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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

No. 5.   1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.     
Irrende Sterne.
Novelle von Georg Horn.
(Fortsetzung.)


„Meiner Frau scheint es nicht mehr bei mir zu gefallen,“ sagte Erich der Freundin eines Tages.

„Herr von Rechting!“ rief diese erschrocken.

„Ja, ja. Ich muß es so annehmen – das Haus ist ihr zu kalt, zu feucht in dieser herbstlichen Jahreszeit. Sie friert, sie fiebert, sie fühlt sich krank – innerlich und äußerlich. O Regina, wenn eine Frau schwach und kleinlich ist, dann wird sie es gleich in einem Grade, daß Einem das Herz brechen möchte. Hätte Doris erfahren, daß ich verunglückt wäre, daß ihr guter Ruf verloren sei, sie würde es vielleicht ruhiger getragen haben. Aber da sie nur ihr Vermögen eingebüßt hat, Entbehrungen ertragen muß, da sie keine Pariser Roben mehr kaufen kann und jetzt nur soviel Wirthschaftsgeld besitzt, wie sie früher für Handschuhe gebrauchte – da möchte ihr das Herz brechen. O Regina, jeder Tag, jede neue Erfahrung mit Doris bringt mir Eines näher, eine furchtbare Wahrheit, so unausweichlich, wie Elend und wie Sterben – daß Doris mich doch nicht liebt.“

„Erich – Erich!“

„Ich weiß, was Sie mit diesem Anruf sagen wollen: daß ich mich einer Selbsttäuschung hingebe – daß Alles schwarze Laune, tiefer Unmuth. O täuschte ich mich doch! Wie glücklich wäre ich, glücklich zum Frohlocken! Aber – “ und er schlug mit der Hand auf sein Herz – „hier, hier sitzt es. Das hört am besten – das fühlt am ersten – das schmerzt am tiefsten. Wie ein dunkler Refrain des Schicksals tönt es mir da hinein: täusche dich doch nicht, armer Tropf! Sie liebt dich nicht. Der Brief, den ich an meinem Hochzeitstage erhalten – er hatte Recht.“

Bei Erwähnung des Briefes war es, als zuckte Regina plötzlich zusammen, und gleichzeitig schoß aus ihren großen Augen ein Strahl, der wie jähe Hoffnung, wie wilde Freude zu deuten war. Erich hatte nie von dem Briefe gesprochen – zu ihr nicht – zu Niemandem. Sie konnte davon nichts wissen, und doch schien sie ihn verstanden zu haben, so tief, daß ihr der Athem fast stockte, als er des Briefes erwähnte.

Sie fand bald einen Vorwand, sich vom Rechting’schen Hause loszumachen. Sie suchte das Freie; zwischen vier Mauern drohte sie zu ersticken. Wie sie mit großen, hastigen Schritten dahin eilte, die hohe Gestalt in dem weiten dunklen Anzuge – schien sie plötzlich eine Andere geworden zu sein. Das blasse Gesicht glühte, wie man es vorher nie an ihr gesehen hatte; die kalten, grauen Augen sprühten wie in Funken; die Brust rang nach Athem – die ganze Gestalt war von tiefer Leidenschaft bewegt. Sie eilte, um aus dem Häusermeer hinauszukommen, dahin wo Bäume rauschten, wo der hohe Himmel sich über ihr wölbte, wo die Menschen seltener, die Umgebungen freier und lichter wurden. Hier verlangsamte sie ihren Schritt; sie schien ruhiger geworden. Sie gewann ein Plätzchen, wo sie, von Zeugen ungestört, die weite Fläche eines Sees vor sich hatte. Ist doch für eine erregte Seele nichts beruhigender, als eine große Wasserfläche.

„‚Sie liebt mich nicht,’“ flüsterte Regina vor sich hin, wie Jemand, der sich eine frohe, glückverheißende Botschaft im Klange des Wortes verkörpern will. Wie in strahlender Glückseligkeit hoben sich ihre Blicke zum Himmel. Sie hatte das Wort erwartet seit lange; sie wußte, daß es eines Tages von den Lippen Erich’s kommen würde. Und nun hatte sie es vernommen. Hatte er es denn wirklich gesagt oder war es nur die eigene Sehnsucht – die Illusion des Herzens, die es ihr vorgezaubert hatte?

Sie liebte Erich – sie lag vor ihm im Geiste anbetend auf den Knieen. Sein erstes Erscheinen damals im Seebade hatte einen mächtigen Eindruck auf sie hervorgebracht. Er sah diese Liebe nicht – sein Herz war und blieb Doris, seiner Braut, zugewandt. In ihr ging all sein Liebeleben auf. Mit der Sonde der schärfsten Beobachtung trat Regina an das Verhältniß der Beiden hinan. Jeden Laut, jede Bewegung haschte sie mit ihrem eifersüchtigen, fast gierigen Auge, um irgend einen Anhalt der Hoffnung für sich zu finden, bis sie eines Tages mit sich zu dem Resultate gekommen war: Sie liebt ihn nicht.

In der Nacht vor dem Hochzeitstage schrieb sie mit verstellten, aber sicheren Zügen jenen Brief an Erich. Sie wäre gestorben, wenn sie ihrem Herzen nicht damit eine Genugthuung verschafft hätte. Und nun die Bestätigung aus seinem eigenen Munde, daß sie Recht hätte!

Wenn sich die Verhältnisse so weiter entwickelten, dann wurde diese Ehe auch unhaltbar. Eine Frau, sagte sich Regina, der die Lust am Luxus, am Vergnügen wie ein feiner Giftstoff innewohnt und alle gesunden und edlen Organe zu stören droht – die ist nicht durch Worte, nicht durch Bitten oder Mahnungen zu bekehren. Ihr kann nur durch Drang und Noth, durch den Gang bitterer Erfahrungen ein neues Geistesblut zugeführt werden – und nur einer Frau, die ihren Gatten liebt. Was aber dann, wenn die Beiden sich trennten? Ja, was dann! Erich hat den Fluch der Aeußerlichkeit empfunden. Wird er sein Herz nicht dem Gegensatze zuwenden, einem Wesen, das er achtet, das sein Vertrauen besitzt, wie sie, und konnte sie mit ihrem Aeußern nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_073.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2018)