Seite:Die Gartenlaube (1879) 009.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


entwickeln sich die Kinder mehr; sie sind schon im Stande, uns Freund und Freundin zu sein, und doch denken sie noch immer nur mit unseren Gedanken, fühlen nur unser eigenes Empfinden nach in dem reinen Kinderherzen. Noch ist keine Hoffnung geknickt, kein Traum zerstört; noch blickt die Mutter mit fester Zuversicht in die Zukunft. Sie hat ja die Kinder nach ihrem heiligsten Wissen und Können erzogen; sie hat ihr Herzblut daran gewendet, Tag und Nacht nie ein Opfer gescheut, um für ihre Lieben das zu ermöglichen, was ihr das erreichbar Beste schien; wie also könnte es ihnen jemals im Leben fehlen? Sie sind brav und gut; natürlich müssen sie auch glücklich werden. Da hat eines Tages die Mutter wieder einmal ein stilles Stündchen der Ueberlegung und bemerkt plötzlich, wie doch nach und nach Alles so anders geworden ist um sie herum. Es ist auch in ihrem Hause die Zeit herangerückt, wo man keinen Roman und keine Novelle mehr lesen mag, weil das, was man lebendig vor Augen hat, viel interessanter ist, als alle Bücher.

Das ist der zweite große Abschnitt im Frauenleben; ein Abschnitt, bei dem die Mutter all ihre Kraft, all ihren felsenfesten Glauben braucht, um ihn würdig zu durchleben. Jetzt ist mit Verstand und gutem Willen Alles, jetzt ist mit all der unermeßlich reichen Mutterliebe allein nichts mehr gethan. Das Kind verlangt, was Du ihm nicht geben kannst, und es treten neue menschliche Gewalten herein in sein Leben. Du bist nicht mehr die einzige Vermittlerin zwischen deinem Kind und seinem Schicksal: – das ist das Große, Erschütternde dieses zweiten Lebensabschnittes. So viele Eltern wollen es nicht begreifen und meinen, auch dann noch die Schicksalslenker ihrer Kinder bleiben zu können, wenn diese durch den urewigen Gang der Natur bestimmt werden, fortan die eigene Bahn zu wählen. Es liegt ja so nahe, es ist so begreiflich, daß treue Eltern auch den erwachsenen Kindern das bleiben wollen, was sie ihnen von Geburt an waren, aber es ist ein großer, oft sehr unheilvoller Irrthum. Unsere treu gemeinten, bestangelegten Pläne scheitern. Ergieb dich darein, sorgendes Mutterherz, und kämpfe nicht gegen das, was nie anders gewesen ist und nie anders sein wird.

Und wenn alles besser ausgegangen ist, als du gedacht, wenn Söhne und Töchter den Beruf gewählt und den eigenen Herd gegründet haben, dann fängt die Großmutter wieder von vorn bei den – Babies an und macht noch einmal bei den Enkelkindern denselben Kreislauf von Freuden und Sorgen durch, nur vergrößert durch das Weh, daß man oftmals ihrer Erfahrung nicht glauben will, und daß sie, den Enkeln gegenüber, wohl noch Rath, aber keine Entscheidung mehr hat. Endlich wachsen auch die Enkel heran und treten in die Welt; die Zahl der Lieben, über die man sich freut und für die man sorgt, wächst von Jahr zu Jahr; was interessirt dann zuletzt die Urgroßmutter ausschließend, sie, welche Kinder, Enkel und Urenkel von allen denkbaren Altersstufen besitzt? Ja, seht ihr, dann kommt eine Zeit, wo uns Hunderterlei ganz gleich lieb und wichtig ist, und wie man bei vernichtend schwerem Leide manchmal momentan nichts bemerkt, als eine an der Wand kriechende Fliege oder die am Fußboden tanzenden Sonnenlichter, ebenso kann eine alte Frau, die mehr als ein Viertelhundert Menschen ganz gleich innig liebt und völlig aufgeht in deren verschiedenartigen Freuden und Sorgen, in einer Art von Erschöpfung ihre Gedanken auf irgend eine Lappalie richten: ob der Tischler die Nägel gerade oder schief einschlägt, ob man die Fenster schon heute oder lieber erst morgen putzen soll, ob der eben gekaufte Stoff auch gut in der Wäsche halten wird? Man vergräbt sich förmlich in solch eine nichtige Sorge, schläft nicht ein darüber und bekommt Herzklopfen davon, und das kommt nur daher, daß keine unserer großen Sorgen die andere so zu überragen vermag, wie es in jüngeren Jahren die Ernährung unseres ersten Kindes, die erste Prüfung des Sohnes, das Liebedämmern im Herzen der ersten Tochter oder ihre Hochzeit und ihr erstes Wochenbett gethan hat.

Wie Unrecht geschieht aber dann oft solch einem alten Mütterchen! Da heißt es: Ach, die ist schon abgestumpft. Der ist ihr Strickstrumpf wichtiger als alles Uebrige. –

Und wer von Euch Allen, Ihr Jüngeren, kann es wissen, was in diesem alten Herzen noch lebt, so bunt, so reich, so tief versenkt, daß vielleicht nur die Abschnitzel davon, wie Schaum, an die Oberfläche ausgestoßen werden? Wer von Euch kann die Gedanken zählen, die sie geduldig und ergeben einstrickt, Masche um Masche, in das Strümpfchen für den jüngsten Urenkel; wer vermöchte es, die Bilder zu malen, die an ihr vorüber ziehen während der einförmigen Arbeit?

