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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

An erschütternder Wirkung wetteifert mit Ludwig’s „Erbförster“ Anzengruber’s „Meineidbauer“. Dieser ist durch einen falschen Schwur, der die Kinder seines Bruders um Hab und Gut brachte, zu Reichthum und – zu seiner Frömmigkeit gekommen. Geehrt und nur verachtet von dem eignen Sohn, dem Mitwisser seiner Schuld, sucht er mit Zähigkeit die Früchte seines Verbrechens und die Ehre seines Namens sich zu erhalten; ja in einer düsteren, nächtigen Scene schießt er auf den eignen Sohn, in dessen Besitz er den verhängnißvollen Brief wähnt, der seine Schuld enthüllen kann. Wie er dann stirbt und die Geschwisterkinder in Liebe sich vereinigen, das ist alles so großartig und doch menschlich wahr, so erschütternd und versöhnend geschildert, daß man staunend steht vor dem das Volksleben bis in die Tiefe ergründenden Genius.

Unter Anzengruber’s Komödien ist neben dem „G’wissenswurm“ die genialste „Die Kreuzelschreiber“. Die verheiratheten Bauern von Zwendorf haben unter Anführung des Gelbhofbauers eine Döllinger-Adresse unterschrieben, die meisten mit Kreuzeln statt ihres Namens. Der Caplan hetzt nun sämmtliche Weiber des Dorfes auf, die eheliche Gemeinschaft zu lösen, bis die Männer ihre Unterschrift zurückgezogen und eine Bußfahrt nach Rom versprochen haben. Den Männern sind die Burschen des Dorfes gegenüber gestellt, an ihrer Spitze der alte Steinklopferhans, eine der köstlichsten Figuren unserer Bühne, ein wahrer Dorfspinoza, dessen tiefer Humor Alle am Narrenseil führt. Dieser Steinklopferhans arrangirt nun eine herrliche Bußfahrt, zu der die Dirnen des Dorfes die Männer begleiten sollen. Natürlich ziehen es die eifersüchtigen Frauen vor, ihre Männer daheim bei sich in der Wirthschaft zu behalten.

Anzengruber’s Eigenart, die ihn so hoch über Andere erhebt, besteht einerseits in der scharf ausgeprägten Zeichnung seiner Charaktere, anderntheils in der stimmungsvollen Behandlung der Scenen, die sich oft wohl als Bilder für sich darstellen, aber doch nie lose aus der consequent geführten Handlung herausfallen. Unter den Charakteren entzücken besonders die Bösen und die Lumpe. Seine Bösewichter sind aber nicht verdorben von Haus aus; sie sind durch Schicksale, durch verfehltes Leben, verfehlte Liebe schlecht geworden, weshalb immer bei ihnen irgendwo ein Stück Herz zu entdecken ist. Die Stellen wo dieses Stück Herz, wie beim Wurzelsepp, zur Geltung kommt, führen zu den größten dramatischen Effecten. Seine Bauern haben nichts von der ideal-schönen Gelecktheit, wie sie neuerdings in unseren Dorfgeschichten heimisch geworden. In erster Linie ist immer das allgemein Menschliche in ihnen ausgeprägt, ungleich aber von der besonderen Denk- und Empfindungsweise des Standes soviel hinzugethan, wie für den Eindruck der Naturechtheit nötig ist.

In den Komödien weiß der Dichter nichts von niederer Situationskomik; nicht das schallende Lachen ist sein Erfolg, sondern das stille Lächeln, in welchem sich jenes tiefe Behagen ausdrückt, das aus dem Humor der Stimmung entspringt, dem dichterischen Humor, wie er aus den Empfindungen der Personen hervorleuchtet. Anzengruber’s Sprache vermeidet jedes Kalauern; sie ist nicht reich an Witzen, wohl aber überreich an feinen Pointen, treffenden Wendungen, die namentlich bei dem Gebrauch des Dialekts sich einfinden. Der Dialag ist von einer Schlagkraft und Knappheit, die kein Glied entbehrlich macht.

