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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Marktpreisen immer zu erkundigen und am hellen lichten Tag Lackstiefel anzuziehen, da wußte ich, was die Glocke geschlagen hatte. Ei – der Assessor, der auch auf den Sprenkel! Sie waren geliefert, wie ich es schon an so vielen meiner Herren erlebt habe. Sie sind nicht der Erste, der –“

Der Assessor lachte und meinte, daß das eben keine sehr erfreuliche Hochzeitsstimmung sei, die Rüchel ihm da bereite.

„Man kann Einem vor dem Heirathen gar nicht genug Angst machen. Jeder glaubt, daß er mit dem Trauschein auch gleich eine gestempelte Versicherung auf ewiges Glück in die Rocktasche mitbekomme. Schön wär’s wohl – aber Sprenkel – Sprenkel!“ Dabei nahm er aus einer großen runden Dose eine Prise Tabak, zog das rothe Taschentuch wieder heraus und schnaubte sich. Der Assessor ärgerte sich im Stillen; er sah nach der Uhr und schaute dann durch das Fenster, ob noch kein Wagen vorgefahren sei.

„Den Wagen habe ich erst just um zwölf Uhr bestellt. Es sind kaum zwanzig Minuten über Elf. Freilich – weiß noch von meiner Hochzeit – und ich bin doch nicht in der Staatskutsche gefahren, aber die Stunde habe ich auch nicht erwarten können.“

„Werden Sie denn auch in die Kirche gehen, Rüchel?“

„Ich? Nein, Herr Assessor! Nur zu heiligen Zeiten und wenn was Freudiges los ist.“

„Rüchel, Sie sind aber von einer Rücksichtslosigkeit –“

„Es ist gut, wenn man auf das Schlimme vorher gefaßt ist,“ war des Famulus trockene Antwort.

Der Bräutigam warf wieder einen Blick in die Straße hinab. Noch ließ sich kein Wagen hören; dann versenkte er wieder Blicke und Gedanken in das Bild, das noch auf dem Schreibtische vor ihm stand.

Rüchel hatte den Vorwurf seines bisherigen Herrn empfunden und erachtete es für nothwendig, den üblen Eindruck abzuschwächen. Er begann davon zu sprechen, daß man seit lange kein so stattliches Paar in der ganzen Stadt zum Altare habe gehen sehen, als den Herrn Assessor von Rechting und seine Braut, Fräulein Doris Lammers. Er habe ihren Vater und ihre Mutter noch gekannt. Der Vater sei als armer Baubeflissener in die Stadt gekommen; die alte Schwiegermutter, also die Großmutter von Fräulein Doris, habe ihm sogar noch den Hochzeitsanzug kaufen müssen, dann aber, nach der Heirath, sei das Glück wie aus Scheffeln über sie gekommen.

„Nun, da sehen Sie es doch, Rüchel, daß Heirathen Glück bringt.

„Einmal ist kein Mal, Herr Assessor. Sie müssen nur nicht denken, daß es ihm von der Frau gekommen ist. Die Frau Bergräthin Lammers, die hätte das Vermögen auch nicht zusammengehalten; die hatte einen gar hohen Gusto – hui – haste was gesehen! Und wenn die Fräulein Tochter ihr nachschlägt – na! – Ein Glück eigentlich war’s, daß sie früh starb. Aber der Mann, der Herr Bergrath, der Vater von Fräulein Doris, der bedeutete drei Männer auf einmal. Auf einer ganz kleinen Klitsche, die er sich mit Schulden erkauft hatte, da hat er angefangen zu arbeiten, nicht über der Erde – Kohl, den kann jeder Stoffel bauen, aber was drunter ist unterm Kohl, das ist, was ihn fett macht. Der hatte gesehen, was da drinnen Alles gesteckt hat – die schönsten Kupfererze. Dann ging’s immer weiter mit dem Bohren hinein und mit dem Arbeiten drunter weg. Und so wurde er der reiche Lammers und Bergrath, und wo man einen gescheidten und braven Mann brauchte, hieß es: Wo ist Lammers? Wie oft habe ich bei den Diners im Hause aufgewartet! Nobel, Herr Assessor! Immer gab’s eine Flasche Wein extra. Die alten Hüte, die der Bergrath abgelegt hatte, die hab’ ich gekriegt, und die Tochter, die kriegen Sie nun, die wär’ mir schon lieber. Eigentlich kann man Ihnen gratuliren – das Kupfer hat viel Gold gebracht. Und wollen wir nur wünschen, daß des Vaters Art nachschlägt. Der infame Wagen kommt noch nicht.“

Wie langsam ging dem Bräutigam der Zeiger der Uhr! Seine Blicke richteten sich immer wieder nach dem Bilde der Braut hinüber, das aus dem dunklen Rahmen heraus mit verklärten Blicken nach ihm schaute. Sie trug ein weißes Kleid, um Kopf und Brust war ein schwarzes Spitzentuch geschlungen, eine dunkle Locke stahl sich aus diesem und ringelte sich auf die Brust. In der Hand hielt sie ihm einen Strauß von vollen Rosen entgegen mit einer Miene, als wollte sie sagen: Da, hier hast Du alle Blüthen, die ich zu bieten habe!

