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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

durch das reiche Blondhaar fahrend, trat er an das Fenster. Mit seiner vornehmen Erscheinung, dem leisen Hauch feinsten Odeurs, der sie umschwebte, mit den ungesucht eleganten Manieren stand er auch heute so fremd zu dem „alten Falkennest“, wie die feinen Handschuhe, die er lässig abgestreift und hingeworfen, auf den plumpfüßigen, weißen Ahorntisch, die glänzenden Lackstiefel auf den groben, ausgetretenen Dielenboden paßten.

Er drückte die Stirn an das Fensterkreuz und sah hinaus. Wie ein Anachronismus steckte das Klosterhaus zwischen den geschmückten Neubauten. Jenseits der Straßenmauer lief jetzt die eleganteste, mit rothblühenden Kastanien besetzte Promenade der Stadt hin. Er schämte sich, daß die feine Welt täglich an dem geflickten Mauerwerk vorüber mußte; er fühlte sich gedemüthigt angesichts des gegenüberliegenden schloßartigen Hauses, von dessen bronzeumgitterten Balcons man den Hof übersehen konnte, der zwischen dem Klosterhaus und der Mauer lag. Wohl waren es vier herrliche, alte Lindenwipfel, die seine Mitte füllten – sie strotzten auch heuer wieder in maienhaftem Grün, von keinem dorrenden Aestlein entstellt – allein die altehrwürdigen Steinsitze zu ihren Füßen und der Porphyrtrog des Laufbrunnens, den sie beschatteten, waren garnirt mit dem frischgescheuerten Holzgeräth der Milchkammer. Dazu der Oekonomie-Lärm! Eben wurde frischer Klee eingefahren. Der Knecht fluchte über die enge Passage des Thorweges und hieb auf die Pferde ein; die barfüßige Stallmagd scheuchte zwei störrige Kälber, die sich in den Vorhof verlaufen, schimpfend aus dem Wege; Taubenschwärme flogen auf, und das andere Federvieh stob schreiend aus einander – „Bauernwirthschaft!“ murmelte Felix zwischen den Zähnen und wandte das beleidigte Auge zur Seite.

Dort breitete sich das schöne Parterre des Schillingshofes hin, und er athmete wie erlöst auf – dort war er ja immer heimischer gewesen, als auf dem Klostergute. Ueber die epheubewachsene Mauer hinweg sah er allerdings nur ein Stück des Rasenspiegels, in dessen Mitte die Wasser vor dem Säulenhause sprangen; er sah auch nur beim Hinausbiegen seitwärts einen Schein der Spiegelscheiben zwischen den Steinornamenten der Rundbogen blinken, aber dieser trennenden Mauer gegenüber schlossen drei Reihen prächtiger Platanen den Schillingshof von dem jenseitigen Nachbargrundstück ab. Sie konnte er vollkommen überblicken; sie liefen als Doppelallee vom Straßengitter aus neben der Südseite des Säulenhauses hin tief in den eigentlichen Garten hinein. Diese herrliche Baumhalle war einst der Haupttummelplatz für ihn und seinen kleinen Freund Arnold gewesen; sie behütete treulich die grüne Dämmerung, die frische Kühle drunten, und für den Freiherrn Krafft war sie an heißen Sommertagen eine Art Salon; er empfing da Besuche, hielt seine Siesta und trank den Nachmittagskaffee unter den Bäumen.

Auch jetzt stand die Kaffeemaschine auf dem Tische, aber nicht die wohlbekannte messingene – sie hatte einer silbernen Platz gemacht. Es gruppirte sich überhaupt viel Silbergeschirr dort; auch kleine, mit Liqueur gefüllte Krystallkaraffen funkelten dazwischen – so war der Kaffeetisch früher nie besetzt gewesen. Damals hatte man auch auf weißgestrichenen Gartenbänken von Holz gesessen; heute standen große Arrangements eleganter gußeiserner Möbel zwischen den Bäumen; Schlummerrollen und farbenglänzende Kissen lagen umher, und aufgestellte reichdecorirte Wandschirme bildeten behagliche, vor dem Zugwind geschützte Plauderwinkel.

Das Fremdartigste aber war die Dame, die in diesem Augenblicke neben dem Säulenhause hervor kam; sie ging, offenbar wartend, langsam auf und ab. Arnold’s Mutter war früh gestorben; eine Schwester hatte er nie gehabt, darum war das weibliche Element, so weit Felix zurückdenken konnte, immer nur durch die gute, dicke Wirthschaftsmamsell vertreten gewesen.... Nun schimmerte eine blauglitzernde Seidenschleppe durch den Alleeschatten, und Frauengeist und Frauenwille durften nach fast zwanzig Jahren wieder neben dem Regiment des alten Freiherrn ebenbürtig im Schillingshofe walten.

