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verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Eine Historie vom Kloster Eberbach.

Das war im Kloster Eberbach;
Da waren spät zwei Mönche wach:
Der Kellermeister und der Koch,
Die tranken Nachts um Elfe noch.

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In den Gestalten, voll und rund,

Gab sich des Standes Würde kund;
Um’s Antlitz floß ein Glanz, ein Licht,
Wie einst um Mosis Angesicht.

Sehr würd’ge Männer waren das –

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Der Abt roch wie ein Weihrauchfaß,

Jedoch nach Wein und Braten roch
Der Kellermeister und der Koch.

Selbst in der strengsten Fastenzeit;
Dies galt als Wunder weit und breit,

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Als heiliges Miraculum –

Zwei Männer waren’s rund und frumm.

Sie sorgten für die Brüder gut;
Ein Fäßlein nur mit Rebenblut,
Von bester Art ein einzig Stück,

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Das hielt das Paar für sich zurück.


Aus heißem Jahr ein edler Trank,
Wie flüssig Gold, so klar und blank!
So oft der Wein vom Zapfen quoll,
Das war ein Duft gar wundervoll;

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Ein Duft, als blüht’ ein Rosenflor,

Als thät’ sich auf des Himmels Thor,
Als säß’ man frei von jedem Gram,
Im Schooß von Vater Abraham.

Und dennoch sagt’ der Bruder Koch:

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„Trotz Duft und Gluth – ich spür’ es doch,

Von Anfang an hab’ ich’s entdeckt,
Daß dieser Wein nach Leder schmeckt.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1878, Seite 777. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_777.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)