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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

die Figuren des heiligen Augustin und der heiligen Monica. Aber auch rein fraulicher Thätigkeit blieb sie nicht fern. Von der Anfertigung der schlichten Gewänder für sich und die Mönche des Nachbarklosters erhob sie sich bis zur Gestaltung jener kunstvollen Gewebe und Stickereien, deren wir bereits früher gedachten. Nur bewegten sich ihre Vorlagen dabei fast lediglich auf dem kirchlichen Gebiete. Sie webte und stickte Meßgewänder, Altardecken, Rücklaken für die Kirchenstühle, Kelchdecken und Processionsfahnen. Die Weberei wurde mit der Zeit in den Klöstern sogar fabrikmäßig und auf Bestellung der Laienwelt betrieben, sodaß sich nach Einführung der Zunftverfassung die Zunft der Bild- und Wappensticker in Köln gegen die Concurrenz der Nonnenklöster beschwerte.

Uebrigens warb auch die profane Frau des Mittelalters durch solche Arbeiten um die Gunst der Kirche. Das Größte in dieser Richtung leistete die Gemahlin Wilhelm’s des Eroberers, Mathilde. Sie beschenkte die Kathedrale von Bayeux mit einer Leinwandstickerei in der Länge von 211 Schuh, welche in 72 verschiedenen Scenen und mit 350 Figuren den ganzen Verlauf der Eroberung Englands durch die Normannen im Jahre 1066 zur Erscheinung brachte. Der Teppich ist noch vorhanden. Der Regel nach bewegten sich die bildlichen Vorlagen der Gewebe auf kirchlichem Gebiete. So bewahrt der Domschatz zu Bamberg eine mit Gold auf Purpur gestickte Geschichte des Erlösers, während unser deutsches Nationalmuseum einen großen 1,47 Meter langen und 2,42 Meter hohen Teppich mit der Darstellung des jüngsten Gerichts besitzt. Wir sehen da Christus auf dem Regenbogen sitzend, Schwert und Lilie im Munde, darunter Maria und Johannes den Täufer; zur Seite vier Engel mit den Werkzeugen der Passion. Zwei Engel unter seinen Füßen verkünden mit Posaunen den sich aus ihren Gräbern erhebende Seelen die Auferstehung.

Die uns erhaltene Abbildung einer Nonnenzelle – im Germanischen Museum – zeigt dieselbe als ziemlich wohnlich. Die Nonne liegt bekleidet auf dem Bette. Vor demselben befindet sich ein Schemel und eine Bank; darauf ein Krug mit Glas, ein Teller mit Brod. An der Wand hängt eine Uhr. Auf einer durchbrochenen Wandconsole steht ein kleiner Altarschrein, zu beiden Seiten zwei Heiligenfiguren. Das Gewand der Nonne bestand aus Wollenstoff, der für geringer galt als Leinwand. Da sie gleichsam ihre Jungfräulichkeit der Kirche geopfert hatte, hüllte sie, wie die verheirathete Frau, das Gesicht in das Gebände (weiße Kinn- und Kopfbinden) und barg das kurzgeschnittene Haar unter der Nonnenhaube. Statt des Gürtels trug sie einen Strick, von dem statt Scheere und Schlüsselbund der Rosenkranz herniederhing.

Im Gegensatze zu der weltlichen Minne nannte man die Werbung um die Gnade des Himmels Gottesminne, indem man auch hier wieder das Sinnliche zu dem Geistigen in Parallele setzte. Zu ihr wandte sich aber nicht blos die Frau, sondern auch der Mann, der um Frauenliebe vergebens warb oder ihrer satt und überdrüssig geworden war, vornehmlich der Sänger, der für seine Minnelieder kein gläubig Ohr mehr fand. Wie einst eine minnigliche Maid, so feierte er jetzt in überschwänglicher Wonne „siebenstündig des Tages“ den süßen Herzgesellen, den „makellosen Minnekaiser“, und die Frau aller Frauen. Von ihr, der Gottesminne, singt Walter von der Vogelweide, der in späten Tagen ganz sich ihr zugewandt:

Wer Gottes Minne will erjagen,
Der muß ein jagendes Herze tragen;
Er muß auch Heldenkräfte han
Und veste stahn.
Ringen, Streiten – die beiden,
Die muß er haben Nacht und Tag,
Nach der geweihten Minne.
Schlafend sie keiner fangen mag;
Man muß sie zwingen in den Hag,
Kräftig strack,
Mit reinem, starkem Sinne.