Als Felix vor zwei Monaten zur Beisetzung der Tante auf dem Klostergute gewesen war, da hatte zur selben Zeit auch Arnold’s Hochzeit in Coblenz stattgefunden – der Freund hatte vorher nur kurz und trocken angezeigt, daß er „das lange Mädchen“, die Coblenzer Cousine heirathe.... Das war sie nun, die junge Frau, die neue Herrin des Schillingshofes, eine überschlanke Gestalt mit schmalen Schultern, an Brust und Rücken flach und dürftig, vornüber geneigt, wie die meisten großen Leute, und doch vornehm, sichtlich eine Dame von Stande in jeder ihrer lässig schleppenden Bewegungen. Das Gesicht konnte er nicht voll erfassen; in scharfer Profilstellung erschienen ihm die Züge langgestreckt, von englischem Typus und blaß angehaucht, doch besaß die junge Frau einen herrlichen Schmuck in dem reichen, hellblonden Haar, das zwar elegant, aber so locker aufgesteckt war, als schmerze und beschwere diesen jungen Kopf peinlich jede Haarnadel.

Sie sah öfter mit leisen Zeichen der Ungeduld abwechselnd nach den Fenstern und der Thür unter der Säulenhalle und ordnete und rückte wiederholt an den Tassen und Kuchenkörben.

Dann kam eine junge Person in weißem Latzschürzchen, augenscheinlich die Kammerjungfer, aus dem Hause. Sie legte ihrer Gebieterin einen weichen Shawl um die Schultern und zog ihr Handschuhe an. Und die Dame stand da wie ein Automat; sie hielt die langen, schlanken Hände unbeweglich hingestreckt, bis jedes Knöpfchen geschlossen war; sie regte sich nicht, als das Mädchen vor ihr niederkniete und eine aufgesprungene Spange an dem farbigen Schuh wieder befestigte. Sie sprach auch nicht und zog nur schließlich, trotz der durchsonnten, köstlich warmen Juniluft, fröstelnd den Shawl über der Brust zusammen. „Verwöhnt und nervös!“ dachte Felix, während sie sich anmuthig in die mit rothen Kisten ausgepolsterte Ecke einer Bank sinken ließ.

Inzwischen war Adam, der langjährige Diener des alten Freiherrn Krafft, aus der Thür des Säulenhauses gekommen. Er wohnte im Schillingshofe, war Wittwer und hatte sein einziges Kind, ein zehnjähriges Mädchen, bei sich. Das führte er jetzt an der Hand.

Die Kammerjungfer ging mit einem schnippischen Achselzucken an ihm vorüber, und die Dame auf der Bank sah nicht, daß er grüßte. Felix hatte den stillen, ernsthaften Diener sehr gern, dessen äußere Ruhe und Gelassenheit im Schilling’schen Hause sprüchwörtlich waren. Deshalb befremdete ihn die aufgeregte Hast, mit welcher der Mann den Rasenplatz umschritt und den Schillingshof verließ, um nach wenigen Minuten in den Hof des Klostergutes einzutreten. Sein kleines Mädchen schrie ängstlich auf und klammerte sich an ihn fest – ein großer Puter lief zornig kollernd auf sie zu, als wolle er ihr das rothe Röckchen vom Leibe reißen. Der Mann scheuchte das erboste Thier fort und sprach beruhigend in das Kind hinein, aber das geschah in athemloser Aufregung, und die Wangen glühten ihm, als sei er betrunken.

Felix sah nur noch flüchtig, wie der alte Freiherr, auf den Arm seines Sohnes gestützt, in die Platanenallee trat und sich mit einer chevaleresken Handbewegung neben seiner Schwiegertochter niederließ – ein Gefühl inniger Theilnahme trieb ihn vom Fenster weg, in die Hausflur hinab. Auf der unteren Treppenwendung blieb er einen Augenblick stehen. Die Magd hatte mit Eierkorb und Buttergelte das Haus verlassen, und seine Mutter zog eben das Geflügel aus der Bratröhre.

„Mein Bruder ist nicht zu Hause, Adam,“ sagte sie zu dem Manne, der an der Küchenthür stand. Sie setzte die dampfende Pfanne auf den steinernen Spültisch und trat an die Schwelle. „Ich will doch nicht hoffen, daß Sie ihn noch einmal mit der dummen Geschichte incommodiren –“

„Ja, Frau Majorin,“ unterbrach er sie höflich, aber fest, „ich komme deswegen. Nur der Herr Rath kann mir noch helfen; er weiß am besten, daß ich unschuldig bin – er wird der Wahrheit die Ehre geben.“

„Sie sind nicht bei Sinnen, Mann,“ entgegnete die Majorin scharf und streng. „Soll der Herr Rath vielleicht beschwören, daß er mit der Dienerschaft des Herrn von Schilling niemals intim verkehrt hat?“

„Was ist denn das für eine Differenz zwischen hüben und drüben?“ fragte Felix erstaunt hinzutretend.

„Ach, Herr Referendar, die Differenz bringt mich um Brod und Ehre,“ sagte Adam mit brechender Stimme. Sonst hatte er den jungen Mann bei dessen Heimkunft immer freudestrahlend begrüßt – heute schien er gar nicht zu wissen, daß er ihn lange nicht gesehen. „Eben hat mich mein alter gnädiger Herr einen Duckmäuser, einen miserablen Spion genannt; er hat mir sein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_228.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)