Der Bräutigam nahm das Bild, drückte seine Lippen darauf und flüsterte: „O Doris, wie glücklich werde ich sein!“

„Soll der Briefkasten auch mit in die neue Wohnung?“

„Ja gewiß, Rüchel. Hier nehmen Sie den Schlüssel und sehen Sie nach, ob kein Brief drin ist!“

Rechting hatte gestern im Laufe des Abends vergessen nachzusehen, auch heute. Nach einem Polterabende denkt man an keine Briefe, aber es mochte ja wohl der eine oder andere seiner auswärtigen Freunde oder Verwandten sich veranlaßt gefunden haben, ihm einen Glückwunsch zu schicken.

Rüchel ging und brachte einen Brief zurück. Es war der einzige in dem Kasten. Rechting schien die Handschrift nicht zu kennen; er öffnete das Couvert und sah nach der Unterschrift. Keine! Einen Moment war er unschlüssig, ob er lesen sollte. Er las.

„Anonyme Zuschriften können mehrfache Motive haben. Entweder will der Schreiber eine Bosheit an den Mann bringen oder eine Warnung, deren Quelle die Wahrheit und deren Absicht die der selbstlosesten Theilnahme ist. Der Schreiber dieser Zeilen bittet Sie, Letzteres anzunehmen. Vor dem Verdachte einer Bosheit schützt ihn die einfache Thatsache, daß er keine Verleumdungen gegen das Mädchen vorbringen will, das in wenigen Stunden Ihren reinen und ehrenvollen Namen tragen wird. Er sagt Ihnen nicht etwa: Fräulein Doris ist Ihrer unwürdig; ihr Herz ist kein so reines Gefäß mehr, daß es werth wäre, Ihre Liebe aufzunehmen – nein, selbst die böszüngigste Mißgunst könnte gegen Ihr Fräulein Braut nichts nach dieser Richtung hin vorbringen. Von Fräulein Lammers kann man das Beste sagen, was überhaupt von einem Mädchen gesagt werden kann: Sie hat keine Vergangenheit. Aber ebenso wenig, Herr von Rechting, werden Sie an ihrer Seite eine Zukunft haben. Sie liebt Sie nicht. Was Sie Ihrerseits als Liebe hinzunehmen versucht waren, das war Ihre eigene Herzensfülle, Ihre Sehnsucht nach einem andern Wesen, das Sie gleichsam aus sich selbst heraus im Drange Ihres Herzens sich neu erschufen. Der Reiz, die Anmuth Ihrer Braut, ein gewisser geistiger Anflug, dazu jener Grad von Liebenswürdigkeit und die magnetische Kraft des andern Geschlechts, die jeden Mann gewinnen müssen – diese Eigenschaften haben in der nur kurzen Zeit Ihres Brautstandes Ihre Augen geblendet, oder ich will sagen: Ihr eigenes Herz getäuscht. In Ihrem eigenen Lieben verwuchsen Sie der Art innerlich mit Ihrer Braut, daß es Ihnen zuletzt nicht mehr erkennbar war, wie viel von dem Gefühl Ihnen selbst zukam und wie wenig davon Ihrem zweiten Selbst, das Sie in Fräulein Doris Lammers erkannt haben wollen. Freilich ist nichts so undankbar für wohlmeinende Freunde, wie von Illusionen zu befreien. Wenn auch. Hier handelt es sich aber nicht um Dank oder Undank – nur um Ihr eigenes Heil, und das ist dem Schreiber Alles. Von anderer Seite wurden Ihnen, mein theurer Freund, jedenfalls kostbare Hochzeitsgeschenke dargebracht. Diese Zeilen sind die Hochzeitsgabe eines aufrichtigen Herzens und, wenn Sie diesen Fingerzeig beachten, vielleicht nicht die schlechteste.“

Nach einer halben Stunde fuhr der Wagen vor. Rechting hatte es nicht gehört; er hörte überhaupt nichts von dem, was um ihn her vorging; den Brief nur starrte er an und las ihn wieder und noch ein drittes Mal und noch öfter. Wer war der Schreiber? Diese Frage an sich selbst war das erste Symptom der Rückkehr seiner kritischen, wir wollen sagen: juristischen Verstandesthätigkeit. „Sie liebt Sie nicht!“ Wer kannte sie Beide, ihn und Doris, und ihre geheimsten innersten Berührungen so genau, daß er diese Zeilen schreiben konnte? Der Brief war von männlicher Hand geschrieben. Von einem Nebenbuhler, der ihm den Besitz seiner Braut neidete? Warum sollte das nicht sein? Es waren ja nicht Wenige gewesen, die um Doris geworben hatten, und ihm ward das Glück, die Braut heimzuführen. Ja wohl, ein Glück! Doris. Wie ein frischer Wind ein niederhängendes Segel plötzlich schwellt, so schlug sein Herz beim Gedanken an sie wieder hoch. Er warf all die scheinbaren Bedenken, Einwendungen, Warnungen über Bord. Er that recht so. Er mußte sich in dieser Stimmung erhalten. Räumte er einem einzigen dieser Sätze auch nur einen Moment des Nachdenkens ein, so nahm er die ganze Kette der Folgerungen auf, so mußte er alles Weitere zugeben, um zuletzt am Schlusse anzulangen: Sie liebt Dich nicht. Hiermit brach Alles zusammen; in diesem Falle durfte er seiner Braut nimmermehr das Jawort geben. Er zerknitterte den Brief

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_002.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)