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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

getrost neben die Jugend treten? Sie erhob sich mit einer hastigen Bewegung und schritt ganz nahe an das Wasser, das in seinem Spiegel ihr Bild reflectirte. Sehnsucht, Liebe, Freude, Glück und Hoffnung – Alles was in diesem Augenblicke in ihrer Brust zusammenströmte, hatten ihr Aeußeres umgewandelt, verjüngt, verschönt. Ihre hohe, herrliche Gestalt hob sich stolz, und ein leuchtender zu den Wolken sich hebender Blick sprach den Entschluß aus: Ja, ich will. – –

„Von unseren früheren Bekannten kennen uns nur wenige mehr, und wenn sie hier vorüberfahren und mich zufällig in meinem Gärtchen sitzen sehen, so betrachten sie schnell die hübschen Karyatiden am Nebenhause. Sie aber sind uns treu geblieben – das ist brav, edel von Ihnen, Herr Präsident.“

Mit diesen Worten empfing Doris den Genannten. Es war fast um dieselbe Zeit, wo wir Regina hinaus an den See gefolgt waren. Doris fühlte einen kräftigen Druck seiner Hand und zog, von einem brennenden Blicke getroffen, diese fast erschrocken schnell aus der seinigen, ihn halb vorwurfsvoll, halb verwundert ansehend.

„Ich komme heute eigentlich nicht zu Ihnen, gnädige Frau. Ich muß nothwendig Ihren Herrn Gemahl sprechen.“

Doris ging, um Erich von der Anwesenheit des Präsidenten zu unterrichten. Seine Blicke folgten ihr – heiß und verlangend.

Einige Minuten später saß der Präsident mit Erich in dem Arbeitszimmer desselben, das nur durch eine Portière von dem Wohnzimmer geschieden war. Erich bot dem Präsidenten eine Cigarre an. Dieser dankte, zog sein eigenes Etui und reichte es dem Assessor, der es aber höflich zurückwies mit der Bemerkung, daß er sich nicht in seinem eigenen Hause von einem Gaste regaliren lassen könne. Lideman verstand das nicht.

„Es sind keine Regalia – Ambalema,“ versetzte er.

Erich lehnte jedoch jede Aufforderung zum Rauchen ab, sodaß der Präsident zuletzt erklärte, ebenfalls darauf verzichten zu müssen.

„Es wird auch so gehen. Aber jedenfalls hätte das Gespräch oder vielmehr mein Vorschlag ein gemüthlicheres Gesicht bekommen. Sie sind Assessor, mein verehrter Freund – bitte, es soll kein Vorwurf sein – Sie sind immer der tüchtigste Arbeiter im Ministerium gewesen. Verzeihen Sie, wenn ich Sie frage – fassen Sie das nicht als Indiscretion – wie viel Gehalt beziehen Sie vom Staate?“

„So viel, um meine Familie anständig ernähren zu können,“ antwortete mit kurzem Tone Erich.

„Pardon, wenn die Frage ungeschickt war. Man ist darin in Deutschland empfindlicher, als zum Beispiel in England oder Frankreich, wo Jedermann die Marke seines Einkommen gleichsam am Hute trägt. Jedenfalls ist Ihr Einkommen nicht im Verhältnisse zu dem, was Sie dem Staate leisten.“

„Was wäre das für ein armseliger Ausgleich,“ versetzte Erich, wenn man überhaupt für das Gehalt diente, wenn man nicht Pflichten gegen sein Vaterland erfüllte, gegen seine Mitmenschen! Mein Beruf – Recht schaffen, Unrecht abwehren – war mir von Jugend auf eine Lust, ein Bedürfniß des Herzens. Ich hatte eine Leidenschaft für das Recht.“

„Was Sie da gesagt haben, das sind Aeußerungen, die eines so pflichttreuen Beamten, eines so ausgezeichneten Menschen wie Sie würdig sind,“ bemerkte Lideman. „Was würden Sie aber sagen, wenn ich Ihnen den Vorschlag machte, sich an unserem Bankunternehmen zu betheiligen?“

Ein ironisches Lächeln überflog die Züge des Assessors, und er begleitete dasselbe mit den Worten:

„Ich, der vermögenslose Assessor, an Ihrem Bankunternehmen? Wem Sie mir das vielleicht vor sechs Monaten gesagt hätten, wo das Vermögen meiner Frau noch existirte, würde es einen Sinn gehabt haben, aber nun –

„Sie mißverstehen mich, verehrtester Freund, ich fordere keine Capitaleinlage von Ihnen – und doch, eine sehr große: die Ihres Wissens. Sie sollen sich als Rechtsconsulent betheiligen. Ich biete Ihnen für Ihre Beteiligung, Ihre Thätigkeit, Ihre Mühen einen festen Gehalt von zwölftausend Mark und außerdem eine jährliche Tantième, die sich vielleicht auf eine gleiche Zifferhöhe anschlagen läßt. Was haben Sie mir darauf zu antworten?“

Rechting schwieg auf diesen Vorschlag, der ihm einen großen Theil des verlorenen Einkommens wieder in Aussicht stellte. Sein Schweigen war indeß kein Anzeichen seiner Theilnahmslosigkeit. Er dachte an Doris, und wie ihr diese Vermehrung seines Einkommens über so manche Mühen hinweghelfen, ihm so manchen Conflict ersparen würde. Lideman ließ ihm Zeit zur Ueberlegung. Er nahm eine Zeitung vom Tische und blickte hinein, aber nur scheinbar; seine Blicke waren über dieselbe hinweg scharf und fest auf Rechting gerichtet. So mochten fünf Minuten vergangen sein.