Ihr aber lächelt, wenn sie von dem seichten Alltagsgeschwätz um sie herum kein Wörtchen gehört und verstanden hat.




2. Bekenntnisse einer Verschwenderin.

„Jeder Mensch hat einen Gegenstand, mit dem er Verschwendung treibt, selbst wenn er in allem Uebrigen sparsam ist.“ Das ist ein alter Ausspruch. So muß ich wohl eine große Verschwenderin sein, denn ich habe drei Dinge, mit welchen ich in unerhörter Weise verschwenderisch umgehe. Aber brecht nur nicht gleich den Stab über mich! Zum größten Glück sind die drei Dinge nicht sehr kostspielig. Man kann sie verbrauchen, ohne sich deshalb in Schulden zu stürzen; es müßte denn sein, daß der liebe Gott uns einst die Rechnung machte über das, was wir im Haushalte seiner Natur verschwendet haben.

Diese drei Dinge, mit denen es mir unerträglich, ja fast unmöglich ist, zu sparen, heißen: Luft, Licht und Wasser.

Wie oft habe ich nicht schon meine armen Zofen und Kinderwärterinnen gequält durch das Aufreißen der Fenster, die sie eben erst sorgfältig geschlossen und verriegelt hatten! Wie oft habe ich sie zur Verzweiflung gebracht, wenn ich die Vorhänge des Kinderwagens zurückschlug und sie dafür zwang, den Wagen in den Baumschatten zu fahren, wenn es auch viel amüsanter war, im sonnigen Hofe zu halten und dafür von dem armen Kindchen jedes Lüftchen abzusperren! – Ob das Thermometer draußen auch zwanzig Grad Kälte zeigt, nie würde ich zu Bette gehen, ehe nicht mindestens eine Stunde lang die Fenster meines Schlafzimmers offen gestanden haben. Das Schließen derselben ist täglich mein letztes Geschäft vor dem Auskleiden, das „Lüften“ mein erstes früh Morgens. Im Sommer lasse ich mich die Mühe nicht verdrießen, sogar die Nähmaschine in den Garten zu tragen; alle Gemüse werden dort zugeputzt und verlesen, jede Mahlzeit wird in der Laube eingenommen; vom Mai bis October benutzen wir das Wohnhaus buchstäblich nur als Nachtquartier und Zufluchtsort bei Regenwetter. Und auch in den übrigen Monaten des Jahres schwelgen wir, so viel es angeht, in der herrlichsten aller Gottesgaben, in reiner, kräftiger Luft.

Ganz ebenso wird es mit dem Licht gehalten. Wie hasse ich die sogenannten lauschigen, halbdunklen Boudoirs, in denen man stets das bedrückende Gefühl hat, als sollte der lieben Gottessonne irgend etwas verborgen werden, ein Stäubchen vielleicht im Winkel des Gemachs oder – in der Seele der Bewohnerin, die sich daselbst mit Vorliebe aufhält! Wie hasse ich die schweren dicken Portièren, Jalousien, Marquisen und wie alle die raffinirten Anstalten heißen, welche lichtscheue Menschen erdacht haben, um die hellen glänzenden Sonnenstrahlen mühsäm hinaus zu sperren aus unsern Wohnungen! Ein dünnes weißes Rouleau ist Alles, was ich noch allenfalls zugestehen kann, und sogar mit diesem liege ich beständig im Streite.

Und diese Leidenschaft für viel Licht dehne ich auch auf jene Beleuchtung aus, die wir mit Geld bezahlen müssen, und da verdient sie vielleicht in Wahrheit den Namen: Verschwendung! Welch ein Gräuel ist doch eine kleine, trüb brennende Lampe! Wie entsetzlich, wenn bei einem einzigen solch armseligen Flämmchen sechs bis acht Personen zugleich arbeiten, lesen, zeichnen, kurz, sich in allen Abstufungen die Augen verderben! – Sobald mehr als höchstens vier Personen an meinem Tische arbeiten, lasse ich stets zwei gute Lampen darauf brennen, und dem beständigen: „Aber Mama, ich versichere Dich, ich sehe hier ausgezeichnet!“ wird ein ebenso energisches: „Nein, rücke näher zur Lampe oder höre auf zu lesen!“ entgegengesetzt. Oft muß ich mir einen gutmüthigen Spott gefallen lassen, wenn ein paar intime Bekannte uns besuchen und Alles in der größten Einfachheit, aber in hellster Beleuchtung finden. Wenn zwei große Tischlampen auf Kartoffel, Wurst und Milchsuppe strahlen, das sieht gewiß lächerlich aus; ich erlaube es auch Jedermann, zu lachen, und sage höchstens: „Kinder, sehen muß ich, was ich auf dem Teller habe, und wäre es nur Salz und Brod.“

Ich glaube bestimmt, Licht schadet keinem gesunden, auch keinem schwachen Auge. Nur ein krankes Auge mag es meiden, und zwar nur auf ärztlichen Rath. Sobald aber dies Verbot

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_009.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)