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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

dem lebendigen Gefühle, dem deutlichen Bewußtsein entsprossen sind, daß die Literatur eines Volkes nicht ein ihm Aeußerliches, sondern der höchste Ausdruck, die edelste Blüthe und Frucht seines Wesens, das sprechendste Zeugniß seines Werthes und seiner Bedeutung in den Augen der Völker ist. Was würde eine noch so zahlreiche Nation in unserem Europa bedeuten, deren geistiges Schöpfungsvermögen nicht aus würdigen Gestaltungen der Vergangenheit und Gegenwart spricht? Und wenn der Aufschwung Deutschlands überhaupt möglich gewesen wäre ohne den Geist, den unsere Schriftsteller und Dichter geweckt, entzündet und herangebildet haben: was würden wir selbst mit allen unseren Siegen und Erfolgen sein ohne die Macht und den Glanz dieses Geistes und ohne das Ansehen, das er uns bei Freunden und Feinden giebt? Eine Nation soll sich daher des Besitzes ihrer Literatur nicht blos thatenlos freuen, sondern nach Kräften an ihrer Förderung mitwirken, sie vor Allem auch in ihren Pflegern und Trägern ehren, ermuntern und fruchtbar erhalten als ein unentbehrliches Gut, eine hochwichtige Angelegenheit des nationalen Interesses. An einem wahren Durchdrungensein von solcher Erkenntniß fehlt es aber bei uns noch sehr, und die Engländer und Franzosen könnten uns in dieser Hinsicht Beispiel und Muster sein. So konnten z. B. in Deutschland hervorragende, seit Jahrzehnten in der vordersten Reihe wirkende Schriftsteller die Erfahrung machen, daß bei einer Veranstaltung ihrer gesammelten Werke die Verleger diese einmal begonnenen Unternehmungen nur ehrenhalber zu Ende führten, da sie den beträchlichsten Theil der Kosten aus der eigenen Tasche bezahlen mußten. Solch eine Schmach würde in England und Frankreich nicht möglich sein. Jeder bemittelte und halbwegs gebildete Engländer oder Franzose fühlt und weiß, daß die Literatur seiner Nation auch für ihn arbeitet, daß er ihr gegenüber Pflichten der Ehre und des nationalen Anstandes, daß er ihr durch Anerkennung und Unterstützung fort und fort die Steuer seines Dankes zu entrichten hat.“

So könnte, so sollte es auch bei uns sein, aber nach dieser Seite hin ist die Mehrheit selbst unserer Gebildeten noch unglaublich kleinen und engen Sinnes. Selbst das regelmäßige Bücherkaufen gehört auch nicht zu den Gewohnheiten vieler unserer wohlhabenden deutschen Häuser, obwohl in ihnen viel gelesen wird. Ist es in unserem Kreise doch vorgekommen, daß ein reicher, sonst keineswegs geiziger Kaufmann zweimal an einem Tage seinen Livréebedienten zu einem befreundeten Publicisten schickte, um eine neue Schrift zu entleihen, die in jedem Buchladen für zwei Mark zu haben war. Gleich vielen seiner Standesgenossen hatte der Mann eben noch nicht das leiseste Bewußtsein seiner bürgerlichen Ehren- und Anstandspflichten in Bezug auf die literarische Production. Und doch ist gerade bei uns aus mannigfachen Gründen eine kräftige Förderung und Ermunterung des guten schriftstellerischen Schaffens so nothwendig, und es bedürfte wahrlich nur geringer Anstrengungen der Einzelnen, sie nutzsam zu erzielen.

In verhältnißmäßig sehr kurzer Zeit hat sich unser deutscher Schriftstellerstand zu einem achtunggebietenden, durch bürgerliche Ehrenhaftigkeit und Solidität ausgezeichneten Berufskreise herausgebildet. Der Weg des Einzelnen jedoch ist vielfach ein dornen- und kampfesvoller. Sehr oft ermatten vielversprechende junge Talete schon nach ihren ersten Anfängen, weil ihnen alle Mittel zu ruhiger Arbeit und Entfaltung mangeln. Mitten in rüstigem und anerkanntem Schaffen wird die Zukunft Anderer vernichtet, weil Krankheit und widrige Geschicke sie mittel- und hülflos fanden. Andere wiederum werden frühe zurückgeschreckt durch das Beispiel manches verdienstreichen Standesgenossen, der bei fleißigem Leisten keine Capitalien sammeln konnte und nun ein trostlos verlassenes Alter in Sorge und schlimmer Bedrängniß fristet. Das sind düstere Punkte, wie sie mannigfach als Flecken auf dem Schilde unseres Namens um uns her sich finden und nicht allein aus Gründen des gewöhnlichen Mitgefühls, sondern vor Allem im Einblick auf die unleugbar höchsten Zwecke der Volksgemeinschaft dem öffentlichen Gewissen sich nahe legen sollen. Das Publicum verlangt eifrig nach Lectüre jeder Art, setzt sich auch den Producten gegenüber auf das hohe Pferd strenger Kritik und verlangt mit Recht von ihnen die möglichste Vollkommenheit. Nur selten aber fällt es Jemand ein, bei dem getadelten Werk nach den Geschicke des talentvollen Verfassers zu fragen, nach den Verhältnissen, unter denen er arbeiten muß, und ob nicht vielleicht seine Arbeit einem getrübten Geist und gepreßten Herzen sich entwunden hat.