„Nun, ist Ihr Schweigen die einzige Antwort auf meine Offerte?“

„Ich weiß nur nicht, wie weit sich diese Art von Thätigkeit mit meinen amtlichen Pflichten vertragen würde,“ bemerkte Rechting nachdenkend.

„Sie werden nicht allzu viel zu thun bekommen, lieber Herr von Rechting. Bei einem so soliden Unternehmen, wie dem unserigen, herrschen einfache, klare Verhältnisse. Es war von Anfang an ein Grundsatz meiner Geschäftsthätigkeit, dem Rechtsanwalt nie viel zu thun zu geben. Wo dieser einmal seine Hand im Geschäft hat, da merkt man überall die Teufelsfinger. Ich würde z. B. nie einen Rechtsanwalt in mein Haus laden, aus Rücksicht für andere Gäste, von denen man ja nicht wissen kann, ob sie nicht durch irgend eine unangenehme Affaire mit ihm zusammenhängen. Aber verzeihen Sie diese Abschweifung! Ist Ihnen die Annahme einer Privatthätigkeit außer Ihrer amtlichen verboten?“

„Das nicht, aber meine Grundsätze könnten durch eine derartige Beschäftigung in Conflict kommen. Sie wissen, daß es in der kaufmännischen Usance Dinge giebt, die nicht für gesetzwidrig – ich will nicht sagen unehrenhaft – gelten, bei denen man noch als sehr coulanter Mann einhergehen kann, und welche doch mit einem difficilen Ehrgefühl, ich will nur sagen: mit streng juristischer Auffassung, sich nicht vertragen.“

„Ah, das klingt fast wie ein Mißtrauen, Herr von Rechting.“

„Bitte, das sollte es durchaus nicht sein. Ich halte Sie mit bestem Gewissen und aus gutem Grunde für einen Mann von Ehre, der nie etwas thun würde, was ihm zur Unehre gereichen oder wodurch er mit dieser meiner Ansicht in Widerspruch gerathen würde.“

„Mein einziger Zweck, mein lieber Herr Assessor, ist, mich dieses excellenten Kopfes zu versichern. Ich biete Ihnen zwanzigtausend Mark festes Gehalt.“

„Sie setzen mich wirklich in Verlegenheit, mein lieber Herr Lideman.“

„Es fällt mir gar nicht ein, Sie zu drängen; überlegen Sie sich die Sache! Ich bin einmal ein so komischer Kerl, der sich über nichts so sehr freut, als wenn es auch anderen Leuten gut geht. Niemand braucht von unserer geschäftlichen Verbindung etwas zu wissen. Sie haben mit meinem Comptoir gar nichts zu thun; Sie erlauben mir blos, daß ich Mittags ab und zu eine Tasse Kaffee oder Abends wieder wie sonst eine Tasse Thee bei Ihnen trinken darf, und da besprechen wir ganz gemüthlich unsere Sachen. Also zwanzigtausend Mark!“

„Nicht so laut! Lassen Sie das meine Frau nicht hören, denn sonst – Sie wissen ja doch, wie Frauen sind. Wer weiß, wozu Doris mich zu verleiten fähig wäre. – Allerdings das Verlorene wäre durch dieses Einkommen zum größten Theile gedeckt.“

Da rückte der Präsident seinen Stuhl näher an den Sitz des Assessors. Seine Stimme nahm einen vertraulichen Ton an.

„Wissen Sie denn, was auskömmliche Verhältnisse für den Frieden und das Glück einer Ehe bedeuten? Wissen Sie, warum Eva in Versuchung fiel? Weil ihr etwas ahnte von Feigenblatt- und Pelzkleidern, die danach kommen würden. Die Geschichte des Kleides ist die Geschichte des Weibes. Eva ist ein Name für alle Reize, alle Tugenden, alle Schwächen des Geschlechtes; der Apfel aber das Symbol für das runde, rollende, verführerische Gold, welches seine Macht auf alle unsere Evatöchter mit ihren unergründlichen Bedürfnissen ausübt. Kann es ihnen der Mann nicht bieten, nehmen sie es, woher sie es bekommen – und wäre es auch von der Schlange.“

„Sie entwickeln da Ansichten über das schöne Geschlecht, vor denen mancher Mann zurückschaudern müßte, wenn er eben nicht bessere Erfahrungen gemacht hätte. Sie müssen viel Schlimmes erlebt haben, daß sich bei Ihnen solche Anschauungen von Eheglück,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_074.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)