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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Ob zu Lande oder zu Wasser, weiß ich nicht – ’s kümmert auch Keinen. Mit mir nehme ich an Geld und Sachen nicht mehr, als ich gebrauche, um an mein Ziel zu gelangen,“ und wiederum erschreckte sein herbes Lachen den jungen Seemann. „Sollte der Klaas sich in dem Schluchthause zeigen, so bist Du Mannes genug, ihn vor die Thür zu werfen; denn an die Habe der Kordel hat er nicht die leisesten Ansprüche, ebenso wenig an Euer Mitleid. Verschwindet er nicht gutwillig von der Insel, so ruft die Gerichtsbarkeit gegen ihn auf! Doch es wird nicht nöthig sein. Ich kenne ihn; er wird sich auf meine Spuren begeben, um mich einzuholen – es soll ihm schwer genug gemacht werden – nein, ich will’s ihm sogar erleichtern, damit er von hier fortkommt, bevor er seine Geheimnisse in die Welt hinausgeschrieen hat – doch das ist meine Sache – beeile Dich jetzt, heimzukehren! Es ist kalt und feucht hier, und wir Beide haben mancherlei zu überlegen, bevor es Tag wird.“

Er erhob sich und schritt nach dem Boote des Bertus hinüber. Dieser folgte ihm.

„Ich habe Dir nichts mehr zu sagen,“ rief Seiling, und die Hand auf’s Boot legend, wartete er darauf, daß Bertus auf der anderen Seite ähnlich verfuhr; „was Du sonst noch wissen möchtest, erfährst Du früh genug. Noch ein Wort: von dem, was ich Dir heute anvertraute, machst Du nur im dringendsten Nothfall Gebrauch. Ist Dir’s möglich, die Kordel als Kordel Seiling zu freien und das Geheimniß dereinst mit in die Erde zu nehmen, so ist’s um so besser für alle Theile. Noch einmal, Bertus,“ und seine Stimme zitterte, indem er diesem über das Boot hin die Hand reichte, „daß ich Euch Beide segne, ist selbstverständlich, und ich habe lange und schwer genug gesühnt, um glauben zu dürfen, daß mein Segen Euch nicht zum Fluche wird – und nun: ahoi!“

Fest lehnte er sich gegen das Boot. Bertus, wie betäubt durch die jüngsten Erfahrungen und das unheimlich sorglose Wesen Seiling’s, folgte seinem Beispiel. Eine heranrollende Woge erleichterte ihnen die Arbeit, Bertus sprang in das Boot, und eine Ruderstange handhabend, gelangte er bald weit genug, um das Segel stellen zu können. Ein letztes Lebewohl wurde gewechselt, und nach einigen Minuten verschwand das kleine Segel ist der Dunkelheit.

Seiling hatte wieder auf der Geröllanhäufung Platz genommen. Nur kurze Zeit saß er dort. Dann schlich er heimwärts.




8.

Peter Seiling’s Barometer hatte richtig prophezeit gehabt: am folgenden Tage blies eine scharfe Kühlte von der Spitze der Landzunge herüber. Schwarzes Gewölk beschleunigte den Einbruch des abendlichen Dunkels, und wer nicht hinaus mußte, saß im behaglichen Geplauder mit den Hausgenossen hinter verschlossenen Thüren und Fenstern. Nur ein Mann weilte draußen im Wettergebraus. Als hätte er besonderes Wohlgefallen an dem Tosen des erbitterten Elementes, war er zur Zeit des sich schnell verdichtenden Zwielichtes aus der bekannten Schlucht getreten. In der linken Hand trug er eine leichte Reisetasche; mit der rechten stützte er sich matt auf seinen Stock. Die Dämmerung verschleierte die weißen Brauen, den weißen Bart und die todtenbleichen Züge Peter Seiling’s. Vor der Schlucht auf dem Strande blieb er stehen. Wie unentschlossen über die einzuschlagende Richtung, spähte er aufwärts und abwärts. Erst als er eine Gestalt zu erkennen glaubte, welche zwischen ihm und dem Dorfe vorsichtig den Schatten der Strandhöhen suchte und, augenscheinlich ihn beobachtend, die eigenen Bewegungen nach den seinigen abmaß, kehrte er sich langsamen Schrittes der Einbuchtung zu. Bevor die Gestalt durch die Dunkelheit seinen Blicken ganz entzogen wurde, überzeugte er sich mehrfach, daß sie ihm folgte und allmählich näher rückte. So gelangte er um den nächsten Vorsprung herum, wo, bedingt durch den Schutz der Landzunge, die Brandung eine mäßigere war. Eine Wanderung von zehn Minuten brachte ihn an die Stelle, auf welcher Bertus bei rauhem Wetter die Kordel an’s Land zu setzen pflegte. Mehrere Fischerböte waren daselbst vor der erwachenden Kühlte geborgen worden. Auch Seiling’s Boot lag dort, hatte aber als Unterlage zwei runde Hölzer erhalten, sodaß er nur den es stützenden Geröllblock zu entfernen brauchte, um es durch einen leichten Stoß in die Brandung und, unter der Wirkung des nach vorne drängenden Gewichtes, über dieselbe hinauszusenden.