Am gewaltigsten trat die durch die Kirche beeinflußte Macht über die Frau hervor in den Kreuzzügen. Die Ritter zogen zumeist nicht gern und freien Antriebs in’s gelobte Land, und die Kirche suchte vielfach vergebens sie dafür zu begeistern. Da wandte sie sich an die Frau, und mit der siegenden Macht des Herzens trieb diese den zögernden Gatten oder Geliebten unter das Banner des Kreuzes. In schwacher unbewehrter Stunde hatte er ihr das Gelübde geleistet, und nun mußte er nach Hartmann von Aue’s eigenem Geständnisse „in die ungewisse Ferne ziehn, den Schwur und Gelübde mochte er nicht brechen“. Andere trieb wohl auch die Wehmuth des Herzens über versagte Gunst dahin, wie den Minnesänger Friedrich von Hausen. Er meinte, durch seine That die Sprödigkeit der Geliebten zu brechen, „der Treue damit zu ihrem Lohne zu verhelfen – und sah sich bitter getäuscht.“ Niemand durfte es ihm da wohl verdenken, wenn er nun haßte, die er eh’ geminnt. Mancher meinte wohl auch, er werde auf dem fremden fernen Boden die Liebe, die ihm mit so viel Leid gelohnt, vergessen. In anderer Weise empfand es aber auch die daheimbleibende Frau schmerzlich, wenn der Mann dem Drange der Zeit und des Gewissens nachgab und dem Zuge der Kreuzfahrer sich anschloß. „Wie willst Du,“ läßt ihre Seelenangst sie fragen, „zweierlei vereinen, über das Meer fahren und auch hier sein? Du lösest Dich von meinem Herzen, wie willst Du Dir das Deine bewahren?“ Und diese fragende Angst war in vielen Fällen keine blos geträumte. Es war nicht blos die Nebenbuhlerschaft gluthsinnlicher Orientalinnen, welche die Bleibende zu fürchten hatte, auch in dem eigenen des Herrenschutzes ledigen Hause drohten ihr oft schwere Anfechtungen, und wenn ihre Treue sich auch standhaft erwies, umgarnte sie neidzüngige Verleumdung. Falsche Zungen standen gedungen wider sie auf und fanden Gehör bei dem heimkehrenden Gatten, der ihre Treue nun mit Verstoßung lohnte, bis Jahre herben schuldlosen Leides der Wahrheit zum letzten Siege verhalfen. Wenn sie aber auch nicht in solche Fahrniß gerieth, dann kamen doch immer über die einsam in der Heimath Gebliebene Stunde bitteren Wehs, „wenn sie stille denkt an seine Noth, und stumm sich fragt: Lebt mein Herzlieb oder ist er todt?“ „O, möge der um ihn sorgen,“ tröstet sie dann wohl ihr gläubig Gemüth, „für den sein süßes Leben dieser Welt entsagt hat.“ Alle heimkehrenden Pilger und Mannen forscht sie ängstlich aus nach dem Entfernten. Sie erzählen ihr, wie der Armselige in heidnischer Gefangenschaft schmachte und vergebens auf Lösegeld warte. Da nimmt sie den bewahrten Schatz aus der Truhe, borgt sich das Kleid eines fahrenden Spielmanns, und mit beklommenem Herzen an den Thoren der Burgen heitere Weisen zur Laute singend, zieht sie den weiten Weg gen Osten. Sehnsucht und Liebe machen sie muthig und stark und geben ihr das Geleite, bis sie den Geliebten findet und dem Herzen neu erwirbt. Oft auch kommt zu ihr die Märe von des Gatten Tode, und da Jahre schon dahin gegangen, ohne daß sie Kunde und Wissenschaft von dem Geschiedenen erhielt, leiht sie zuletzt willig das Ohr erneuter Werbung. Da mischt sich am Hochzeitstage der Todtgeglaubte unerkannt unter die Hochzeitsgäste; sie erkennt ihn beim Willkommtrunk an dem Trauring, den er heimlich in den Pokal fallen ließ, und in letzter Stunde noch wehrt er von ihrem Haupte die schon beschlossene Sünde.

War die Frau die Hauptträgerin des kirchlichen Lebens, so war sie nicht minder auch die Wahrerin der Legende und des Aberglaubens und seiner oft von Gemüth und Poesie geadelten Gebräuche. Schweigend schöpft sie in der heiligen Osternacht das fließende Wasser in den Krug, um ihre Schönheit vor Vergänglichkeit zu wahren, läßt in geheimnißvoller Johannisnacht, in welcher alle Geister in’s Wachen kommen, die zwischen Erde und Himmel schlafen, die sehnsuchtgetragene Frage nach der Person ihres künftigen Gatten und der Zeit laut werden, wo er ihr den Brautkranz in’s blonde Haar flicht, sieht im Dunkel des Winterabends die wirthliche Frau Holle an’s Fenster klopfen und drohend den Finger heben wider die lässige Spinnerin, deren Rocken nah vor Weihnacht noch nicht abgesponnen ist, und ihre Augen schauen allein vor allen anderen, wie in der heiligen Weihnacht die Bäume um eine Stunde lang Blüthen tragen. Allen Heiligen des Kalenders läßt sie ihr Feiertagsrecht widerfahren und vertieft sich theilnehmend in ihr Leben und ihr Schicksal. In das gläubige Herz des Kindes aber versenkt sie die holde Wunderwelt des Märchens und der Sage.

Freilich die Kraft der Weissagung, die ihrer Seele einst in den Zeiten Odin’s und der Freya innewohnte, ist ihr jetzt verloren gegangen, aber einen Schatz hat sie aus jener alten düstern Zeit noch gerettet: das ist die Kenntniß heilbringender Kräuter und wundenschließender Salben. Sie weiß das Blut zu stillen, das Fieber zu kühlen und den vom Frost Erkälteten durch heißen Theriak gesund zu machen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_218.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)