Seite:Die Gartenlaube (1879) 167.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

der Fläschchen ist lang und dünn und wird oben zugeschmolzen. In einem geeigneten Apparat werden dieselben nun wenigstens mehrere Stunden erhitzt und zwar einige Grad über den Siedepunkt des Wassers, um Alles, was Leben oder Lebenskeim heißt, durch die Hitze zu zerstören. Sobald die Fläschchen dann bis auf Blutwärme abgekühlt sind, wird die Spitze abgebrochen und ein wenig von dem gesammelten Thau hineingegeben. Dünne Haarröhrchen aus Glas, die kurz vorher ausgeglüht waren, taucht man in den zu untersuchenden Tropfen, von dem ein Theil nach dem physikalischen Gesetze der Haarröhrchenanziehung aufgesogen wird. Dieses Röhrchen wird rasch in die Glasflasche geworfen, welche sofort wieder in der Flamme der Gebläselampe zugeschmolzen werden muß. Etwa fünf Flaschen werden als Saatäcker benutzt und in der beschriebenen Weise mit Aussaat versehen, während fünf andere unberührt bleiben, um zur Controlle zu dienen.

Enthielt nun die zu untersuchende Luft Keime von Fäulniß erregenden Organismen, so trübt sich der Inhalt der Flaschen nach einigen Tagen, und wenn dann ein Tröpfchen der trüben Flüssigkeit mit dem Mikroskop geprüft wird, so zeigen sich in demselben Millionen jener Organismen, die wegen ihrer Stäbchenform Bakterien (siehe Nr. 4 d. J.) genannt worden sind. Die gesammelten Keime, welche als solche mit absoluter Sicherheit nicht unterschieden werden konnten, haben sich in der Nährflüssigkeit zu ausgebildeten Individuen ihrer Gattung entwickelt und eine Nachkommenschaft erzeugt, deren Anzahl eine erschreckende ist und die rückwärts darauf schließen läßt, daß ihre Keime in der Luft vorhanden waren, welche zur Untersuchung diente. Tritt ferner in den zugeschmolzenen, nicht geöffneten Fläschchen keine Trübung – keine Entwickelung von Organismen ein, so erhält dieser Schluß eine zweite, durch das Experiment erhärtete Begründung.

Diese Methode leidet nun aber freilich an einem großen Fehler, der darin seinen Grund hat, daß beim Abbrechen der Spitze etwas Luft in das Fläschchen dringt und daß diese Luft Keime enthalten kann, welche sich entwickeln, und deshalb kann eine Luft, welche keine Keime enthält, in den Verdacht der Schädlichkeit gelangen, welchen sie von Rechtswegen nicht verdient. Ferner ereignet es sich, daß in den Controllflaschen trotz aller Vorsichtsmaßregeln die Entwickelung von Organismen stattfindet, ein Umstand, der nur dadurch erklärt werden kann, daß Keime in die Flüssigkeit hineingeriethen, welche die Siedhitze vertrugen, ohne der Zerstörung anheim zu fallen.

Professor Cohn in Breslau hat gefunden, daß Keime von Bacillus (einer Bakterienart) eine dreitägige Erwärmung auf achtzig Grad ertragen können, ohne das Vermögen der Weiterentwickelung einzubüßen. Andererseits zeigte Herr A. Frisch, daß auf Bakterien und andere niedere hierher gehörende Organismen eine Kälte von siebenundachtzig Grad unter dem Gefrierpunkt in keiner Weise vernichtend einwirkte. Im Gegenteil, die Bakterien vermochten, nachdem das Gemach von fester Kohlensäure und Aether, welches den erwähnten Kältegrad erzeugt, aufgethaut war, fröhlich in geeigneter Nährflüssigkeit weiter zu vegetiren.

Nun sind die Bakterien, Vibrionen und andere ähnliche Organismen, welche pflanzliche und thierische Substanzen in Fäulniß versetzen, noch durchaus nicht als die alleinigen Krankheitserreger anzusehen, zumal sie nicht unter allen Umständen, sondern nur dann schädlich wirken, wenn im lebenden Körper solche Bedingungen vorhanden sind, welche ihre Weiterentwickelung befördern.

Die Miasmen des gelben Fiebers, des Wechselfiebers, der Malariakrankheit, des Typhus, der Cholera sind noch nicht mit genügender Sicherheit ermittelt, man weiß vorläufig nur, daß die Luft sie übertragen kann, daß sie die Luft vergiften. Es werden jedoch die Wege, welche zur Auffindung der Bakterien dienen, auch hier zu Resultaten führen, zumal angenommen werden muß, daß die Miasmen organisirt sind, sich weiter entwickeln und gezüchtet werden können, denn dieselben Desinfectionsmittel, welche die Bakterien und Consorten tödten, pflegen auch die Miasmen unschädlich zu machen.

Von Wichtigkeit ist nun weiter die Frage: auf welche Weise die schädlichen Organismen aus faulenden Flüssigkeiten, aus den Sümpfen, Gräben und Cloaken in die Luft gelangen, denn an die Beantwortung derselben knüpfen sich die Maßregeln, welche zum Schutze gegen das Luftgift in Betracht gezogen werden können.

