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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Hochfläche dagegen, die den bei weitem größten Theil des Landes einnimmt, gedeihen alle Produkte kühlerer Zonen: Eichen und Nadelhölzer, Gummibäume und Akazien, europäische Obstbäume und Gemüse, süd- und mitteleuropäische Getreide-Arten. Und die noch höher liegenden Gebirgsländereien bieten dem Wanderer die malerischsten Alpenlandschaften und eine erfrischende gesunde Bergluft.

Die westliche Seite der Colonie wird von den Drachenbergen wie von einem unübersteiglichen Grenzwalle eingefaßt. Dieselben erheben sich an einzelnen Stellen bis zu 9000 und 10,000 Fuß Meereshöhe und sind nur an vier Plätzen mittelst schmaler Engpässe passirbar. Die allmählich und stufenweise sich senkenden Abhänge dieses gewaltigen, alljährlich auf seinen höheren Gipfeln drei bis vier Monate lang mit Schnee bedeckten Gebirges sind gesegnet mit den vorzüglichsten Weidegräsern, welche den australischen an Gesundheit und Nahrhaftigkeit nicht nachstehen. Ueber dem ganzen mittleren Plateau des Landes wogen die grünen Wellen eines endlosen Grasoceans, der zu gewissen Jahreszeiten sich in einen unabsehbaren bunten Blumenteppich verwandet.

Der südafrikanische Charakter der Landschaft zeigt sich neben anderen Eigenthümlichkeiten hauptsächlich auch in der absoluten Menschenleere und in dem Mangel an menschlichen Wohnungen. Und doch könnte das Land Natal eine zahlreiche Bevölkerung ernähren! Der Generalfeldmesser der Colonie hat berechnet, daß die wilden Gräser, die hier jedes Jahr dem Boden entsprießen und immer von Februar bis April abgebrannt werden, einen Nahrungswerth repräsentiren, welcher, verwertet durch Viehzucht, hinreichen würde, um eine Anzahl von 12 Millionen Menschen zu ernähren. Zur Zeit leben in der Colonie Natal freilich nicht mehr als 20,000 Weiße und 350,000 Schwarze. Jedoch trotz der relativ so großen Zahl der letzteren, die zu 70 Procent der urkräftigen und kerngesunden Race der Zulus angehören, ist die allgemeine bittere Klage der weißen Ansiedler der alle Thätigkeit und allen Unternehmungsgeist lähmende Arbeitermangel in der Colonie. Derselbe ist so groß, daß der fruchtbare tropische Küstengürtel nur mit Hülfe importirter indischer Kulis bebaut wird, und daß auch die jetzt in Bau befindlichen Eisenbahnen ohne aus Indien und China eingeführte Arbeitskräfte niemals vollendet werden könnten. Der Zulukaffer hat zwar principiell nichts dagegen, auf einige Zeit seinen heimatlichen Kraal zu verlassen und mit einem Pflanzer oder Farmer, oder auch mit einer Eisenbahngesellschaft einen Dienstcontract abzuschließen. Aber es ist gegen seine Neigungen, stetig und ununterbrochen ein reguläres Arbeitsquantum zu liefern, das ihm der Colonist oder die Eisenbahngesellschaft natürlich zumuthen muß. Bei der kleinsten Caprice, wegen des leisesten Vorwandes, überhaupt jederzeit wenn ihn die Lust dazu anwandelt, läuft der Zulu weg und nach Hause, und dies am liebsten gerade dann, wenn Saat, Ernte, Schafschur seine Dienste am notwendigsten erheischen. Und an Wiedereinfangen des entlaufenen Schwarzen ist nie zu denken, eine Bestrafung überdies in seinem entfernten Kraale fast unmöglich, denn beides würde mit solchen Umständlichkeiten, Zeit- und Geldverlust verknüpft sein, daß kein Farmer je daran denken wird, den Flüchtling verfolgen zu wollen. Im günstigsten Falle bleibt der Zulu so lange bei seinem Dienstherrn, bis er sich genug Geld erworben hat, um eine Frau zu kaufen. Dann aber rennt er sicher weg und lebt von nun an als Grand Seigneur, oder man möchte lieber sagen: als Frauen-Rentier. Denn nunmehr ist es seine arme Frau, die alle Arbeiten für ihn verrichten muß. Sie hat alle Feldarbeit, acht Monate hindurch, und ohne Sonntagsunterbrechung, mit Hacke und Picke zu machen, desgleichen Gras (zum Eindecken der Hütten), die Kornernte, Feuerholz und Wasser in den Kraal einzutragen und nebenbei noch die Küche und die Kinder zu versorgen.

Es ist sehr natürlich, wenn bei solcher ungebührlichen Arbeitsüberladung jede erste Frau den sehnlichsten Wunsch hat, daß ihr Eheherr ihr baldmöglichst eine zweite und dritte beigesellen möge, damit ihre Arbeitslast getheilt und erleichtert werde. Der Mann besorgt nur einige wenige bestimmte Arbeiten; er stellt das Zweiggerippe für den Hüttenbau her; fällt Holz, errichtet aus Distelbüschen und dichtem Strauchwerk die Feld- und Gartenfenzen und beaufsichtigt das Vieh auf der Weide und im Kraal. Den Rest seiner vielen Zeit bringt er in süßem Nichtsthun und in der Sonne liegend, in Besuchen und Schwatzen, Rauchen und Jagen und in der klatschsüchtigen Gesellschaft von seines Gleichen zu.

