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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

wandte er sich zu einer Afghanin, die aber schon Mutter eines elfjährigen Sohnes, Namens Abdullah-Dschan, war. Diese zweite Favoritin, welche sich in unserm Bilde präsentirt, benutzte die Gunst ihres hohen Herrn dazu, daß derselbe ihren lieben Sohn, Abdullah-Dschan, dem bereits genannten Jakub vorzog und zum künftigen Herrscher proclamiren ließ.

Wie gewöhnlich zurückgesetzte Thronfolger, empörte sich Jakub Khan gegen seinen Vater, wurde von diesem besiegt, durch List nach Kabul berufen und in’s Gefängniß geworfen, aus dem er erst nach der Flucht des Vaters wieder frei wurde. Inzwischen ist auch der bevorzugte, aber unfähige Thronfolger, Abdullah-Dschan, gestorben, und der schlaue, entschlossene, thatkräftige und populäre Jakub Khan wieder in den Vordergrund getreten.

Charakteristisch für die afghanische Regierungsform ist die Unterhaltung des französischen Reisenden Ferrier mit Kohendil Khan, dem Herrscher von Kandahar und Bruder Dost Mohammed’s von Kabul. Der Khan, erzählt Ferrier, wurde plötzlich sehr ernst, denn ich sollte ihm das Geheimniß enthüllen, wie sich europäische Fürsten den Gehorsam ihrer Unterthanen ohne Zuflucht zu Gewaltmitteln zu erwerben wüßten. „Ich habe Güter eingezogen, die Bastonade, die Folter geben lassen, Köpfe abgeschlagen,“ rief der asiatische Monarch, „und dennoch haben die wilden Afghanen nie meinen Gesetzen gehorcht. In meinem Fürstenthum giebt es keinen Serdar – keinen! – meine Brüder, Söhne, Neffen nicht ausgenommen, der nicht mit Begierde mir die monarchische Gewalt aus der Hand ringen würde, wenn er Aussicht hätte, daß es gelänge. Hier ist Stärke das Recht, warum sollte es anders sein in Europa?“

Ferrier bemerkte, daß europäische Fürsten ihre Gewalt nicht für persönliche Zwecke gebrauchten, daß alle Regierungshandlungen vom Gesetz beherrscht und nur zum Wohle des Landes ersonnen würden.

„Aber,“ rief der Erstaunte, „was nützt die Gewalt, wenn sie nicht zu Reichthümern führt? Was ist das für eine Regierung ohne unbeschränkte Gewalt? Was ist ein König, der nicht nach Belieben einem Unterthanen die Bastonade geben und ihm den Kopf abschlagen kann?“

Das ist also die Physiognomie des Reiches, von dessen Willen einstweilen die Verhinderung eines englisch-russischen Zusammenstoßes in Mittelasien abhängt. Die Aufgabe Englands, das im Wesentlichen seine Annexionen nach dieser Seite abgeschlossen hat und nur gesicherte Grenzen anstrebt, liegt in einer Gewinnung der afghanischen Sympathien zu dem Zwecke, um die Russen fernzuhalten. Rußland auf der andern Seite kann nur die Absicht haben, Afghanistan gegen England immer auf’s Neue zum Conflict zu reizen, bis ihm das erschöpfte Land als reife Frucht in den Schooß fällt; dann unterliegt Britisch Indien bei dem hohen militärischen Werth des afghanischen Grenzgebirgs einer fortwährenden Bedrohung, welche über kurz oder lang den englischen Besitz Indiens in Frage stellen wird. Das macht das Bestreben Englands begreiflich, aus dem gegenwärtigen englisch-afghanischen Kampf den Besitz der Gebirgsgrenze herauszuschlagen.

Wir sehen mit Spannung dem einstigen Kampf zwischen Rußland und England entgegen. Dieser Kampf gleicht dem eines Elephanten mit einem Walfisch. Jeder dieser Staaten besitzt riesige Kräfte, aber jeder ist auch schwach, ja ohnmächtig, wenn er sein eigenes Terrain verläßt und das seines Gegners betritt. Jedenfalls trifft England im Bewußtsein seiner von Haus aus nicht eben günstigen Lage Vorbereitungen, welche seine Position günstiger zu gestalten geeignet sind. Es hat sich durch den letzten englisch-türkischen Vertrag nicht blos die freie Bahn zur südöstlichen Flankirung Rußlands eröffnet, es hält auch durch den Einfluß auf die Verwaltung von Anatolien und Armenien Persien im Zaum, kann englische Interessen am Euphrat und in Mesopotamien an dessen Grenze fördern und schützen, hat von beiden Seiten die Schlüssel zum Suezcanal in Händen und darf auf ein gutes Aufgebot von türkischen und ägyptischen Truppen rechnen, wo es nicht nöthig hat, englische zu verwenden. Die Lage der Dinge scheint hierdurch so geändert, daß Rußland in seinen durch Mittelasien gegen Indien gerichteten Operationen zum ersten Mal ernstlich gelähmt ist.