Es ist von Andern hervorgehoben worden, daß die Gemüths- und Lebensart der oberösterreichischen Bauern den kräftigen und eigenartig individuellen Gestaltungen eines Dichters wie Anzengruber besonders entgegenkommen mußte. Seine Charaktere können ihre volle Wirkung nur durch die besten Schauspieler erreichen, die schlicht und einfach genug sich geben, um natürlich zu sein, und dabei doch Gluth der Empfindung genug besitzen, um das Herz zu ergreifen und zu entzünden. Weiter dankt es der Dichter der Gewohnheit seiner Bauern, frischweg eine Stimmung oder einen lustigen Einfall im Volksgesang ausklingen zu lassen, daß seine Couplets und Lieder nicht als lose Zuthaten am Stück hängen, sondern organisch dazu gehören.

Ein Dichter, der so aus dem Herzen des Volkes spricht, ist eine Macht für das Volk. Hoffentlich wird auch das norddeutsche Publicum trotz der Schwierigkeiten des Dialekts sich immer wärmer seinen Stücken zuwenden. Freilich: nur an großen Bühnen können dieselben wirken; denn eine schlechte Aufführung vertragen sie nicht.

Die jüngste Vertheilung des „Schiller-Preises“ hat neben Wilbrandt und Nissel auch den Dichter des „Pfarrers von Kirchfeld“ berücksichtigt. Es ist die Stimme der berufenen Kritik, welche hiermit ihr Urtheil gesprochen hat. Das Publicum hat unter der Wirkung der Anzengruber’schen Schöpfungen der Kritik vorgegriffen und ihm früher den Kranz auf’s Haupt gedrückt. Das ist sicher: Anzengruber ist ein echter Poet; er ist neben Wilbrandt der kräftigste Dramatiker, den unser Theater gegenwärtig besitzt.




Blätter und Blüthen.


Calculators auf dem Frühlingsspaziergange. (Mit Abbildung Seite 265.) Seitdem der Maler Karl Reinhardt in Dresden die Subaltern-Beamten-Figur des Herrn „Calculator“ als eine berechtigte Eigenthümlichkeit der königlichen Residenzstadt an der Elbe erfunden hat, läßt dieselbe nachstrebenden Kunsttalenten auf dem Tummelplatz des – Gottlob! – noch allezeit gern gefeierten Scherzgottes Komos keine Ruhe: sie vermehren das gemüthliche Geschlecht fort und fort, und so laufen immer unterschiedliche neue „Calculators“ in der illustrirten Welt herum, welche, wie das Mädchen aus der Fremde, in jedem jungen Jahre die Frühlingsauen unsicher machen. Der Herr Calculator ist ein naher Verwandter des Berliner Eckenstehers Nante, des Frankfurter „Bürgercapitains“, der Münchener Herren Eisele und Beisele und wie die Locallieblinge vieler anderer Orte alle heißen, die als Originaltypen örtlicher Absonderlichkeiten auch außerhalb ihres heimathlichen Kreises mit Vergnügen begrüßt und als willkommene Boten allgemeiner Erheiterung aufgenommen wurden. Allerdings haftet die Bescheidenheit, welche als besonderes Kennzeichen des „höflichen Sachsen“ gilt und seiner Personalbeschreibung mit vollem Rechte angefügt wird, auch dem Herrn Calculator an; er hat sich nicht so in die große Oeffentlichkeit gedrängt, wie die oben genannten seiner weltberühmt gewordenen Vettern, desto fester aber steht er aus dem heimathlichen Boden, wo sein bereits aus dem irdischen Jammerthal geschiedener Erzeuger ihm sogar eine bleibende journalistische Stätte in einem Fünfpfennigblättchen seines Namens gestiftet hat, das offenbar, wie so viele andere seines Gleichen, ebenfalls „einem längst gefühlten Bedürfniß“ abhilft. Daß der Herr Calculator, dem mit Naturnothwendigkeit zu seiner geringen Einnahme eine starke Familie beigelegt wird, für letztere die Vergnüglichkeiten da aufsucht, wo sie am wenigsten kosten, macht ihn besonders schätzenswerth, und eben deshalb ist seine und der Seinen Lustwandelung in die schöne Gegend, namentlich zur Zeit der „Boombluth“ (Baumblüthe), ein Gegenstand wiederholter Darstellung geworden. Für die Art und Weise, wie unser Zeichner „Calculators“ aus einem solchen Frühlingspaziergang belauscht und abconterfeit hat, lassen wir das Bildchen selber sprechen.

