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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

bei Allah. Die Wunde, die er zehn Stunden von Orchanie erhalten und selbst auf’s Beste verbunden hatte, wäre auch ohne den langen Ritt tödtlich gewesen. Und sicher hatte ihn sein Pferd so sanft wie möglich getragen, es kam „wie auf den Zehen“ über den Hof. Jetzt wieherte es laut nach einer Liebkosung, die es sich nur unwillig von fremder Christenhand gefallen ließ.

Vor den Baschibozuks hatte ich anfangs immer ein gewisses Grauen; die Kerle sehen auch zu unheimlich aus, wirklich bis an die Zähne bewaffnet. Im rothen Shawl, der um den Leib gewickelt ist, stecken zwei oder drei lange Pistolen und drei bis vier große Messer. Die Pistolen, deren Schäfte meist prachtvoll gearbeitet und mit Silber, Gold, sogar echten Steinen ausgelegt sind, können nur als Hauptschmuck an der Tracht des Baschibozuks angesehen werden. Ich habe wenigstens nie eine solche Pistole bei einem Baschibozuk getroffen, die man so hätte laden können, daß sie hernach losging; statt dessen tragen sie meist Flinten, die desto sicherer schießen. Und dann: je unschuldiger die Pistole als Mordgewehr, desto gefährlicher das Messer.

So schaudererregend mir diese mit Recht verrufenen Mordkerle anfangs auch waren, so habe ich doch mit dem Einen und dem Andern nähere Bekanntschaft angeknüpft, mit Einem sogar, ich möchte sagen Freundschaft geschlossen; einen Andern habe ich in der letzten Zeit als Diener engagirt und mich ganz wohl dabei befunden. Mein Freund wohnte in beschaulicher Ruhe in einem Dorfe zwischen Sofia und Taskissi und verwaltete, allerdings wohl ohne jeden Auftrag, das Besitzthum eines flüchtigen oder gehenkten Bulgaren. Er machte nur selten noch kriegerische Ausflüge und gab sich, bescheidener Natur, mit dem Erbe des Bulgaren zufrieden. Mein erster Besuch bei Mehmet war ein unfreiwilliger; ich wollte nach Sofia reiten, wurde aber, da mein Pferd lahmte, von der Nacht überrascht und suchte, hungrig und müde, das erste erleuchtete Haus abseits der Straße auf. Wie freute sich der biedere Bursche, einem Nekim Baschi (Arzt) seine Gastfreundschaft beweisen zu dürfen, als könnte er dadurch das Vorurtheil der ganzen europäischen Presse gegen seinen Stand umstimmen! Alles, was Haus und Stall liefern konnte, wurde aufgetischt; Gänsebraten, Hühnerragout, Hammelrisotto, Pilaff waren die Glanzpunkte des Menu. Nachdem wir nach dem Mahl etwas politisirt, über das Unglück der Türken und die schlechten Russen gesprochen hatten, mußte ich sein Lager einnehmen, wo er mich sorgfältig zudeckte. Er selbst wachte, am Kaminfeuer sitzend, über den Schlaf seines Gastes.

Die bulgarische Nation steht bei mir in unangenehmer Erinnerung; ich stelle sie weit hinter die Tscherkessen, die Baschibozuks und sogar die Kosaken. Die Bulgaren sind hinterlistig und heuchlerisch, grausam und herrschsüchtig, dabei von unglaublicher Selbstüberhebung, besonders dem Türken gegenüber. Während uns mit der Grausamkeit des Tscherkessen seine Tapferkeit, mit der Raublust des Baschibozuks seine Ehrlichkeit versöhnen kann, verbindet der Bulgare mit seinem Blutdurst Feigheit, mit seinem Eigendünkel die niedrigste Gesinnung.

Das Unglück, welches meinen Collegen Dr. Schücking traf, seine schimpfliche Behandlung von Seiten der Russen, die ihn zweimal dem Tode nahe brachte, hatte derselbe nur der beispiellosen Undankbarkeit und niederträchtigen Verleumdung der Bulgaren von Etropol zu verdanken.

Im November wurde Dr. Schücking[1] und ich mit einem griechischen Apotheker, welcher, der französischen Sprache mächtig, zugleich als Dolmetscher dienen sollte, zur Einrichtung eines Hospitals nach Etropol geschickt. Wir nahmen Wohnung im Konak der angesehensten bulgarischen Familie. Das Haupt dieser Familie, der Bürgermeister im christlichen Viertel von Etropol, war vor Kurzem, da er eben verhaftet werden sollte unter der Anklage, mit den bulgarischen Insurgenten und den Russen in Verbindung zu stehen, zur russischen Armee geflüchtet, und die Familie befand sich ob dieses Vorfalls noch in großer Aufregung.