Herr E. Frankland hat zu diesem Zwecke Untersuchungen angestellt, welche auf folgenden Beobachtungen fußen:

Der Ausbruch der asiatischen Cholera in Southampton im Jahre 1866 wurde von Professor Parkes auf die Verbreitung von inficirter Cloakenflüssigkeit durch die Luft zurückgeführt, da nachweisbar die Entleerungen einiger mit einem Dampfschiffe gelandeter Cholerakranker in den Abzugscanal gelangt waren. In diesem Falle wurde die Verbreitung des Giftes durch das Auspumpen der inficirten Flüssigkeit und das Entleeren derselben in einen offenen Canal von acht Fuß Länge veranlaßt. In den anliegenden reinen und luftigen Häusern brach wenige Tage, nachdem das Pumpen begonnen, eine heftige Epidemie asiatischer Cholera aus, an der 107 Personen starben. Gleichwohl wurde das Auspumpen während 14 Tagen Tag und Nacht hindurch fortgesetzt. Schließlich brachte man an die Stelle der offenen Leitung eine geschlossene Eisenröhre, und von diesem Tage an nahm die Zahl der Erkrankungen ab, sodaß innerhalb einer Woche nach dem Bedecken der Leitung die Epidemie erloschen war.

In diesem Falle war die Verbreitung des Giftes in der Luft nicht schwer zu erklären, aber keineswegs wurde damit die Frage gelöst, auf welche Weise kleine Organismen oder die Keime derselben aus stehendem, ruhigem Wasser den Weg ist die Luft finden, da ihnen Flugapparate selbstredend fehlen. Herr Frankland bediente sich zur Beantwortung dieser Frage eines Stoffes, der mit Leichtigkeit in den kleinsten Mengen erkannt werden kann und zwar durch den Spectral-Apparat. Es war dies das Chlorlithium, von dem eine Spur die Flamme roth färbt und im Spectroskop eine charakteristische rothe und eine gelbe Linie erkennen läßt. Er löste das Salz in Wasser auf, welches sich in einem Becherglase befand, und rührte es mit einem Stäbchen heftig um. Wenn nur ein hunderttausendstel Milligramm Chlorlithium in die Luft übergegangen wäre, hätte es im Spectroskop erkannt werden müssen. Es zeigte sich jedoch keine Spur desselben. Selbst als ein kräftiger Luftstrom – dem Winde gleich – über die Chlorlithium-Lösung geleitet wurde, ergab sich, daß wohl das Wasser der Lösung verdunstete, aber kein Lithium mit fortgerissen wurde. Hierauf warf Herr Frankland Marmorstücke ist die Lösung und fügte Salzsäure hinzu, worauf sich Kohlensäure entwickelte, die in Gestalt neuer Blasen an die Oberfläche drang. Sofort ließ sich Lithium in der Luft oberhalb des Gefäßes erkennen, ja es gelang, diese Luft durch einen schwachen Zug einundzwanzig Fuß weit fortzuführen, ohne daß der Gehalt an Lithium merklich abgenommen hätte.

Wenn wir eine in Fäulniß begriffene Flüssigkeit betrachten, so finden wir, daß sie meistens Gasblasen entwickelt, schaumig ist und sich daher ähnlich verhalten muß, wie die Chlorlithium-Lösung in dem letztgenannten Versuche des Herrn Frankland. Es kommt also darauf an, daß zur Fäulniß geeignete Flüssigkeiten aus dem Bereiche menschlicher Wohnungen geleitet werden, ehe sie wirklich in Fäulniß gerathen, Gasblasen entwickeln und die in ihnen enthaltenen Organismen, Keime etc. der Luft übermitteln. Somit giebt Frankland’s Untersuchung einen Fingerzeig für die Anlage von Canalisationen, bei denen jedes Stagniren ihres Inhaltes vermieden werden muß.

Ferner ist die Entwässerung sumpfiger Gegenden ein Gegenstand, der Aufmerksamkeit verdient, sobald in der Nähe derselben sich Wohnstätten der Menschen befinden. In wärmeren Strichen hat sich der Anbau eines australischen Baumes, des Eucalyptus globulus (siehe „Gartenlaube“ 1876, Nr. 5), in Sümpfen bewährt, denn dieser rasch wachsende Baum verwandelt in kurzer Zeit den Sumpf in einen luftreinigenden Wald. Auch unsere bekannte Sonnenblume ist hier zu nennen, indem sie ungesunde Sumpfstrecken zeitweilig in Culturland umwandelte. Frische, kräftige Vegetation arbeitet der Vermehrung niederer Organismen entgegen, da sie die Stoffe in ihren Kreislauf zieht, welche jene zu ihrer Existenz bedürfen, und so das Recht des Stärkeren zur Geltung bringt. Der Boden der Urwälder entwickelt in den ersten Jahren seiner Urbarmachung fiebererzeugende, den Ansiedlern oft verderblich werdende Miasmen, weil das bisherige Verhältniß zwischen Bodenfeuchtigkeit und der Vegetation gestört wurde. Sobald aber Getreide und Culturpflanzen gedeihlich sprießen, stellt sich die alte Ordnung wieder ein, Gifte und Gegengifte liegen in der Natur neben einander; die Aufgabe des Menschen ist, beide zu erkennen, damit er dem einen wehre, indem er sich das andere dienstbar macht.

Julius Stinde.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_167.jpg&oldid=- (Version vom 16.5.2023)