F. H.




Berichtigung. In meinem Aufsatze über die Fabrikinspectoren, welchen die „Gartenlaube“ jüngst veröffentlichte, hatte ich, gezwungen, den Stoff in engem Rahmen zusammen zu fassen und mehr die wohlthätigen Wirkungen der Einrichtung als ihre geschichtliche Entwickelung zu schildern, aus den Berichten der preußischen Fabrikinspectoren als aus der reichsten Quelle geschöpft. Zu meinem lebhaften Bedauern ist dadurch der Irrthum entstanden, als ob nur der größte Staat des deutsche Reichs die segensreiche Initiative auf diesem Gebiete ergriffen hätte; ich bemerke deshalb ausdrücklich, daß auch im Königreiche Sachsen schon seit 1872 Fabrikinspectoren mit gleich erfreulichen Erfolgen wirken, wie im Königreiche Preußen.

Franz Mehring.




Kleiner Briefkasten.

K. in D. Sie mögen Recht haben, wenn Sie die Ansicht, daß im Döllingerschacht „der sündlichste Raubbau getrieben worden sei“, eine Ansicht, von welcher auch unser Artikel über die bekannte Teplitzer Katastrophe (in Nr. 10 dieses Jahrgangs) Notiz nimmt, für eine unverbürgte, dem wahren Sachverhalt nicht entsprechende Mutmaßung erklären, wie dergleichen immer auftauchen oder Nahrung erhalten, wenn das aufgeregte Volk nach den unbekannten Ursachen eines folgenschweren Naturereignisses sucht. Auch auf anderer Seite sind wir Ihrer Auffassung der Sachlage begegnet. Wir können aber kaum einen Stein auf unsern Berichterstatter werfen, der in der Verwirrung jener Tage die Reise nach Teplitz machte und das Material für den Aufsatz sammelte, um so weniger, als auch er doch nur die Notiz mit einem „soll“ einführt. Vorstehende Zeilen an dieser Stelle dürften übrigens für den Zweck ausreichen, den Betheiligten in den Augen unserer Leser gerecht zu werden.

W. Kl. und F. May in Berlin. Nicht geeignet! Verfügen Sie über das Manuscript!

W. A. in Stettin. Wir bitten um Angabe Ihrer vollen Adresse, da wir Ihnen Offerten zu machen haben.

Eine Mutter in E. Ihre Anfrage wegen des „Neuen Buches der Welt“ (Stuttgart, Julius Hoffmann) können wir nur in günstigem Sinne beantworten; das Unternehmen wird nach gesunden pädagogischen Grundsätzen und mit gutem Geschmack redigirt; die Holzschnitte sind wahre Cabinetstücke, auch die Farbendrucke vielfach wirksam und gefällig. Ueber den Preis der Monatshefte wird Sie der Umstand hinwegführen, daß Sie selbst, als Erwachsener, mit Befriedigung werden an der Lectüre dieser Jugendzeitschrift Antheil nehmen können.

E. B. und F. A. Die Antwort auf eingesandte Gedichte ist, wie bereits oft erklärt, Abdruck oder Vernichtung. Briefliche Erwiderung ist in diesem Falle durchaus ausgeschlossen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_276.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)