Daran muß immer wieder erinnert werden und deshalb hat auch die „Gartenlaube“ ihren Lesern im Laufe der Zeit die Gestalt manches unglückliche Dichters vorgeführt. Wir wollen diese traurigen Bilder nicht wieder heraufbeschwören. Dagegen gehört hierher einer der Jüngsten und Begabtesten unter den Todten, den die „Gartenlaube“ geehrt hat und dessen erschütterndes letztes Schicksal ebenso an die so wünschenswerthe Vorsicht des Urtheils mahnt wie für die Nothwendigkeit der Schiller-Stiftung zeugt, so lange eben diese es ist, welche mit immerhin noch schwachen und unvermehrt gebliebenen Mitteln jene Lücke in unserer socialen Bildung auszufüllen hat, die wir als den Mangel der innigeren Beziehung zwischen Dichter und Volk bezeichnet habe. Jener Dichter ist Heinrich Schaumberger, dessen Lebensbild die „Gartenlaube“ in Nr. 44 ihres Jahrgangs von 1876 gebracht hat. Die folgende Stelle aus dem dort (S. 740) erwähnten Briefe[1] möge das Bild eines Mannes vervollständigen, der in der That mit antiker Seelengröße zu sorgen und zu schaffen, zu leiden, zu dulden und zu sterben wußte. Es war auf seinem Sterbebette, wo er, mit Bleistift, das Folgende niederschrieb:

„Nie empfand ich die Wahrheit des Wortes ‚Unbedingte Thätigkeit macht bankrott‘ so hart, als in diesem Herbste. Es war vielleicht vermessen, in meiner Krankheit, die jeden Augenblick eine Katastrophe befürchten ließ, einen dreibändigen Roman zu unternehmen. Aber wer kann dem innern Drange befehlen? Und ich sah nun einmal in der Arbeit: ‚Erlebnisse und Erfahrungen eines Lehrers‘ eine Lebensaufgabe. So begann ich das Wagniß. Leider wuchs mir die Arbeit unter den Händen; der Sommer ging hin, und als der böse Herbst kam, ein Anfall (Bluthusten) nach dem andern mich niederwarf, war ich noch lange nicht zur Schürzung des Knotens gelangt. Diese Noth ist unbeschreiblich! Wenn jeder Nerv, jede Muskel nach Ruhe schreit, sich an den Schreibtisch setzen und poetisch produciren, - das sind Folterqualen. Wenn man auf dem Stuhle zusammenbrechen möchte, die zitternde Hand den Dienst versagt, das fiebernde Gehirn keinen Gedanken zum andern bringt, – und doch die Angst nur die Zukunft von Weib und Kind, die ganz nahe drohenden Gespenster der Noth und des Hungers ihr fürchterliches ‚Du mußt!‘ fort und fort wiederholen – o, solch ein Schaffen ist Höllenqual! Und so habe ich mich Monate hindurch abgekämpft. – Zum Glück ist der Roman vollendet; wenn auch ängstliche Sorgen und Zweifel mich oft niederdrücken, ich will hoffen, daß die umfängliche Arbeit wenigstens nicht ganz ihren Zweck verfehlt und Weib und Kind noch einige Hülfe nach meinem voraussichtlich sehr bald eintretenden Hinscheiden bereiten möge.“

Wem unter unseren Lesern und besonders unter unseren Leserinnen wird es nicht eine erhebende Genugthuung sein, daß diesem Helden unter den Duldern und Dichtern der bittere Leidenskelch versüßt wurde durch die „Schiller-Stiftung“, daß dieselbe nicht nur die „Gespenster der Noth und des Hungers“ vom martervollen Sterbebette Schaumberger’s vertrieb, sondern den Sterbenden noch mit dem Trost erquickte, daß seine Lieben nicht verlassen seien, daß der Lohn für sein Dichterstreben ihnen zu Gute kommen solle! Und mit und nach Schaumberger war es bisher noch eine ganze Reihe von Anderen, denen solcher Trost gewährt, denen auch die Hand zu noch möglicher Rettung für weiteres Schaffen gereicht werden konnte. Gewiß, der Segen solcher Unglücklichen ehrt die Stiftung alle Zeit und verpflichtet uns, das Gedeihen derselben uns eine heilige Sorge sein zu lassen, da sie unbedingt ein vorhandener tüchtiger Kern ist, an welche eine umfassendere Thätigkeit der Nation in großer Organisation sich schließen kann.

Diese Sorge aber muß jetzt laut reden, sehr laut, um diese Schöpfung zu Schiller’s Ehre kräftiger zu beleben, die Gleichgültigkeit, mit der sie von der großen gebildeten Masse unseres Volkes behandelt wird, zu bannen und für die hohe Bedeutung derselben Augen, Herzen und Hände zu öffnen.

Ist es nöthig, Ursprung, Zweck und Wirksamkeit der „Schiller-Stiftung“ unserem Volke wieder in’s Gedächtniß zu bringen, so kann das mit wenigen Worten geschehen. – Wie das Schiller-Haus in Gohlis und der Wunsch der Erhaltung desselben die Gründung des Leipziger Schiller-Vereins mit veranlaßte, so war für die

  1. Vergl. „Gesammelte Werke von Heinrich Schaumberger (Wolfenbüttel, bei Jul. Zwißler), Bd. 9, S. 178 ff.: Briefe an Dr. Fr. Hofmann in Leipzig“.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_748.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)