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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Lumpenmüllers Lieschen.
Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Nelly irrte sich: ihre Mutter war nicht droben, wo die alte Baronin mit dem jungen Officier verhandelte – häßliche, unerquickliche Dinge, die so unweihnachtlich waren.

„Zu Neujahr – noch kaum acht Tage!“ sagte die alte Dame tonlos und sah finster vor sich hin.

„Zu Neujahr,“ bestätigte Army, der vor ihr stand.

„Und Du sagst, Hellwig weiß keinen Rath?“

„So theilte er mir mit –“

„Aber dio mio! Sonst wird es doch einem Officier nicht so schwer gemacht, Geld zu erhalten?“

„Sonst? Du vergißt, Großmama, daß unsere Verhältnisse hinreichend bekannt sind. Kein Banquier leiht mir Geld auf die sichere Aussicht hin, es zu verlieren, und noch dazu solche Summen. Das Einzige, was ich erlangen konnte, war – Aufschub bis Neujahr.“

„Und hast Du Dich nicht einmal bemüht, den Weg einzuschlagen, den ich Dir als die einzige Rettung empfahl?“

Er sah trotzig zu ihr hinüber. „Nein, meine Gläubiger riethen mir freilich dasselbe und wollten mir sogar behülflich sein; aber tausendmal lieber nach Amerika und arbeiten wie ein Knecht, als ein solches Joch!“

„Wie Du willst!“ sagte die alte Dame trocken, „es ist Deine Sache, nicht die meine.“

„Ganz recht!“ lachte er auf. „Aber zum Teufel mit der ganzen Geschichte! Ich bin nicht hergekommen, um Euch etwas vorzuklagen; ich will ja Weihnacht mit Euch feiern – Weihnacht!“ wiederholte er spöttisch.

„Gut denn!“ tönte die Stimme der Großmutter, „so werde ich versuchen, ob ich Rath schaffen kann; noch giebt es wohl Leute in der Welt, die den Namen Derenberg nicht vergessen haben. Morgen – nein, heute noch schreibe ich an den Herzog von R.“

Um Army’s Lippen zuckte es bitter auf. Er dachte an das Bild da droben im Ahnensaal, das seine Großmutter als junge schöne Herrin vorstellte, dem Herzoge den Willkommen in ihrem gastfreien Hause bietend. „Bettelei“ tönte es verächtlich in seinem Innern; er fuhr mit der Hand über das Gesicht und sah zu der hohen schwarzen Gestalt hinüber, die so unbeweglich und mit der Miene äußerster Entschlossenheit vor dem Tische stand. Sie that ihm leid, die stolze Frau; er wußte, es wurde namenlos schwer, einen solchen Brief zu schreiben.

„Laß das, Großmama!“ bat er leise. „Du sollst Dich nicht so demüthigen –“

„Nein, ich lasse es nicht,“ klang es zurück, „denn ich sehe, ich bin die Einzige, die möglicher Weise noch Rettung finden kann, obgleich ich nur eine alte Frau bin.“

„Aber, Großmama, wird sich der alte Herr Deiner noch erinnern?“

Sie lachte. „Wirst Du je das Bild Deiner Braut vergessen?“ fragte sie, und die schwarzen Augen strahlten förmlich in lodender Gluth. „Sicher nicht! Nun sieh’, ebenso wenig der Herzog von R. Leonore von Derenberg, denn er hat mich lieb gehabt, Army, seit dem Augenblick, wo ich ihm zum ersten Male gegenüber stand. Damals war er noch Erbprinz; mein Mann präsentirte mich bei Hofe; es wurde grade ein Fest dort gefeiert – ich weiß nicht mehr, wem es galt, da, als ich unter der bunten Menge, welche die tageshell erleuchteten Säle füllte, am Arm Deines Großvaters einherschritt, weil das herzogliche Paar mich zu sehen wünschte, und rechts und links die Menschen auseinander wichen und die Fremde, die Italienerin, anschauten, als ich mich verbeugte vor dem hohen Paar – da traf mein Ohr ein schwacher Laut der Ueberraschung, und als ich dann meine Augen hob, begegneten sie denen eines jungen schönen Mannes, die mit bewundernder Gluth an mir hingen. Ich war siebenzehn Jahre alt, Army, und was giebt es Berauschenderes für ein Weib, als bewundert zu werden und – vorbei, vorbei!“ flüsterte sie, „wozu Vergangenes heraufbeschwören!“

„Und“ – wiederholte sie träumerisch, ohne in sein geröthetes Gesicht zu blicken, „er kam oft nach Derenberg; er war mein Cavalier bei jeder Gelegenheit, bis er eine weite Reise antrat – die guten Eltern, sie waren besorgt um ihn, und mein Gatte, der spielte den lächerlichsten Othello, den je die Welt gesehen; er haßte den lebenslustigen Prinzen, weil meine Lippen lachten, wenn er sprach, und meine Augen glänzten, wenn ich ihn sah, und das hatten sie sonst beinahe verlernt; es trug ja Alles ein so bodenlos langweiliges Gepräge, was mich umgab, der Himmel, die Erde, die Menschen, selbst die Feste, die mein Gatte arrangirte. Er, im Verein mit den fürstlichen Eltern, entfernte den Schmetterling, der so ungestüm die leuchtende Kerze umkreiste – spießbürgerlich, wie Alles hier zu Lande! Ich wußte es, daß mein Gatte aufmerksam gemacht worden, wußte, wer ihn in dem vollständig harmlosen Verkehr das Schlimmste sehen ließ. O, ich habe ihn gehaßt, meinen Schwager, diesen –“

„Großmutter! Und an den Mann wolltest Du schreiben? Ihn anbetteln, weil er Dich einst bewundert? Ihn, den mein Großvater gehaßt hat?“

„Ich bin jetzt eine alte Frau geworden, mein Kind,“ entgegnete

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 801. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_801.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2016)