J. Loewenberg.




Allerlei Thiere.
Eine Plauderei von Heinrich Seidel.

Die kleinen Geschichten, welche ich hier erzählen will, haben sich nebst einer Reihe ähnlicher in meiner Familie zugetragen und verdanken ihren Ursprung der Liebhaberei für allerlei Gethier, welche, ein durchgehender Zug in meiner Familie, in meinem jüngeren Bruder Hermann zum besonderen Ausdruck gelangt ist. Da nun wohl selten ein Lieblingsthier anders als auf eine unnatürliche Weise zu Grunde geht, so hätte ich hier eine ganze Reihe von tragischen Ereignissen schildern können. Ich ziehe vor, bei nachstehender Auswahl Trauriges und Heiteres in anmuthigem Wechsel zu mischen.

Auf eine merkwürdige und noch immer nicht ganz aufgeklärte Weise kam eine weiße Maus zu Tode, welche mein jüngster Bruder Paul in seiner Kindheit zärtlich pflegte. Das hübsche Thier war äußerst zahm und wohnte in einem kleinen Holzkasten mit Drahtgitter, der auf dem geräumigen Schreibtisch meiner Brüder stand. Dieser Käfig war nie verschlossen und das zierliche Geschöpf lief den ganzen Tag auf dem Schreibtisch zwischen den Büchern herum, ohne jemals daran zu denken, seine Excursionen weiter auszudehnen. Eines Tages wurde eine wilde schwarze Maus gefangen und trotz des Protestes meiner Mutter dem kleinen weißen Prinzen zugesellt. Die Thierchen schienen sich gut zu vertragen, allein am andern Morgen war ein Loch in den Käfig genagt und die schwarze Maus verschwunden. Seit dieser Zeit war die weiße ganz verwandelt. Zwar von ihrer Zahmheit hatte sie nichts eingebüßt; sie duckte sich wie immer geduldig zusammen und stieß ein zartes Warnungsquietschen aus, wenn man sie in die Hand nehmen wollte, allein eine starke Unruhe hatte sich ihrer bemächtigt; sie lief auf dem Tische schnüffelnd und suchend umher und probirte mehrfach über den Rand in die Tiefe zu gelangen. Eines Tages war sie verschwunden, jedoch nicht lange. Einige Zeit, nachdem ihre Abwesenheit bemerkt war, entstand ein erbärmlicher Lärm unter dem Fußboden des Zimmers, ein Gequietsch und Gerappel, welches die Mäuse bei Erledigung ihrer Familienzwistigkeiten anzuwenden pflegen, erhob sich, und plötzlich kam aus dem Mauseloch hinter dem Ofen die weiße Maus in großer Angst hervorgestürzt. Sie war offenbar herausgeworfen worden.

Einige Tage hielt sie sich nun ruhig auf ihrem Tische, jedoch der Friede ihres Gemüths war gestört. Meine Schwester behauptete, die Maus säße jeden Nachmittag am Rande des Tisches auf Zumpt’s Grammatik und seufze – die rothen Augen sehnsüchtig auf das Mauseloch gerichtet. Und es kam eine Zeit, wo die Sehnsucht die Vorsicht überwog, und wo sie wiederum verschwunden war. Aber diesmal erhob sich ein Lärm, noch viel entsetzlicher als das erste Mal, und am Ende kam das Thierchen mühsam aus dem Mauseloch hervor und blieb erschöpft auf dem Fußboden liegen. In seinem rosigen Schnäuzchen hatte es einen Biß und auf dem weißen Sammetfell standen rothe Blutflecke. Man legte es in eine Schachtel aus Watte und flößte ihm Milch ein. Am andern Morgen lebte es noch, aber gegen Mittag ward es matter und matter, reckte sich noch einmal und verschied; mein Bruder sagte, an seinen Wunden, meine Schwester aber behauptete, an gebrochenem Herzen.

In seiner Sterbeschachtel ward der weiße Prinz im Garten feierlich begraben, und mein Bruder errichtete auf seinem Grabe ein Denkmal mit der Inschrift: „Hier ruhet tief betrauert von Paul Seidel seine weiße Maus.“

Später hatte mein Bruder Hermann einen Thurmfalken aufgezogen. Das Thier führte den Namen Hanne, war außerordentlich zahm und flog frei umher. Wenn mein Bruder ihn rief, schwang Hanne sich von einem benachbarten Dache oder aus der hohen Luft herab und setzte sich auf seine Hand. Eines Tages half aber alles Rufen und Locken nicht; der Vogel kam nicht, und man glaubte schon, er habe das Weite gesucht, als plötzlich acht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_290.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)