Ein sehr merkwürdiges Bild bietet eine Kaffernfamilie, die auf einer Reise begriffen ist. Voraus marschiren in langer Kettenlinie die Frauen und Mädchen, die auf ihren Köpfen Matten, Kessel und Kochtöpfe, in den Händen Hacken und Pickäxte, und oft dazu noch, auf den Rücken gebunden, kleine Kinder tragen, während der Mann hinter der langen Reihe seiner Lastträgerinnen stolz ohne jede niederdrückende Bürde einherschreitet und nur seinen Schild und seine Lanzen, eventuell seine Flinte, Pulver- und Kugelbeutel trägt. Ja, ich habe es öfter gesehen, daß der Faullenzer hoch zu Roß sitzt und zum Schutze seines unbedeckten kohlschwarzen Hauptes gegen die sengenden Sonnenstrahlen einen alten verblichenen und zerbogenen europäischen Regenschirm über sich ausgespannt hält, während die schwerbeladenen Frauen und Mädchen eilig seiner galoppirenden Mähre nachkeuchen müssen.

Dieses althergebrachte System der Frauensclaverei und Frauenarbeit ist die Hauptursache der Arbeitsunlust, welche die männliche Hälfte des Zuluvolkes auszeichnet. Der aus solchen Verhältnissen sich ergebende Mangel an Arbeitern ist der Fluch, welcher seither immer aus dem ganzen Oberlande der Colonie Natal gelastet hat und der daran schuld ist, daß mit großen Kosten condensirte Milch in Zinnbüchsen aus der Schweiz, Butter aus Dänemark und Australien, Kartoffeln aus Irland, condensirte Gemüse und gesalzene Fische aus England und Schottland, Weizen aus Nordamerika, präservirtes Fleisch aus Australien und Bauholz aus Norwegen eingeführt werden in einem Lande, das, wenn es nur hinreichend Arbeitskräfte hätte, fernwohnende Völker mit den überflüssigen Producten seiner Viehzucht und Milchwirthschaft, seines Getreidebaues, seiner Fischerei und seiner Holzcultur versorgen könnte. Uebrigens ist der Zulu, solange er arbeiten will, sehr brauchbar. Auf den Diamantenfeldern von Westgriqualand, wo ich drei Jahre lang dem aufregenden Sport des Diamantengrabens oblag, waren die Zulus ihrer sprüchwörtlichen Ehrlichkeit wegen die gesuchtesten aller schwarzen Arbeiter. Sie repräsentirten unter der Masse des verlotterten schwarzen und gelben Gesindels der Colonialfarbigen (das heißt der durch den langen Umgang mit den Weißen niederer Classen vollständig verdorbenen Hottentotten, Mischlinge und Kaffern von den südlichen und nordwestlichen Stämmen) den reinen und unverfälschten Typus des natürlichen, von der Cultur noch unbeleckten und noch nicht durch die Versuchungen des Schnapsdusels heimgesuchten Eingeborenen.

Schon die gesammte äußere Erscheinung des Zulus ist eine höchst imponirende. Dieses Volk verdient in der That die ihm von englischen Schriftstellern gegebene Bezeichnung einer „königlichen Race von Wilden“. Die rothäutigen Kriegshelden des Sioux-Stammes, welche ich in Nordamerika zu sehen das Glück hatte, erschienen mir bedeutend weniger vornehm und respectgebietend, als diese meist sechs Fuß hohen, herculisch-breitschultrigen, stolzen Zulus; sie besitzen womöglich noch mehr Stammesstolz, als die das südöstliche Küstenland zwischen Natal und der Capcolonie bewohnende, ebenfalls sehr schöne und energische Race der Amakosa-Kaffern, welche letztere in ihrer souverainen Verachtung alle den anderen Stämmen angehörigen Kaffern kurzweg „Hunde“ benennen. Während in der Capcolonie sämmtliche Farbige zum Verkehr mit den Weißen die holländische und englische Sprache adoptirt haben, verschmäht es der Zulu, sich durch Erlernung der Sprache der Umlungu (Weißen) zu erniedrigen, und hat dadurch diese gezwungen, die seine zu erlernen, welche übrigens eine der schönsten und wohlklingendsten Sprachen der Welt ist. In der Colonie ist es eine bekannte Sache, daß man einen Hottentotten so viel schlagen kann, wie man will – er wird sich höchstens hinterm Rücken durch Gift rächen; ebenso wird im Allgemeinen der größte Theil der Betschuanen-Kaffern dem Schlage eines Europäers nicht antworten. Man wage es aber, einen Zulu zu schlagen! Er schlägt sofort wieder und rächt die Beleidigung leicht mit dem Tode des Weißen. Schon in seinem Gruße liegt ein entschieden stolzer, majestätischer Charakter. Der Zulu grüßt nämlich mit den Worten: „Saku bona!“, das heißt: „Wir sahen Dich!“ während der weicher organisirte und höflichere Betschuane beim Begegnen ausruft: „Tumella!“ („Seien wir Freunde!“) Daß der Zulu sich dem Europäer vollkommen gleich dünkt, sieht man aus seinem ganzen freien Benehmen gegen seine Dienstherrschaft. Namentlich zollt er dem weiblichen Theile derselben einerseits wenig Gehorsam und Respect, andererseits oft stürmische Neigungen, die für viele Familien in Natal geradezu eine Calamität

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_206.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)