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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Die Entwickelung jener Organismen in einem geimpftem Individuum ist eine so schnelle, daß, wenn man z. B. ein Kaninchen am Ohre mit einer Nadel sticht, welche in Milzbrandblut eingetaucht war, schon nach vierundzwanzig Stunden alle Organe des Versuchsthieres Milzbrandbakterien enthalten, ja sogar nach achtundvierzig Stunden alle Gewebe von Milliarden von Milzbrandstäbchen vollgepfropft sind. Der Tod tritt ein, entweder indem auf mechanische Weise die feinsten Blutadern, die sogenannten Capillaren, mit Milzbrandbakterien sich verstopfen und dadurch ihrer Function der Ernährung des Körpers enthoben werden, oder indem jene Gebilde alle vorhandenen Nährstoffe zu ihrer eigenen Erhaltung aus den benachbarten Geweben aussaugen und dadurch diese zum Leben unfähig machen, oder aber auch, indem durch dieses eigenartige Thier-Pflanzenleben im Innern des Organismus zersetzende Fäulniß eintritt und auf diese Weise gleichsam das Thier oder der Mensch von innen heraus verfault und abstirbt.

Bei einer weiteren berüchtigten, den Menschen befallenden Krankheit, dem Typhus recurrens (Rückfalltyphus), sind ebenfalls Bakterien unumstößlich nachgewiesen worden, und zwar von dem Arzte Dr. Obermeier in Berlin, nämlich die sogenannten Spirochäten, schlangenartige Bildungen, welche das gesammte Blut des Erkrankten durchsetzen. Es in sehr wahrscheinlich, daß schlechte und halbverfaulte Nahrungsmittel die Entstehung dieser Gebilde befördern. Obermeier fand im Blute solcher Typhuskranken massenhaft jenen spiralig geformten Parasiten, welchen wir in Fig. 5 abgebildet haben. Derselbe schlängelt sich zu Tausenden zwischen den Blutkörperchen hindurch und ist bei steigendem Fieber in größerer Anzahl vorhanden, als bei sinkendem. Die Botaniker theilen auch diese parasitische Form den Bakterien zu und halten dieselbe für eine Abart jener. Es ist jedenfalls leicht begreiflich, daß Gebilde, welche so massenhaft im Blute vorkommen, wie die in Fig. 4 und 5 wiedergegebenen, die Lebensthätigkeit herabsetzen und das Leben beeinträchtigen müssen.

Fig. 5. Rückfalltyphus.
(Photoxylographie-Vergrößerung 700fach linear.)

Noch nicht erwiesen, aber höchst wahrscheinlich sind parasitäre Krankheitsursachen in Form von Mikrokokken und Bakterien bei den Masern, dem Scharlachfieber und den Blattern, welche Krankheiten bekanntlich alle durch directe Uebertragung vom Menschen auf den Menschen Verbreitung finden. Bei einer weiteren Gruppe von Krankheiten findet eine Uebertragung des Krankheitsstoffes vom Kranken auf den Gesunden nicht direct statt, sondern die Bedingungen zur Entstehung des Giftes liegen mit großer Wahrscheinlichkeit in den Bodenverhältnissen, indem unter gewissen Temperaturen sich die Krankheitskeime erst entwickeln und durch die Luft dem Menschen zugeführt werden. Während man die erste Gruppe von Krankheiten die „contagiösen“ nennt, bezeichnet man die zweite Gattung von Krankheiten mit dem Ausdrucke die „miasmatischen“. Zu diesen gehören außer dem Unterleibstyphus: die Cholera, das gelbe Fieber, die Pest und das Wechselfieber.

