande“ zu richten. Den Dank der Beglückten werden wir seiner Zeit um so freudiger aussprechen.

H.     




Rüstow und Zimmermann. Sie gehen Einer nach dem Andern, die alten Mitarbeiter der „Gartenlaube“. Wieder haben wir das Erinnerungskreuz auf die Gräber zweier Männer zu setzen, die unserem Blatte nahe standen. Wilhelm Rüstow, der vielgenannte Militärschriftsteller, ein Mann der Feder und der That, hat, im ersten Viertel seines achtundfünfzigsten Jahres stehend, seinem Leben selbst ein Ende gemacht. Er war in Brandenburg am 25. Mai 1821 geboren. Wie seine zwei jüngern Brüder, Alexander und Cäsar, war er frühzeitig in’s preußische Militär getreten. Als die Revolution von 1848 ausbrach, packte sie auch den jungen Lieutenant des Ingenieurcorps, der damals in Posen garnisonirte. Er schrieb eine Broschüre: „Der deutsche Militärstaat vor und nach der Revolution“, wurde deshalb vor ein Kriegsgericht citirt und entzog sich dem Urtheilsspruch desselben durch die Flucht in die Schweiz. Seitdem ist er nicht wieder zu Ruh und Frieden gekommen. Seine Thaten in Garibaldi’s Corps ehren ihn, und ebenso diejenigen seiner Werke, in welchen nicht der Haß gegen Preußen ihm das Urtheil trübte. In seiner besten Zeit hat er unsere Leser mit mancher frischen, anregenden Arbeit erfreut; um so mehr bedauern wir es, daß er der deutschen Sache später fast feindlich fremd werden konnte.

Mit unwandelbarer Treue hatte der Andere, Wilhelm Zimmermann, an seiner Fahne, der des Vaterlandes und der Freiheit, festgehalten. Noch im vorigen Jahrgang der „Gartenlaube“ (Nr. 47) hatten wir Gelegenheit, dieses deutschen Mannes zu gedenken. „Noch einer vom alten Schrot und Korn“ ist der Artikel überschrieben, den wir ihm als dem „Geschichtsschreiber der Wahrheit“ widmeten, wie unser Blatt ihn schon 1869 genannt hatte. Dort (S. 293) haben wir auch sein Bildniß mitgetheilt. Zimmermann starb am Morgen des 22. September im Bade Mergentheim an Lungenlähmung.




Berichtigung. In der Unterschrift zu unserem Bilde „Der Werbellin-See“ (Nr. 39) wolle man lesen: Nach der Natur aufgenommen von Wilhelm Claudius – nicht, wie irrthümlich angegeben wurde: von Otto Vollrath, von welchem nur der Holzschnitt stammt.




Kleiner Briefkasten.


Zahlreichen Fragestellern in Betreff der Fütterung der Canarienvögel mit Cayennepfeffer (s. Nr. 34). Hier das Recept: Sie kaufen aus einer großen Droguen- oder Specereiwaarenhandlung frischen, fein gepulverten rothen Cayennepfeffer, weichen altbackene hartgetrocknete Semmel (Weißbrod, also Weizengebäck ohne Milchzusatz) in Wasser auf, entfernen nach dem Aufquellen mit einem Messer die äußere Schale, drücken dann die Brodmasse tüchtig aus, sodaß sie nur feucht bleibt, und vermischen mit derselben so viel von dem Pfefferpulver, daß ein krümliches Gemenge gebildet wird. Auf die Portion des Pfeffers kommt es dabei nicht so sehr an; die Hauptsache ist, daß die Mischung nicht schmierig und unappetitlich für die Vögel wird. Zu beachten ist noch, daß der gepulverte Cayennepfeffer leicht heftiges Niesen erregt und daß man beim Mischen also vorsichtig sein muß.

Dr. K. R.     

V. von W. in Wien. Die Sage vom „Rattenfänger von Hameln“ ist allerdings auch dramatisch, und zwar als Textbuch zu einer großen Oper bearbeitet worden, deren Aufführung auf dem Leipziger Stadttheater soeben vorbereitet wird; Componist derselben ist der durch seine Oper „Irmingard“ und zahlreiche Liedercompositionen bekannte Victor Neßler.



Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 688. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_688.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)