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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


Der Polizeimann nickte wieder. „Haben Sie Gelegenheit gehabt, seinen Charakter kennen zu lernen?“

„Leider, ja. Er war genußsüchtig und heißblütig.“

Mr. Carpe schien befriedigt. Sein vorher unzufriedenes Gesicht hatte sich außerordentlich erhellt.

„Es ist gut,“ sagte er ruhig, „ich denke, ich habe etwas gefunden. – Lassen Sie morgen,“ fuhr er fort, indem er Herrn Burting einige Papiere übergab, „diese Depeschen zu den dabei angegebenen Zeiten nach Elmira und Buffalo abgehen; nach den Antworten, welche ich den Filialen bereits vorgelegt habe, werde ich bald gefunden haben, an welcher Stelle ich angreifen muß. Im Uebrigen benutzen Sie von dieser Stunde an zu Ihren wirklichen Geschäftsdepeschen Nummer dreizehn! – Sie werden mich begleiten?“ wandte er sich an William.

William bejahte. „Dieser Herr hier,“ fügte er auf mich deutend hinzu, „wird auch mitreisen, und außerdem gedenke ich unseren schwarzen Tim mitzunehmen.“

„Gut,“ sagte der Agent. „Für einige Waffen bitte ich sorgen zu wollen,“ setzte er hinzu.

Mir klopfte das Herz. Wenn der Sicherheitsbeamte das Mitnehmen von Waffen auf der Linie des Erie-Railway empfahl, so mußte man auf eine ernste Wendung der Sache gefaßt sein. Wir bestiegen noch gegen Abend wohlbewaffnet den prachtvollen Pullmann and Wayner Car, einen jener Schlafwaggons, die gleich kleinen Zauberpalästen dem Reisenden alle nur erdenklichen Annehmlichkeiten bieten, und wachten, ohne von der riesigen Schnelligkeit eines amerikanischen Nachtschnellzugs in den weichen Kissen und dem sanftrollenden Wagen das Mindeste verspürt zu haben, früh in Buffalo auf.

Unser gleichgültig dreinschauender Polizeiagent schien seinen Feldzugsplan schon völlig geordnet zu haben, denn kaum waren wir angekommen, so wurden auch schon wieder Billets zur Heimfahrt gelöst, das Frühstück im Waggon eingenommen, und nun begann der Mann eine eigenthümliche, geschäftige Thätigkeit.

Auf den größeren Stationen, wie Attika, Portage, Hornellsville-Corning, stieg er aus, um nach wenigen Augenblicken wieder zu erscheinen und ruhig mit uns weiter zu fahren. Da wir uns nicht erklären konnten, was er in den wenigen Secunden des Aufenthalts Ersprießliches ausrichte könne, so erfüllte William den mir sicherlich auf dem Gesichte stehenden Wunsch und befragte den kleinen Mann darum, als wir gerade die Strecke von Elmira nach Waverly allein im Coupé dahinrollten.

Dieser blickte gleichmüthig auf.

„Ihr Papa läßt die von mir ihm übergebenen Depeschen zu den vorgeschriebenen Zeiten nach Buffalo und Elmira abgehen. Die Antworten darauf sind von mir Ihren Filialen schon bei meiner ersten Reise übergeben worden, und an jeder neuen Station bringt mir ein untergeordneter College die daselbst durchgegangene Depesche, aus der ich ersehe, ob sie durch falsche Hände gegangen ist. Bis jetzt ist keine verändert, und wir sind deshalb noch nicht zur Stelle.“

Mr. Carpe lehnte sich wieder zurück und rauchte gemüthlich seine Cigarre weiter. Ich maß den kleinen, unscheinbaren Mann mit verwunderten Blicken, erstaunt über die Sorgfalt, mit der er sein Werk vorbereitet hatte. Seine Anordnungen, seine Antworten geschahen alle mit solcher Präcision, er schien seiner Sache schon so gewiß zu sein, daß er auch nicht im mindesten irgend eine Unruhe verrieth.

Jenseits Waverly nähert sich der zwischen Susquehanna und Deposit die Eriebahn kreuzende östliche Arm des Susquehannaflusses mehrmals der Bahn, um sie dann in weiteren Bogen wieder zu verlassen. Der Agent, der sonst für nichts eine merkliche Theilnahme äußerte, schien hier geologische Studien machen zu wollen, denn seine grauen Augen begannen die Gegend höchst genau zu mustern und erglänzten in einer Regsamkeit, daß ich William Recht geben mußte, wenn er gesagt hatte, der Mann habe Augen, so scharf wie ein Adler. Dieselben waren überall und schienen Alles zu sehen.