Fragen wir, was die ärztliche Kunst bis heute gegen jene schrecklichsten Feinde der Menschheit, die Bakterien, zu thun vermocht hat, so können wir mit Befriedigung auf die in so kurzer Zeit gewonnenen Resultate zurückblicken. Der ärztliche Heilschatz besitzt nämlich in zwei Präparaten, der Carbolsäure und der Salicylsäure, specifische Mittel zur Tödtung der Bakterien und Mikrokokken. Die heilsame Einwirkung der genannten Medicamente bei Diphtheritis, bei Gelenkrheumatismus, bei der pyämischen Blutvergiftung, beim Typhus, bei Lungengangräne und vielen anderen verwandten Krankheiten scheint allenthalben auf Zerstörung der Bakterien zu beruhen. Entschieden erwiesen ist solches bei den Wundkrankheiten. Es wird wohl heutzutage kaum einen rationellen Arzt mehr geben, welcher auf der Höhe seiner Wissenschaft steht und der nicht die sogenannte antiseptische Wundbehandlung, das heißt die directe Anwendung bakterienzerstörender Medicamente auf die Wunde verordnen würde. In der That sind die bezüglichen Resultate so erstaunlich, daß man mit Fug und Recht sagen darf, bald werden die früher bei Operationen und Wunden so allgemein gefürchteten accidentellen Wundkrankheiten zu den größten Seltenheiten gehören. Das hervorragendste bezügliche Verdienst gebührt dem englischen Chirurgen Dr. Lister zu Edinburg, welcher auf die Idee kam, während des Wundverbandes die der Wunde benachbarte Luft mittelst Carbolsäure von den Bakterien zu reinigen und nur in einem die Bakterien tödtenden Carboldunste den Verband vorzunehmen. Durch diese Methode ist besonders in den jüngsten Jahren in der kriegschirurgischen Praxis Tausenden und aber Tausenden von Menschen das Leben gerettet worden, ohne dieselbe wären viele der geretteten Verwundeten im russisch-türkischen Kriege dem Tode durch Blutvergiftung nicht entronnen.

Außer specifischen Heilmethoden ist es aber auch vornehmlich die sich immer mehr ausbreitende Lehre von der öffentlichen Gesundheitspflege, welche die Krankheitsursachen zu ergründen und dieselben zu beseitigen sucht. Reinhaltung der Luft und des Bodens, Beschaffung gesunder Wohnungen und gut ventilirter Schulräume, Canalisation der Städte, strenge Controle der Nahrungsmittel, besonders der Milch, des Weines, der Gemüse, der Fleischpräparate, sowie aller anderen zu Markte gebrachten Producte, Beschaffung gesunden Trinkwassers in den Städten sind die Aufgaben, welche die öffentliche Gesundheitspflege auf ihre Fahne geschrieben hat. Alles dieses wird dazu beitragen, die fäulnißerregenden Keime zu zerstören und epidemische Krankheiten von Stadt und Land fernzuhalten, besonders jene Seuchen, welche in früheren Jahrhunderten in Folge des engen Zusammenwohnens der Menschen und der dadurch bedingten enormen Vervielfältigung der Krankheitskeime mit einer solchen Heftigkeit auftraten, daß viele Städte die Hälfte ihrer Einwohner verloren und ganze Länderstriche entvölkert wurden.

Nachdem die so sehr gefürchteten und seither unerklärt gewesenen Begriffe „Contagium“ und „Miasma“ nun zum Theil als ein greifbares, durch das Mikroskop nachweisliches Etwas in den Ansteckungsorganismen erkannt worden sind, wird es der beharrlichen Forschung auch gelingen, allmählich die Träger der Ansteckungsstoffe, die Bakterien und Mikrokokken, zu vernichten.

Dr. St.




Vernünftige Gedanken einer Hausmutter.
Von C. Michael.
(Schluß.)


5. Unsere Kinder als der Eltern Erzieher.

Glaubt ihr etwa, unsere Kinder sind nur unsere Schüler? Nein, sie sind fast ebenso oft unsere Lehrmeister, und das Erziehungswerk zwischen Eltern und Kindern beruht mehr auf Gegenseitigkeit, als man gewöhnlich annimmt. Habt ihr nicht schon oft von einer Frau, welche einst eine vergnügungssüchtige, launenhafte, verwöhnte junge Balldame war, sagen hören: Wer hätte je gedacht, daß dies eine so gute Mutter werden könnte?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_065.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)