Als Seiling eintraf, war es bereits so dunkel, daß in der Entfernung von fünfzig Ellen die Umrisse aller Gegenstände mit den nächtlichen Schatten zusammenfielen. Ohne Säumen warf er die Reisetasche in das Boot, worauf er den Mast einsetzte und das dicht gereffte Segel so befestigte, daß es nur des Oeffnens einer Schleife bedurfte, um es sofort dem Winde preiszugeben. Auch das Steuerruder hing er ein, dafür Sorge tragend, daß es beim Hinabschießen von dem Uferabhange nicht hinderte oder zerbrochen werden konnte. Wie um dem Fahrzeug dadurch erhöhte Widerstandskraft zu verleihen, zog er die zum Anschließen bestimmte Kette unterhalb des Steuergriffes hin von Bord zu Bord. Deren loses Ende mit dem Ringe und dem Vorhängeschloß, in welchem der Schlüssel steckte, legte er unter die Steuerbank. Mit Bedacht prüfte er Alles noch einmal; nachdem er sich überzeugt hatte, daß an der Zurüstung nichts fehlte, sprach er wie in Gedanken, jedoch ungewöhnlich laut vor sich hin:

„So wird’s gehen, ja, so wird’s gehen. Es hat schon Mancher eine weite Reise mit geringeren Mitteln angetreten.“

„Also eine Reise willst Du antreten?“ fragte Klaas, neben ihm aus dem Dunkel auftauchend, und er legte seine Hand auf Seiling’s Schulter, „aber des Teufels will ich sein, wenn Du mir heute wieder durch die Finger gleitest.“

„Wer behauptet, daß ich Dir durch die Finger gleiten möchte?“ fragte Seiling ruhig zurück, „habe ich etwa meinen Aufbruch verheimlicht?“

„Nein das hast Du nicht,“ höhnte Klaas grimmig, „packtest wenigstens die Reisetasche unter meinen Augen. Konnte bei dem Wetter nicht anders denken, als Du wolltest landeinwärts kreuzen. Jetzt seh’ ich freilich, wie die Sachen stehen. Zu dem Bertus willst Du hinüber, und von dort wer weiß, wohin. Meinst, wenn Du aus dem Wege bist, sei’s vorbei mit mir auf dieser Insel. Aber ich bin der Mann für Dich; verlaß’ Dich drauf!“

„Du sollst mich nicht hindern, wenn’s mir gefällt, den Bertus zu besuchen,“ erwiderte Seiling in herausforderndem Tone.

Er schritt um das Boot herum, und sich bückend, schob er den Geröllblock zur Seite. Dann, bevor Klaas seine Absicht ahnte, ergriff er mit beiden Händen den Rand des Bootes, welches sich auf den ersten Druck sogleich in Bewegung setzte.

Klaas hatte offenbar erwartet, daß das Flottmachen nur unter großer Anstrengung möglich, errieth indessen schnell, welcher Mittel Seiling sich bediente. Mit einem tollen Fluche packte er das Boot auf der andern Seite, um es in seinem Lauf zu hemmen, allein auf dem abschüssigen Uferrande überwog dessen Gewicht seine Kräfte bei Weitem. Einige Schritte wurde er mit fortgezogen, sobald er aber gewahrte, daß Seiling sich in das Boot hineinschwang, folgte er in blinder Wuth seinem Beispiel, und in der nächsten Secunde wurden sie durch einen brausenden Schaumberg hindurch getragen. Gleichzeitig traf der heftige Wind das von Seiling’s Hand gelöste Segel, und anstatt von der nächsten Woge auf den Strand zurückgeworfen zu werden, schoß das leichte Fahrzeug nach derselben hinauf.

„Der niederträchtigste Schurkenstreich, der je von einem Mörder ausgeführt wurde!“ brüllte Klaas, nachdem er auf der andern Seite der Brandung das Gleichgewicht zurückgewonnen hatte, „aber Du sollst mir’s bezahlen, und müßte ich selber dafür in Ketten liegen.“

Seiling hatte auf der Steuerbank Platz genommen.

„Soll ich umkehren?“ fragte er spöttisch.

„Um im tiefen Wasser zu kentern und zu schwimmen, wie ’n Zehncentneranker?“ tobte Klaas wiederum auf dem Gipfel seiner Wuth.

Das waren die letzten Worte, die ein Mann, der am Ufer stand, noch vernahm. Es war Bertus. Er stand da, wo eben das Boot noch gelegen hatte. Auf dem Landwege nach dem Schluchthause – denn der See hatte er sich bei dem Wetter nicht anzuvertrauen gewagt – hatte er die Stimmen der beiden Männer erkannt. Unheil ahnend, war er herbeigeeilt und kam gerade früh genug, um das Boot wie einen Schatten in dem Schaum verschwinden zu sehen. Athemlos starrte er dahin, von woher die Stimmen zuletzt zu ihm gedrungen waren. Ihm fehlte die Geistesgegenwart, seine Nähe kund zu geben. Und was hätte sein Ruf auch geholfen? Niemand kannte das Fahrwasser besser als er, es wußte aber auch Keiner genauer, als er, was eine Fahrt bei einem solchen Wetter in schwarzer Nacht bedeutete. Und

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