Wir hatten mehrere Stationen wieder passirt und in Deposit war Mr. Carpe wieder ausgestiegen. Er verweilte diesmal etwas länger, und schon wurde das Zeichen zur Abfahrt gegeben, als er plötzlich an den Wagen geeilt kam und uns hastig zuwinkte, auszusteigen. Wir fuhren wie elektrisirt von unseren Sitzen empor; im nächsten Augenblick sauste der Zug ohne uns dahin, in der Richtung nach New-York. Die Blicke des Kleinen sprühten; er hatte offenbar eine Entdeckung gemacht.

„Wir sind am Ziele,“ sagte er leise und kurz; „die Depesche ist verändert; bis Susquehanna müssen wir zurückfahren.“

Dies geschah bereits in der nächsten Stunde, und der schweigsame Mann sprach während der Fahrt kein Wort mit uns, sondern musterte aufmerksam die beiden Seiten der Bahn. Als wir in Susquehanna anlangten, war der Tag im Sinken.

„Ruhen wir!“ sagte der Agent im gleichgültigsten Ton der Welt, „wir haben morgen einen scharfen Ritt vor uns.“

Es war noch sehr früh am andern Tage, als Mr. Carpe uns weckte. Die Sonne war noch nicht aufgegangen; es herrschte eine halbe Dämmerung.

„Wir müssen eilen,“ bemerkte er kurz, und bereits nach einer halben Stunde saßen wir in den Sätteln, und die[1] Pferde trabten munter in den frischen Morgen hinein.

Wir waren etwa zwei Stunden dahingeritten, der kleine Mann, wie ein Knabe auf dem hochbeinigen Rosse, immer voran, schweigend, die spähenden Augen bald rechts, bald links gewendet – da hielt er plötzlich an und ließ uns nachkommen.

„Hier müssen wir absteigen,“ sagte er einfach, und dabei war er bereits von seinem Pferde gesprungen und warf dem schwarzen Diener Tim die Zügel zu.

Wir sahen einander verblüfft an. Hier zwischen Feld und Wald, fern von allen menschlichen Wohnungen – was hatte das für einen Sinn? Mr. Carpe bemerkte es und lächelte.

„Kommen Sie nur, aber bitte ohne Geräusch. – Du,“ wandte er sich an den Neger, „folgst leise mit den Pferden unserer Spur, und wo ich einen Zweig abbreche, bindest Du die Thiere fest und wartest auf uns! Schnell, meine Herren!“

(Schluß folgt.)



Hünensteine im Oldenburgischen.
Von L. Strackerjan.

Das Stückchen nordwestdeutscher Tiefebene, welches in dem Herzogthume Oldenburg politisch zusammengefaßt ist, hat wenig Reste mittelalterlicher Baukunst von Bedeutung aufzuweisen, dafür aber in großer Zahl Denkmäler einer Baukunst, die weit über das Mittelalter zurückreicht: die Hünensteine und Hünenbetten.

Besonders reich an solchen Alterthümern ist die Umgegend von Wildeshausen, einem Städtchen, das für die Heimath Wittekind’s, des berühmten Sachsenherzogs, gilt, und das wohl zweifellos zu den Besitzungen seiner Familie gehört hat. Im Umfange weniger Stunden liegen hier über zwanzig Steinmäler und Hunderte von Todtenhügeln. Am meisten bekannt und aufgesucht sind von den Mälern die „Visbeker Braut“, der „Visbeker Bräutigam“ und der „Opfertisch“ von Engelmannsbeke. In der That verdienen sie diese Auszeichnung, weil sie die großartigsten, wenn auch nicht in allen Stücken besterhaltenen sind. Seit die Eisenbahn von Oldenburg nach Osnabrück eröffnet ist, läßt sich der Besuch von Oldenburg, Bremen, Leer, Osnabrück aus mit Bequemlichkeit in einem Tage ausführen. Von der Bahnstation Ahlhorn beträgt die zurückzulegende Wegstrecke kaum vier Stunden, und es bleibt für Beschauung und Ausruhen Zeit genug übrig. Der Ausflug bietet zugleich dem Reisenden, der vom Gebirge oder aus fruchtbaren Ebenen kommt, Gelegenheit, von der Haide ein genaueres und, wie ich glaube, angenehmeres Bild zu gewinnen, als er aus Erzählungen oder vom Bahnwagen aus sich geschaffen. Ich will versuchen, den Führer zu machen.

Auf der Chaussee, die von der Station Ahlhorn nach Wildeshausen führt, begeben wir uns zunächst zur Visbeker Braut. Fast geradlinig, in langgestreckten Schwellungen und Senkungen zieht sich die Straße zwischen Föhren und Birken

  1. Vorlage: unddie
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_119.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)