Nun wurde der älteste Sohn des Hauses, ein hübscher, schlanker Mann, nicht viel über zwanzig Jahre alt, eines Tages auf Grund desselben Verdachtes, und weil er die Zahlung einer beträchtlichen Contribution verweigerte oder nicht leisten zu können erklärte, vom dem Gouverneur des Ortes, einem Bimbaschi (Major), verhaftet und sollte nach Sofia transportirt werden. Eine Abführung nach Sofia aber führte vor das dortige Kriegsgericht, und zu der Zeit gab es in Sofia viele Galgen, an denen wohl auch mancher Unschuldige hat baumeln müssen. Die Familie war außer sich vor Verzweiflung, Mutter und Schwestern rauften sich vor unseren Augen buchstäblich die Haare aus und umklammerten schreiend unsere Kniee. Ich ging zum Bimbaschi und versuchte die Freilassung des Bulgaren zu erwirken, fand aber, obgleich ich mich seiner ausnehmenden Gewogenheit erfreute, nicht das geringste Gehör. Der Arrestant saß im Hofe des Bimbaschi auf dem kalten Pflaster; in der Nähe hockten die türkischen Wachtsoldaten am Feuer. Er mußte es an meinem Gesicht merken, als ich den Bimbaschi verließ, daß er wenig zu hoffen hatte, denn er ließ den Kopf stumpfsinnig zwischen die Kniee sinken.

Nun gingen Schücking und ich zu dem Adjutanten des commandirenden Generals, Mustafa Pascha, der den eigentlichen Oberbefehl an Stelle des faulen Paschas führte. Derselbe war uns bekannt und für Geschenke und besonders Schmeicheleien sehr zugänglich. Wir stellten ihm vor, daß der Bulgare gewissermaßen unser Diener sei, und verbürgten uns für ihn und seine Dummheit, die ihn allein schon zu einem Verrath unfähig mache; dabei brauchten wir in verschwenderischer Weise die Anrede „Excellenz“ und erlangten wirklich die Freilassung des Bulgaren. Dem Bimbaschi ertheilte der Adjutant höchst eigenhändig in unserer Gegenwart einige Schläge mit dem Säbel für sein schlechtes Betragen.

So hatte uns die Familie, bei der wir wohnten, Freiheit und Leben ihres Sohnes zu verdanken, und wie bewies dieselbe ihre Dankbarkeit später gegen Schücking?!

Ich wurde leider von Etropol abcommandirt, wenige Tage vor der Einnahme des Ortes durch die Russen, und zwar kam ich wieder zur Armee von Orchanie. Als ich auf der Flucht unserer Armee von der Einnahme Etropols bestimmte Kunde erhielt, ritt ich nach Sofia, suchte und fand Soldaten von der Etropoler Armee und empfing von denselben die ziemlich bestimmte Nachricht, daß Schücking zurück geblieben und den Russen in die Hände gefallen sei. Ich schickte nun die für Dr. Schücking auf dem österreichischen Consulat liegenden Briefe an den Vater, mit der Benachrichtigung über das vermuthliche Schicksal seines Sohnes. Den Bemühungen des Vaters gelang es endlich, den Sohn ausfindig zu machen und seine Freilassung zu bewirken.

Dr. Schücking war bei der Flucht vom Pferd gestürzt, hatte sich, an allen Gliedern zerschunden und unfähig zu gehen, in seine Wohnung zurück geschleppt und erwartete die Ankunft der Russen im Vertrauen auf die Humanität einer Heeresleitung, die auf Civilisation Anspruch macht, und auf die Stipulationen der Genfer Convention.

Bei dem Einrücken der Russen wurde in der Straße, in der Schücking’s Wohnung sich befand, ein russischer Soldat erschossen, sei es absichtlich oder aus Irrthum. Um nun allen Strafen zu entgehen, gaben die Bulgaren den zurückgebliebenen türkischen Arzt, ihren Wohlthäter, als den Schuldigen an.

Zweimal entging Schücking der über ihn verhängten Execution nur durch eine glückliche Fügung, aber nicht den scheußlichsten Mißhandlungen, die ihn auf’s Krankenlager warfen und dem Tode nahe brachten, bis er endlich durch die Intervention der deutschen Reichsvertretung in Rumänien und mit Hülfe der Gesellschaft vom „Rothen Kreuz“ aus den Händen der russischen Militärjustiz befreit wurde.

Als er schon in Wien im Kreise der Seinigen verweilte, befiel ihn nochmals ein heftiger Typhus als Nacherinnerung an die mannigfaltigen Strapazen und Mißhandlungen.

Mit welcher Freude erfüllten mich die ersten Zeilen, mit denen mir mein Kriegscamerad, dessen Freundschaft ich so viel zu verdanken habe, seine Genesung melden konnte!

–r.
  1. Unsere Leser werden sich einer Notiz erinnern, welche seinerzeit die Nachricht vom Verschollensein des hier Genannten, eines Sohnes von Levin Schücking, durch die Tagesblätter trug, sowie einer nachfolgenden zweiten, welche das Wiederauftauchen desselben in russischer Gefangenschaft meldete. Hier das Nähere über die Angelegenheit.     D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 783. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_783.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)